Nach dem blamablen Auftritt gegen Nordmazedonien macht sich große Ernüchterung beim DFB breit. Eine sofortige Entlassung des im Sommer scheidenden Bundestrainers Joachim Löw steht jedoch nicht zur Debatte. Woran muss er bis zum Turnier arbeiten? Und welche Vorwürfe müssen sich die Spieler gefallen lassen? Eine kommentierende Analyse.
DER TRAINER
Joachim Löw sprach nach der ersten WM-Quali-Niederlage seit dem 1:5 gegen England im September 2001 von einer "riesigen Enttäuschung". Seine Mannschaft habe zu keinem Zeitpunkt an die spielerisch, aber auch kämpferisch durchaus ansehnlichen Leistungen gegen Island (3:0) und Rumänien (1:0) angeknüpft.
Das lag auch an Löw selbst, der zum dritten Mal binnen sechs Tagen die nahezu identische Startelf aufbot statt frische Kräfte zu bringen. Mit Robin Gosens rutschte nur ein neuer Feldspieler gegen Nordmazedonien in die Mannschaft. Das Argument, man müsse sich einspielen, mag in Nicht-Corona-Zeiten vertretbar sein. Doch gerade Dauerbrennern wie Leroy Sane, Serge Gnabry oder dem unlängst sogar noch angeschlagenen Leon Goretzka war die Erschöpfung anzumerken.
Auch Defensivspieler wie Emre Can wirkten - nicht nur beim ersten Gegentor - weitaus weniger konzentriert als noch in den beiden Spielen zuvor. Zumal für sie alle schon am Samstag in der Bundesliga alles andere als unwichtige Spiele warten. Und Kai Havertz, einer der kreativen Köpfe, hatte in Hälfte eins schon mit Fünf-Meter-Pässen Schwierigkeiten.
All das hätte Löw erkennen und spätestens zur Pause wechseln müssen. Stattdessen brachte er Amin Younes und Timo Werner erst nach 56 Minuten. Andere zuletzt für frischen Wind sorgende Spieler kamen erst gar nicht (Philipp Max, Florian Neuhaus) oder zu spät (Jamal Musiala) zum Zug. Florian Wirtz, trotz seiner 17 Jahre schon Leistungsträger bei Bayer Leverkusen, wäre noch so eine Option gewesen, um die dicht gestaffelte Defensive der Nordmazedonier zu knacken. Angesichts seiner Ausbeute von null Spielminuten in drei Spielen hätte er auch zur U21-Europameisterschaft mitfahren können.
Noch frappierender als die personellen (Nicht)-Wechsel war aber Löws taktische Umstellung. Die deutsche Mannschaft begann gegen Nordmazedonien mit einer aus Matthias Ginter, Antonio Rüdiger und Emre Can bestehenden Dreierabwehrkette, obwohl die 4-3-3-Grundordnung sowohl gegen Island als auch gegen Rumänien sehr gut funktioniert hatte.
Ginter agierte zeitweise zwar mehr als Rechtsverteidiger, konnte aber nicht die nötigen offensiven Impulse setzen und Sane unterstützen, der über rechts viel weniger in Eins-gegen-Eins-Situationen ging als zuletzt über links. Auffälligkeiten, die der Bundestrainer auch schon in Durchgang eins hätte anpassen können. Dass Sane die Seite wechselt, Gnabry vielleicht mal auf die rechte Außenbahn geht und Havertz dafür in die Rolle des falschen Neuners schlüpft, war aber offensichtlich keine Option für Löw.
Ebenso wenig, einen der vielen Verteidiger - zum Beispiel Ginter - vorzeitig durch einen zusätzlichen Mittelfeldspieler zu ersetzen und Kimmich dafür die Rolle des echten Rechtsverteidigers zu übertragen. Stattdessen waren im menschenleeren Duisburger Stadion nur kreisligataugliche Kommandos wie "Weiter so", "Seitenwechsel" oder "Kein Foul" von Löw zu vernehmen. Bei der EM, erst recht gegen Schwergewichte wie Frankreich oder Portugal, ist ein besseres In-Game-Coaching erforderlich. Löw selbst will auch nach der dritten großen Blamage des DFB seit 2018 nicht aufgeben. Und auch aus DFB-Kreisen ist zu vernehmen, dass eine vorzeitige Entlassung des 61-Jährigen nicht zur Debatte steht.
DIE MANNSCHAFT
Bei aller berechtigten Kritik an Löw müssen sich auch die Spieler Vorwürfe gefallen lassen. Momentan ist die deutsche Mannschaft nur eine Ansammlung von Top-Spielern und welchen, die es möglicherweise noch werden können. Homogenität? Fehlanzeige. Wenngleich seit dem 0:6 in Spanien zwar weitaus mehr kommuniziert wird: Man hat nicht das Gefühl, dass eine geschworene Einheit auf dem Platz steht, die füreinander arbeitet.
