Kai Havertz glänzt gegen Russland: Mesut Özils Erbe setzt ein erstes Ausrufezeichen

Stefan Petri
16. November 201815:47
Kai Havertz spielte gegen Russland zum ersten Mal von Beginn an für die DFB-Elf.getty
Werbung

Kai Havertz bestritt gegen Russland sein erstes Länderspiel von Beginn an. Der 19-Jährige lieferte eine starke Partie ab und erinnerte dabei an sein Vorbild Mesut Özil: Bundestrainer Joachim Löw und die Mitspieler waren voll des Lobes. Darf er nun auch gegen die Niederlande von Beginn an ran?

Er ist ein Mann der leisen Töne: Als Kai Havertz am späten Donnerstagabend in die Mixed Zone in den Katakomben der Red Bull Arena kommt, nur wenige Meter vom ausladenden Mercedes-Benz-Bus des DFB entfernt, drängeln sich die Kamerateams und Journalisten mit aufnahmebereiten Smartphones noch ein Stückchen näher heran als gewöhnlich.

Kaum zu verstehen ist der schlaksige Teenager in den hinteren Reihen, als er seinen ersten Startelf-Einsatz mit dem Adler auf der Brust Revue passieren lässt. "Es hat Spaß gemacht", sagt er, er sei gut ins Spiel integriert gewesen und habe viele Bälle bekommen: "Ein bisschen Luft ist immer noch nach oben, aber darauf kann ich aufbauen." Havertz steht zunächst übrigens ganz allein in der Mixed Zone - als wollten ihm Betreuerstab und Mitspieler seinen Moment im Rampenlicht gönnen.

Kai Havertz rutscht gegen Russland in die Startelf - und überzeugt

Lichte Momente hatte Havertz in seinen 65 Minuten auf dem Platz schon zuhauf gehabt: Als klassischen Spielmacher hatte Bundestrainer Joachim Löw sein Kaderküken aufgeboten, im zweiten Länderspiel direkt von Beginn an. In erster Linie wohl als Reaktion auf den Ausfall von Marco Reus, aber auch, um ein weiteres Kapitel im Umbruch aufzuschlagen. Der war zumindest an diesem Abend fast vollständig vollzogen: Nur zwei Spieler auf dem Feld waren älter als 25 Jahre, Manuel Neuer und Matthias Ginter waren die einzigen Weltmeister.

Die jüngste Startelf seit dem Confed-Cup-Halbfinale 2017 machte ihre Sache zumindest eine Halbzeit lang hervorragend, und Havertz hatte seinen Anteil daran. Ein Leisetreter zwar, aber gleichzeitig einer, der eine extrem feine Klinge führt. Trotz seiner starken Zweikampfquote von über 62 Prozent.

50 Ballaktionen verbuchte der 19-Jährige, immer darauf bedacht, das Spiel seines Teams anzutreiben. 84 Prozent seiner Pässe in der gegnerischen Hälfte kamen an, darunter seine exquisite, genau getimte Vorlage auf Serge Gnabry zum 3:0. Und hätte Leroy Sane bei seinem freien Kopfball aus sechs Metern etwas mehr Fortune gehabt, Havertz hätte gleich zwei Assists anschreiben können.

Aber diese Vorlage auf Gnabry: Ein flacher Pass von Niklas Süle durchs Mittelfeld, perfekt angenommen und gleichzeitig vom Gegner abgeschirmt, und zwar ohne viel Tempo nach vorn zu verlieren. Und mit dem zweiten Ballkontakt direkt der Pass in die Schnittstelle, zwischen Verteidiger und Torwart, auf dem Silbertablett serviert. "Ich mag es, meinen Mitspielern Vorlagen zu geben und sie glänzen zu lassen", erklärte er später.

