Dass Thomas Müller, Ilkay Gündogan oder Leroy Sané für die Spiele gegen Peru und Belgien nicht von Flick berücksichtigt wurden, ist nach dem WM-Fiasko in Katar ein nachvollziehbarer Schritt.
Die Problempositionen Außenverteidiger und Stürmer aber mit Spielern zu füllen, die außerhalb der Städte ihrer Vereine der breiten Masse nur wenig sagen, ist durchaus überraschend und gleichzeitig mutig.
Wer sind Mergim Berisha, Felix Nmecha, Kevin Schade und Josha Vagnoman eigentlich? Und warum hat sich Dortmunds Marius Wolf seinen Platz in der deutschen Nationalmannschaft verdient? SPOX bringt etwas Licht ins Dunkel.
Mergim Berisha
- Stürmer, 24, FC Augsburg
Spätestens nach seinem Doppelpack gegen den FC Bayern dürfte Berisha neben Marius Wolf wohl der bekannteste Name des Quintetts sein. Schon im Hinspiel hatte er gegen die Münchner getroffen und war damals der Matchwinner beim 1:0-Sieg. Mit insgesamt fünf Toren in vier Spielen gegen den Rekordmeister kann Berisha durchaus als Bayern-Schreck bezeichnet werden. In Augsburg wurde in der Vergangenheit schon häufiger die Werbetrommel für den Stürmer gerührt, nun hat es mit der Nominierung geklappt.
FCA-Coach Enrico Maaßen sieht "wenige bessere Neuner in Deutschland", Torwart Rafal Gikiewicz stellte ihn sogar über zwei Weltstars. "Er hat gute Tore geschossen und gegen Upamecano gute Zweikämpfe gewonnen - mehr als Mbappé und Messi", sagte er nach dem Bayern-Spiel. In vier Spielen gegen den Rekordmeister hat er fünfmal getroffen, sogar der dortige Sportchef Hasan Salihamidzic lobte: "Er ist vor der Kiste sehr gut."
Den "Adler auf der Brust zu tragen", sagte Berisha, "war immer mein Traum". Im DFB-Trikot feierte er mit dem Gewinn der U21-Europameisterschaft 2021 seinen bislang größten Erfolg. Berisha war in der Startformation gesetzt, Tore steuerte er jedoch keines bei. Nur einmal in 13 Spielen netzte er für den deutschen Nachwuchs - und zwar in der EM-Qualifikation gegen Moldawien. Aufgrund seiner Fähigkeiten, den Ball fest zu machen und seine Teamkollegen in Szene zu setzen, stand er unter dem damaligen Trainer Stefan Kuntz aber nie zur Debatte.
Die Zukunft von Berisha ist derweil noch offen. Aktuell ist er von Fenerbahce Istanbul lediglich an die Fuggerstädter ausgeliehen. Nach zwölf Scorerpunkten in 18 Pflichtspielen spricht jedoch alles dafür, dass die Kaufoption gezogen wird. Womöglich nur, um ihn dann im Sommer für mehr Geld weiterzuverkaufen. So ein Länderspiel schadet in Sachen Marktwert schließlich nicht.
Mergim Berisha: Leistungsdaten beim FC Augsburg in dieser Saison
- Zahlen von transfermarkt.de
Pflichtspiele | Tore | Assists | Einsatzminuten |
18 | 8 | 4 | 1.459 |
Felix Nmecha
- Mittelfeldspieler, 22, VfL Wolfsburg
Einen Nmecha in der Nationalmannschaft zu sehen, ist nicht neu. Dass es am Ende Felix und nicht der große Bruder Lukas wird, kommt auf den ersten Blick aber etwas überraschend. Der Ältere hat bereits sieben Länderspiele absolviert, tiefe Spuren dabei allerdings noch nicht hinterlassen. Derzeit ist er - mal wieder - verletzt. Seine Anfälligkeit hatte ihn schon eine mögliche Teilnahme am Ausflug nach Katar gekostet.
Felix Nmecha hingegen hat in dieser Saison den Durchbruch bei den Wölfen geschafft. Der geborene Hamburger steht regelmäßig in der Startelf von Coach Niko Kovac. Meistens wird der 22-Jährige als offensiver Mittelfeldspieler hinter den Spitzen eingesetzt. Eine Reihe weiter hinten oder auf der rechten sowie linken Seite kann er ebenfalls spielen.
Der einstige Spieler von Manchester City hat trotz seiner noch jungen Karriere sogar schon einen kleinen Shitstorm hinter sich. Er teilte bei Instagram ein transphobes Video eines amerikanischen Rechtspopulisten. Nach heftiger Kritik erklärte er dies mit seinem christlichen Glauben.
Davon abgesehen darf sich Flick aber auf einen vielseitigen Mittelfeldmann mit ausgeprägtem Offensivdrang freuen. Und im Gegensatz zu den anderen vier Neuen kann er obendrein noch von sich behaupten, in drei Spielen und 72 Minuten für Pep Guardiola auf dem Platz gestanden zu haben.
Felix Nmecha: Leistungsdaten in dieser Saison
- Zahlen von transfermarkt.de
Pflichtspiele | Tore | Assists | Einsatzminuten |
22 | 2 | 4 | 1.088 |
Kevin Schade
- Flügelstürmer, 21, FC Brentford
Schaut man auf die Zahlen in dieser Saison, ist die Nominierung von Schade die mit Abstand größte Überraschung. Seit seinem Winter-Wechsel auf Leihbasis nach Brentford stand der Außenstürmer keine zwei volle Partien auf dem Platz. 178 Minuten in acht Einsätzen absolvierte er für den Premier-Klub. Schon in Freiburg war er nur auf acht Kurzeinsätze gekommen - allerdings hatte ihn schon in der Vorsaison eine zunächst unerwartet hartnäckige Bauchmuskel-Verletzung für mehrere Monate außer Gefecht gesetzt.