Die fehlende Dynamik und Energie im Spiel mit, vor allem aber im Spiel ohne Ball kann nicht nur mit Müdigkeit entschuldigt werden. Wenn sich schon Nordmazedonien aus dem alibihaften deutschen Pressing befreien kann, was machen dann Frankreich und Portugal im Juni?
Gewiss, im Vorfeld der EM wird auch im taktischen Bereich mehr einstudiert werden können, aber Grundtugenden wie Kampfgeist lassen sich nicht trainieren. Ebenso wenig wie die Verwertung hochkarätiger Chancen. Timo Werner war nicht der einzige Spieler, der vor dem Tor des Weltranglisten-65. versagte. Auch Gnabry und Goretzka ließen am Mittwochabend Top-Gelegenheiten liegen. So ergab sich eine Torschussstatistik von 3:2 für Nordmazedonien. Ein Armutszeugnis, zumal es sich bei einem der beiden deutschen Schüsse aufs nordmazedonische Tor um den eher glücklich zustande gekommenen Elfmeter durch Ilkay Gündogan handelte.
"Das ist nicht unser Anspruch", räumte der als einziger Spieler für Pressefragen zur Verfügung stehende Profi von Manchester City ein und gelobte Besserung. Bei der EM müssen er und seine Kollegen zur Abwechslung auch mal Worten Taten folgen lassen. Die nach den stabil und konstant wirkenden Leistungen vergangene Woche erzeugte Aufbruchstimmung ist nun jedenfalls dahin. Und ob sie sich einzig durch die Reaktivierung ausgebooteter Weltmeister zurückholen lässt, darf bezweifelt werden.
DAS DRUMHERUM
Die Diskussionen um Mats Hummels und Thomas Müller, die Grabenkämpfe in der Verbandsspitze und die Suche nach einem neuen Bundestrainer - was zuletzt über den DFB zu lesen und zu hören war, hatte wenig mit dem eigentlichen Geschehen auf dem Platz zu tun. Umso besser, dass die Spieler all die Nebenkriegsplätze auszublenden schienen und mit zwei Siegen ins neue Länderspieljahr starteten. Doch der Auftritt gegen Nordmazedonien brachte das Drumherum und alles andere als unwichtigen Nebenkriegsschauplätze wieder zum Vorschein.
Was nach dieser Länderspielpause neben vielen sportlichen Zweifeln bleibt, ist das Imageproblem des DFB. Die Idee der Spieler, mit diversen Trikot-Aktionen auf die Menschenrechtslage in Katar aufmerksam zu machen, war zwar lobenswert und sicher gut gemeint. Allerdings ließ der Verband diese Idee eher als konstruierten PR-Gag aussehen, indem er auf seinen Social-Media-Kanälen ein "Making of" präsentierte, das die Spieler beim Bemalen ihrer Trikots zeigte.
Kritiker der "Bierhoffisierung" beim DFB fühlten sich wieder einmal bestätigt. Und Ex-Nationalspieler Didi Hamann merkte alles andere als zu Unrecht via Twitter an: "Mit dem Elend Tausender PR zu machen zeigt, wie weit ihr euch von uns entfernt habt." Nach dieser Länderspielpause lässt sich festhalten: Nicht nur Trainer und Mannschaft haben nach wie vor viel gutzumachen, sondern auch der Verband.
Der Fahrplan der deutschen Nationalmannschaft 2021
Datum | Uhrzeit | Austragungsort | Wettbewerb | Partie |
7. Juni 2021 | 20.45 Uhr | Düsseldorf | Testspiel | Deutschland - Lettland |
15. Juni 2021 | 21 Uhr | München | EM-Vorrunde | Frankreich - Deutschland |
19. Juni 2021 | 18 Uhr | München | EM-Vorrunde | Portugal - Deutschland |
23. Juni 2021 | 21 Uhr | München | EM-Vorrunde | Deutschland - Ungarn |
2. September 2021 | 20.45 Uhr | tbd | WM-Qual | Liechtenstein - Deutschland |
5. September 2021 | 20.45 Uhr | tbd | WM-Quali | Deutschland - Armenien |
8. September 2021 | 20.45 Uhr | tbd | WM-Quali | Island - Deutschland |
8. Oktober 2021 | 20.45 Uhr | tbd | WM-Quali | Deutschland - Rumänien |
11. Oktober 2021 | 20.45 Uhr | tbd | WM-Quali | Nordmazedonien - Deutschland |
11. November 2021 | 20.45 Uhr | tbd | WM-Quali | Deutschland - Liechtenstein |
14. November 2021 | 18 Uhr | tbd | WM-Quali | Armenien - Deutschland |