Mats Hummels zeigte beim FC Bayern München und in der deutschen Nationalmannschaft in den letzten Monaten nicht die Leistungen, die man vom ihm gewohnt ist. Stattdessen schwächelt der Innenverteidiger - und zwar nicht nur mit seinen Entscheidungen auf, sondern auch abseits des Rasens.
Als Joachim Löw seine 17 verbliebenen Feldspieler am Dienstagvormittag auf den Trainingsplatz von RB Leipzig bat, zwei Tage vor dem Testspiel gegen Russland (Do., 20.45 Uhr im LIVETICKER), hatte Mats Hummels als einer von nur zwei Spielern eine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Auch der Reißverschluss seiner Trainingsjacke war bis zum Kinn geschlossen.
So gut es ging wollte der 29-Jährige dem Dauerregen entgegnen, nur wenige Tage nach seiner viel diskutierten Erkältung im Spiel beim BVB. Er machte alle Übungen mit, wollte aber kein Risiko eingehen und hielt sich lieber noch ein bisschen wärmer als gewöhnlich. Verständlich.
Nun könnte man angesichts dieser Bilder auch konstatieren, dass Hummels verschlossen wirkte und ein bisschen für sich. Und von dieser Erkenntnis ausgehend den Bogen schlagen zu seinen Leistungen der letzten Wochen, in Klub und Nationalmannschaft, und der einen oder anderen Kontroverse abseits des Platzes, die er auch mit den Medien ausgefochten hatte. Dass er nun ein bisschen weniger Profil zeigte, oder - Achtung! - wusste, dass er sich angesichts der Umbrüche in Klub und Nationalmannschaft "warm anziehen muss".
Es wäre ein journalistischer Bauerntrick, um von der Einleitung möglichst geschmeidig zur eigentlichen These zu gelangen - ein Bauerntrick, der dem medial versierten Hummels vielleicht sauer aufstoßen würde, wäre er ihm nicht so geläufig. Deshalb soll er an dieser Stelle vermieden werden.
Krisen mit Bayern und Deutschland: Schwere Monate für Hummels
Kein Bauerntrick ist es, in der Trainingseinheit, die für Journalisten eine stolze Dreiviertelstunde geöffnet war, einen Hummels ausgemacht zu haben, der ungeachtet seiner Kleidung zwar nicht grimmig, aber zumindest ein bisschen verbissener dreinschaute als viele seiner Teamkollegen. Der die Abschlüsse auf die kleinen Tore ernster nahm als so manch Jüngerer und verärgert aufschrie, als er einen Ball aus kurzer Distanz an die Latte drosch.
Hier muss es dann erlaubt sein, diese augenscheinliche Verbissenheit in Verbindung zu bringen mit den zehrenden Wochen und Monaten, die Hummels hinter sich hat: Das desaströse WM-Aus, der sich so rapide in Luft auflösende gute Saisonstart der Bayern, die ungewohnt häufigen Bankplätze, die öffentlichen Mahnungen, die vielen, vielen Scharmützel mit den Medien, gipfelnd im 2:3 gegen den BVB und der offenbarten Erkältung, für die er von Experten an den Pranger gestellt wurde.
Die Probleme sind dabei zweierlei Natur: Jahrelang war Hummels auf- und abseits des Platzes unangreifbar, er war Leistungsträger, Führungsperson und Schwiegermutters Liebling. Mit seiner offenen, eloquenten Art war er obendrein Darling der Medien. Mittlerweile hat sich jedoch eine sportliche Krise eingestellt. Und die vielen Nebenkriegsschauplätze am Spielfeldrand machen alles nur noch schlimmer.
Mats Hummels in der sportlichen Krise: Wo ist die Form vergangener Tage?
Hierbei muss man erst einmal vorsichtig sein: Hummels ist noch lange kein Schlechter. Aber er ist eben auch nicht mehr der Ritter, der sich die strahlende Rüstung nur selten schmutzig machen musste, weil er Gefahren elegant entschärfte, ohne auf die rustikale Grätsche zurückgreifen zu müssen.
Es springen Fehler ins Auge, die man früher nur selten sah. Ein zu spätes Attackieren des gegnerischen Stürmers, das die Abwehr entblößt, wie bei der WM geschehen. Seltsam körperlose Zweikämpfe am eigenen Strafraum. Tempodefizite. Und Patzer wie gegen Dortmund, die ihm laut eigener Aussage seit 2010 nicht mehr passiert waren.
Auch die Opta-Daten belegen einen Leistungsabfall.
Mats Hummels: Seine Leistungsdaten beim FC Bayern in der Bundesliga
2018/19 | 2017/18 | |
6 | Spiele | 26 |
6 | Startelf | 25 |
0 | Tore | 1 |
62.5% | Zweikampfquote | 63.3% |
66% | Luft-ZK-Quote | 62% |
90% | Passquote | 87% |
103 | Ballaktionen/90 Min. | 95 |
1.6 | Klärende Aktionen/90 Min. | 2.3 |
0.4 | Fouls/90 Min. | 0.7 |
10 | Kilometer/90 Min. | 10 |
14 | Sprints/90 Min. | 15 |
32.0 km/h | Topspeed | 32.5 km/h |
Sie zeigen, dass sich Hummels im Vergleich zur letzten Saison bislang nicht verbessert hat: Zwar stimmt die Laufleistung, im Spielaufbau ist er weiterhin prominent involviert und die Passquote ist exzellent. Aber die für einen Innenverteidiger auch letztes Jahr nicht herausragende Zweikampfquote ist leicht gefallen - und die Tatsache, dass er sich in der Luft verbessert hat, zeigt, dass es am Boden umgekehrt schlechter wurde.