Bundestrainer Joachim Löw lobt Havertz: "Wahnsinnig gute Übersicht"

Beim Bundestrainer rennt er damit offene Türen ein. "Er hat mir sehr gut gefallen", lobte Löw nach dem Spiel. "Wenn er den Ball bekommt, versucht er den Ball immer mit nach vorne zu nehmen. Er hat eine wahnsinnig gute Übersicht und Ballbehandlung."

Damit steht Löw nicht allein. "Er hat ein überragendes Spiel gemacht", sagte Joshua Kimmich, selbst nur vier Jahre älter als der Leverkusener, gefühlt aber aus einer ganz anderen Generation entstammend. "Er hat ein brutales Gefühl für den Raum, zusammen mit Serge hat das gut funktioniert. Sie haben immer wieder in die Tiefe geguckt, um Timo und Leroy zu schicken." Sein Fazit: "Ich hoffe, dass er noch sehr viele Spiele für uns machen wird."

Viele Spiele für die DFB-Elf - so wie ein anderer Spielmacher, der das deutsche Spiel über fast ein Jahrzehnt prägte, sich vor einigen Monaten aber im Streit vom Team und seinem Ziehvater Löw trennte. Kai Havertz - der neue Mesut Özil?

Kai Havertz spielt wie sein Idol Mesut Özil

Dieser Vergleich ist nicht neu, ebenso wenig die Erkenntnis bahnbrechend, dass es seit Özils Rücktritt nicht viele Spieler gibt, die in seine Rolle schlüpfen können.

Doch die Ähnlichkeit, sie war an diesem Abend verblüffend. Der Assist auf Gnabry, den Ball mit links angenommen und mit links in die Gasse gespielt, hätte genauso gut von der Nummer zehn des FC Arsenal kommen können.

Auch in seinen Bewegungen erinnert Havertz an Özil: Beide zeichnet ein leichtfüßiger Laufstil aus, der so ergonomisch ist, dass er manchmal langsamer scheint, als er wirklich ist. Oder die Ballkontrolle: Würde man bei seinen Dribblings und Pässen das Spielgerät ausblenden, man würde ihm oft gar nicht ansehen, dass er am Ball ist. Geschmeidigkeit statt Hektik, mit einem sehr ruhigen Oberkörper - fast immer hat Havertz den Kopf oben, auf der Suche nach dem besser postierten Mitspieler.

Diese Ähnlichkeit ist kein Zufall, hat Havertz doch schon vor einiger Zeit zugegeben, dass er sich viel von Özil abgeschaut hat: "Ich mag, wie er spielt. Er war immer ein kleines Vorbild für mich", sagte er einmal zu Sport1. In einer Kategorie könnte er sein Vorbild sogar schon überflügelt haben: Havertz ist enorm torgefährlich. In dieser Saison sind es im Verein in 16 Spielen schon sechs Treffer.

Macht Kai Havertz gegen die Niederlande Platz für Marco Reus?

Wie geht es nun weiter? Löw wird sein Juwel behutsam aufbauen, ihn nicht mit zu großen Erwartungen überfrachten. Zwar ist Havertz mit schon 79 Pflichtspielen für die Werkself alles andere als unerfahren, aber die Lupe, unter der man im DFB-Dress spielt, ist doch noch um einiges dicker.

"Das entscheide nicht ich, sondern der Trainer", antwortete Havertz auf die Frage, ob er gegen die Niederlande ebenfalls wieder in der Startelf stehen werde. Das wird wohl auch davon abhängen, ob Reus seine Fußprellung rechtzeitig auskuriert hat und noch die eine oder andere Trainingseinheit mit dem Team absolvieren kann.

Gut möglich, dass Havertz am Montag deshalb erst einmal wieder ins zweite Glied rückt und den Joker geben darf.

Andererseits: Es gibt bekanntlich nicht "jung" oder "alt", sondern nur "gut" oder "schlecht". Gnabry brachte das recht unverblümt auf den Punkt: "Wenn junge Spieler schon reif sind und so überragend spielen wie zum Beispiel Kai Havertz, warum sollte man sie dann nicht spielen lassen?"