Ausgepumpt und kopfschüttelnd stand Niklas Dorsch nach dem Triumph über Portugal im EM-Finale beim Interview. "Ich verstehe kein Wort. Aber das ist mir auch scheißegal. Das ist so geil, das glaubst du mir gar nicht", brüllte der emotionale 23-Jährige in das Mikro, ehe er eine besondere Liebeserklärung anfügte.
Und zwar nicht an seine Freundin oder Eltern, sondern an die Großmutter: "Als erstes muss ich meine Oma grüßen, die sitzt gerade am Fernseher. Die hat mir gestern die schönste Nachricht seit langem geschickt. Oma, ich liebe dich. Danke für alles."
Oma Dorsch hatte nämlich vor dem Finale mit einem Video, das der Enkel stolz auf Instagram teilte, für eine ganz spezielle Motivationsspritze gesorgt. Neben dem Viel-Glück-Wünschen auf fränkisch wurde ein Sauerbraten und eine Haxe als Belohnung ausgelobt - natürlich nur, wenn der Enkel die Silberware mit nach Hause bringt. Offenbar ein besonderer Ansporn für den gebürtigen Franken.
Denn die Motivation merkte man Dorsch sofort an, als er den Platz betrat. Inbrünstig sang er die Nationalhymne mit, wie man es sonst eher nur von italienischen Berufskollegen gewohnt ist. Mit der gleichen Leidenschaft ging er auch im Spiel zu Werke. Als zentraler Mann der Mittelfeld-Dreierreihe dirigierte er seine Nebenmänner Salih Özcan und Arne Maier, zog Fouls, schmiss sich in Zweikämpfe und durchkreuzte immer wieder die Angriffsbemühungen der Portugiesen.
Niklas Dorsch leitet entscheidenden Treffer ein
Er war der Dominator im Zentrum, der emotionale Leader der deutschen Mannschaft und damit auch Mann des Spiels. Am Ende standen acht Balleroberungen und eine Zweikampfquote von 66,7 Prozent zu Buche. Ganz nebenbei spielte er auch noch den entscheidenden öffnenden Pass auf Rechtsverteidiger Ridle Baku vor dem 1:0 durch Lukas Nmecha. Ein Spielstil, der ein wenig an Joshua Kimmich erinnert - natürlich (noch) auf einem deutlichen geringeren Level.
Diese Qualitäten schätzt auch Stefan Kuntz. "Er hat auf der Sechs für meine Begriffe so gute und tolle Spiele gemacht", sagte U21-Trainer nach der Vorrunde Ende März in Ungarn. Dementsprechend war es auch keine Frage, dass Dorsch für die K.o.-Runde nominiert wird.
Niklas Dorsch im Steckbrief
Geburtsdatum: | 15.01.1998 |
Geburtsort: | Lichtenfels |
Alter: | 23 |
Größe: | 1,78 m |
Nationalität: | Deutschland |
Fuß: | rechts |
Verein: | KAA Gent |
Vertrag bis: | 30. Juni 2024 |
Und das, obwohl er sich in der Gruppenphase gegen Rumänien und die Niederlande zwei Gelbe Karten abgeholt hatte und damit beim Viertelfinal-Krimi gegen Dänemark zum Zuschauen verdammt gewesen war. Im Halbfinale gegen Oranje kehrte er in die Startformation zurück. "Ich hatte nicht so viel zu tun, weil die Jungs davor viel weggenommen haben. Es war nicht so anstrengend für mich", sagte Innenverteidiger Nico Schlotterbeck nach dem Spiel. Eindeutig auch ein Verdienst von Rückkehrer Dorsch.
Der 23-Jährige hat somit die große Bühne für ein amtliches Bewerbungsschreiben genutzt. Schon nach der Vorrunde hatte er selbstbewusst angekündigt, dass er bereit für mehr sei. Mehr als die belgische Jupiler Pro League, wo er in der abgelaufenen Saison für den KAA Gent auflief. Mehr als die 2. Liga mit dem 1. FC Heidenheim, mehr als nur mittrainieren beim FC Bayern.
Niklas Dorsch: Von Ancelotti beim FC Bayern verschmäht
Ja richtig, Dorsch ist ein verschmähtes Talent des FC Bayern. Er durchlief nach seinem Wechsel vom 1. FC Nürnberg zum FC Bayern ab der U16 alle Jugendmannschaften des FCB. Ins Münchner Starensemble unter dem damaligen Trainer Carlo Ancelotti konnte er sich aber nicht spielen. "Ich habe einfach keine faire Chance bekommen. Junge Spieler wurden nicht so beachtet", trat er 2018 in der tz gegen den italienischen Coach nach.
Jupp Heynckes verhalf ihm zwar später zum Bundesliga-Debüt, in dem er sogar gleich traf. Da stand jedoch sein Abgang schon fest. Ablösefrei ließen ihn die Bayern im Sommer 2018 nach Heidenheim ziehen. Dorsch reifte dort zum Stammspieler und war im zweiten Jahr der beste Sechser der 2. Liga. Nach dem bitteren Scheitern in der Relegation gegen den SV Werder Bremen rechneten viele mit einem Wechsel in die Bundesliga, doch Dorsch entschied sich für den Wechsel zu Gent - dank einer Ausstiegsklausel in Höhe von 3,5 Millionen Euro.
Das internationale Geschäft lockte, wenn auch nur die Europa League, da die Belgier in der Champions-League-Qualifikation an Dynamo Kiew scheiterten. Die Spielzeit in Gent wurde im Anschluss zum mittelschweren Desaster. Drei Trainer hatten die Belgier innerhalb von fünf Monaten, in der Europa League sprang in der Gruppenphase kein einziges Pünktchen heraus und in der Liga wurde man am Ende nur Siebter.
Niklas Dorsch: Interesse aus der Bundesliga?
"Wenn du solche Dinge in fünf oder sechs Monaten erlebst, ist das etwas, was ich absolut nicht wollte und weshalb ich nicht hierher gekommen bin", sagte Dorsch im April im Interview mit transfermarkt.de. Sein Abschied steht nach nur einer Spielzeit und trotz Vertrags bis Juni 2024 bevor. Gent möchte ihn Medienberichten zufolge wohl für sechs Millionen Euro verkaufen. Wohin es Dorsch zieht, ist noch unklar.
"Langfristig gesehen ist Deutschland schon ganz klar mein Ziel, dort will ich mich durchsetzen. Die Bundesliga ist somit auch mein nächstes Ziel", erklärte Dorsch. Dort hat er durch die U21-EM Begehrlichkeiten geweckt. Der Sport Bild zufolge sollen Hertha BSC und der VfL Wolfsburg den Mittelfeldspieler auf dem Zettel haben.
Die aktuell heißeste Spur führt jedoch angeblich nicht in die höchste deutsche Spielklasse, sondern nach Frankreich. Meister OSC Lille soll interessiert sein. In Kürze würden die Verhandlungen mit Dorsch starten.
Bevor er sich jedoch um seinen zukünftigen Arbeitgeber kümmert, hat Dorsch einen Termin in seiner Heimat. Denn den Sauerbraten und die Schweinshaxe aus Omas Küche wird sich der überragende Mann des U21-EM-Finals gewiss nicht entgehen lassen.
Niklas Dorsch: Karrierestationen
Jahre | Station |
2009-2012 | Jugend 1. FC Nürnberg |
2012-2015 | Jugend FC Bayern München |
2015-2018 | FC Bayern München II |
2016-2018 | FC Bayern München |
2018-2020 | 1. FC Heidenheim |
2020- | KAA Gent |