Zu einer Rückkehr nach Deutschland wird es im Sommer wohl nicht kommen. Die Leihe beinhaltet eine Kaufpflicht, die an leicht zu erreichende Bedingungen geknüpft ist. Dann werden 25 Millionen Euro fällig - Rekord für den SCF.
Nach seinem einzigen Treffer in dieser Spielzeit, damals noch für den Sportclub, hatte ihm Flick bereits eine Motivationsnachricht aufs Handy geschickt. Ende November erzielte Schade, für den der DFB immer ein "Traum-Ziel" war, zudem sein viertes Tor im fünften Spiel für Deutschlands U21 - eine Statistik, die schon eher dem Potenzial des 21-Jährigen entspricht.
Vor seiner langen Verletzungspause hatte der pfeilschnelle Schade, der sowohl rechts als auch links und sogar in der Spitze spielen kann, in der Bundesliga nämlich für mächtig Wirbel gesorgt und war zwischenzeitlich auch zu einem Liebling von Christian Streich aufgestiegen. Das Freiburger Eigengewächs kam vor der aktuellen Spielzeit auf solide sieben Scorerpunkte in 24 Spielen.
Kevin Schade: Leistungsdaten in dieser Saison
- Zahlen von transfermarkt.de
Pflichtspiele | Tore | Assists | Einsatzminuten |
12 (SC Freiburg) | 1 | 2 | 295 |
8 (FC Brentford) | - | 1 | 178 |
Josha Vagnoman
- Rechtsverteidiger, 22, VfB Stuttgart
Der Nächste im Bunde, der bei seinem Klub kein Stammspieler ist. VfB-Coach Bruno Labbadia ließ auf der rechten Abwehrseite zuletzt lieber den Innenverteidiger Waldemar Anton spielen als Vagnoman, der immerhin für diese Position ausgebildet wurde.
Denn Vagnoman, kompletter Vorname Josha Mamadou Karaboue, so argumentiert Labbadia, habe "einen großen Teil der Vorbereitung nicht mitmachen können". Allerdings sei der Rechtsverteidiger "im Kommen. Er ist stabil. Das ist gut". Hansi Flick hatte wohl auch seinetwegen angekündigt, er werde mal jemanden dazuholen, der vielleicht im Verein kein Stammspieler sei.
Mit Vagnoman hätte Flick die Möglichkeit, auf eine Dreierkette zu setzen. Der ehemalige Profi des Hamburger SV (73 Spiele, fünf Tore, vier Assists) kann auch die Position des ebenfalls nicht nominierten Jonas Hofmann im rechten Mittelfeld ausfüllen. Außerdem ist der U21-Europameister von 2021 auch als Linksverteidiger einsetzbar.
Josha Vagnoman: Leistungsdaten in dieser Saison
- Zahlen von transfermarkt.de
Pflichtspiele | Tore | Assists | Einsatzminuten |
15 | - | 1 | 794 |
Marius Wolf
- Rechtsverteidiger, 27, Borussia Dortmund
Ein sehr, sehr unwahrscheinlicher Held: Noch im Winter wäre eine Nominierung von Marius Wolf für die Nationalmannschaft undenkbar gewesen. Doch dann startete der BVB eine große Siegesserie: Wolf empfahl sich immer wieder als harter Arbeiter, der seine taktischen Aufgaben zuverlässig ausführt, schnell und kampfstark ist - und ab und an gefährlich wird. Mehr zu seinem steilen Aufstieg könnt Ihr hier nachlesen.
Da in der DFB-Elf Außenverteidiger verzweifelt gesucht werden, kam sein Aufschwung genau im richtigen Moment. So kann und wird es sehr wahrscheinlich mit 27 ein spätes Debüt geben.
Für Wolf spricht außerdem, dass er die komplette rechte Außenbahn bespielen kann. Als rechter Part in der Viererkette, als Schienenspieler mit einer Dreierkette dahinter oder als klarer Rechtsaußen. BVB-Coach Edin Terzic ließ ihn zu Saisonbeginn auch noch teilweise auf der linken Seite spielen. Denn auf Wolf ist (fast) immer Verlass.
Marius Wolf: Leistungsdaten in dieser Saison
- Zahlen von transfermarkt.de
Pflichtspiele | Tore | Assists | Einsatzminuten |
23 | 1 | 2 | 1.289 |
Fazit
Trotz des zweifellosen Talents der jeweiligen Spieler zeigt Flicks Nominierung, dass die Auswahl für die Baustellen auf den defensiven Außenbahnen und im Sturm begrenzt ist. 15 Monate vor der angestrebten großen Wiedergutmachung werden es am Ende mit großer Wahrscheinlichkeit die Spieler richten müssen, die auch schon in der Vergangenheit den Adler auf der Brust getragen haben. Darunter Rückkehrer Florian Wirtz, Jamal Musiala oder Joshua Kimmich.
Das neue Quintett oder auch der wieder berücksichtigte Emre Can dürften der DFB-Auswahl allenfalls mehr Breite geben, sie sorgen aber auch für mehr Kampf um die begehrten Plätze für die Heim-EM.
Dennoch ist wichtig, dass Flick schnellstmöglich ein stabiles Gerüst um seine Leistungsträger baut - und dazu müssen eben auch verschiedene Alternativen getestet werden.