Nun ist Hummels ohnehin eher der Typ Spieler, der mit Antizipation und Gedankenschnelligkeit Bälle abfängt und damit Zweikämpfe gewinnt, bevor sie überhaupt entstanden sind. Doch die klärenden Aktionen sind im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken. Zudem hat sein Topspeed noch einmal nachgelassen: Jerome Boateng (32.6 km/h) liegt vor ihm, Niklas Süle (34.2 km/h) distanziert ihn sogar deutlich.
Mats Hummels ist bei Bundestrainer Joachim Löw gesetzt - noch
Folgen für seine Einsatzzeit hatte das bisher nur bedingt: Bei den Bayern rotiert Niko Kovac seine drei Innenverteidiger, in den wichtigen Spielen ist Hummels aber weiter erste Wahl - sogar angeschlagen, wie man gesehen hat. Auch Löw baut weiter auf ihn: Alle drei Spiele der Nations League bestritt der Rechtsfuß über die volle Spielzeit.
Aber die Nachrücker, die Rüdigers, Ginters und Tahs, sie drängen sich auf. Es gebe für niemanden einen Freifahrtschein, betonte Oliver Bierhoff auf der Pressekonferenz am Dienstag, als es inmitten der Schulklassen auf einmal ernst wurde. Schließlich müsse man bei der Nationalelf keine langfristigen Verträge unterschreiben.
Hummels, Boateng und Süle: Innenverteidiger in der Krise
Dazu kommt: Bei den Bayern - und damit wohl auch in der DFB-Elf - profitiert Hummels davon, dass Nebenmann Boateng ebenfalls eine durchwachsene und von Verletzungen geplagte Saison spielt. Hätte der die Bestform vergangener Jahre, er wäre unangreifbar und neben Süle gesetzt.
Apropos Süle: Der hoch veranlagte dritte Mann im Bunde spielt zwar eine sehr ordentliche Saison, ist aber längst nicht neuer Chef in der Innenverteidigung, wie es zu Saisonbeginn proklamiert worden war. Dass er in vier CL-Partien nur auf 91 Minuten Spielzeit kommt und gegen den BVB sogar einen angeschlagenen Hummels nicht verdrängen konnte, ist ganz sicher kein Zeichen für eine Wachablösung.
Das hat Konsequenzen für den Bundestrainer: Wo er zu Saisonbeginn die Qual der Wahl aus drei erstklassigen Bayern-Verteidigern hatte, die in der neuen Dreierkette auch alle hätten zusammenspielen können, stehen nun ein wackelnder Hummels und ein weiter in der Warteschleife feststeckender Süle zur Verfügung. Und ein Boateng mit so großen Defiziten, dass er diesmal erst gar nicht eingeladen wurde.
Hummels' Umgang mit den Medien ist kontraproduktiv
Hummels' Freimut arbeitet nun, angesichts der sportlichen Krisen bei FCB und DFB, zunehmend gegen ihn. Er musste die Erfahrung machen, dass ihn seine Offenheit plötzlich im negativen Sinne verfolgt, fallen seine Analysen nicht deckungsgleich aus mit denen der schreibenden Zunft. Schon während der WM wollte er sich einen Maulkorb verpassen und es spricht in gewisser Weise für ihn, dass er sich nicht daran hält und weiter auf Phrasen verzichtet.
Es hilft ihm jedoch nicht, wenn er sich in Kämpfe verwickeln lässt, die er nicht gewinnen kann. Wenn er nach dem 0:3 in Holland davon spricht, dass man sich "nicht viel vorzuwerfen" hätte oder nach dem Spiel in Dortmund seine Erkältung offenbart - es geht noch nicht einmal darum, ob er recht hat. Es gibt einen feinen Unterschied zwischen "Stimmt nicht" und "Das darf man nicht sagen": Nach einer derartigen Pleite gegen einen Erzrivalen muss er Einsicht zeigen und Besserung geloben. Mehr nicht. Zynisch gesagt: So sind nun mal die Regeln.
Ebenso der Einsatz gegen seinen Ex-Klub: Wie Uli Hoeneß bereits verriet, ist Hummels nicht der Erste, der krank in ein Spitzenspiel ging und er wird auch nicht der Letzte sein. Das jedoch direkt nach Abpfiff zuzugeben, ist vollkommen kontraproduktiv: Es stellt nicht nur seine Professionalität infrage, sondern bringt auch Kovac in die Schusslinie. Für Medien und Fans ist das ein gefundenes Fressen.
Mats Hummels muss sich hinterfragen - und Leistung bringen
Hummels muss daher seinen Umgang mit den Medien hinterfragen. Er macht keinen Hehl daraus, dass er die öffentlichen Diskussionen genau verfolgt. Darauf reagiert er zunehmend dünnhäutiger, was den Kreislauf von vorn beginnen lässt. Vielleicht muss auch er sich mehr in hohle Phrasen flüchten. Oder Toni Kroos nacheifern, der seine Antworten zwar oftmals in ein unwirsches Gewand kleidet, dabei aber nur selten Schlagzeilen durch Medienkritik provoziert.
Er muss auch sich selbst hinterfragen: Wollte er gegen Dortmund unbedingt spielen, weil er wusste, dass sein Stammplatz wackelt? Weil sich eine Innenverteidiger-Kombination durch einen guten Auftritt gegen den BVB hätte festspielen können? So hat er seinem Team enorm geschadet.
Vor allem aber muss er endlich wieder die Leistung der letzten Jahre zeigen. Dann erledigen sich die meisten Probleme fast von allein.