Zocker ohne Stürmerblut

Verheddert: Mesut Özil bleibt im Zweikampf hängen, Marco Reus beobachtet
© getty

Auch beim Sieg in Georgien wird eine Schwäche der deutschen Nationalmannschaft offensichtlich. Sie kann sich zwar eine Vielzahl von Chancen erspielen, im Abschluss fehlt vielen Spielern aber die nötige Kaltschnäuzigkeit.

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Die englische Zeitung Telegraph hat vor zwei Wochen über ihren Twitterkanal ein Bild veröffentlicht, auf dem Mesut Özil zu sehen ist.

Es ist eine Szene, in der der Nationalspieler im Dress des FC Arsenal im Strafraum ungefähr acht Meter vor dem Tor steht. Die Schussbahn ist frei, in der Mitte bietet sich Olivier Giroud kurz an und auf der gegenüberliegenden Seite ist hinter einer Gruppe von Verteidigern ein Mitspieler in Position gelaufen.

Im Bild sind mögliche Blickwinkel eingezeichnet mit dem Hinweis "What humans see" und "What Özil sees". Für den Telegraph wird das ganze Schaffen von Özil in diesem Moment auf den Punkt gebracht.

Löw und seine Zocker

Es lässt sich sicher darüber streiten, ob Özil in dieser Szene den Abschluss suchen muss oder sein Pass auf den nicht beachteten Theo Walcott ein genialer Moment ist. Aber womit der Tweet eindeutig den Nagel auf den Kopf trifft, ist, dass der Schnörkel ein fester Bestandteil von Özils Spiel ist.

Der Nationalspieler ist kein Abschlussspieler, er ist immer auf der Suche nach dem Mitspieler, selbst wenn er im Strafraum in aussichtsreicher Position ist. Und damit steht Özil stellvertretend für eine Generation von Spielern, die in der Nationalmannschaft aktuell das Offensivspiel prägen.

"Zocker" nennt Bundestrainer Joachim Löw seine technisch feinen Ballkünstler im Angriff. Er hält sie für das Spiel auf "engstem Raum prädestiniert", wie er nach dem Sieg in Georgien sagte. Aber er hat auch festgestellt, dass bei aller Finesse das Ziel des Spiels nicht aus den Augen geraten darf.

Die Kaltschnäuzigkeit fehlt

Löw zeigte sich deshalb in Tiflis auch mit der ersten Halbzeit zufrieden, "da haben wir dynamisch nach vorne gespielt, hatten eine gute Raumaufteilung in der Breite und Tiefe". In der zweiten Hälfte "haben wir das Spiel verwaltet, ohne Zug zum Tor gespielt und einige Chancen liegen lassen".

Es zieht sich durch die gesamte EM-Qualifikation, dass die DFB-Elf zu wenige Tore erzielt, neun sind es nach fünf Spieltagen, davon vier gegen Gibraltar. Im Abschluss fehlt Spielern wie Marco Reus, Mario Götze und Özil immer wieder die Kaltschnäuzigkeit, manchmal auch das Glück, wie bei Reus' Lattenschüssen.

Es war gegen Georgien "im und um den Sechzehner knifflig", wie es Thomas Müller ausdrückte. Aber "wir hatten vorne auch zu viele Ballverluste". Er nahm sich dabei selbst von dieser Kritik nicht aus. Dabei ist der Bayern-Angreifer noch der Spieler, der im aktuellen Team normalerweise am geradlinigsten Richtung Tor spielt und auch die wenigsten Chancen vergibt.

Ein Mittelstürmer für alle Fälle

"Manchmal haben wir es zu kompliziert gemacht, so sind uns viele Chancen flöten gegangen", sagte Toni Kroos. Löw vermisste in der zweiten Halbzeit das dritte oder vierte Tor, um endgültig Ruhe zu haben.

Diese Momente verdeutlichten, dass Löw nicht nur die mangelhafte Chancenwertung Sorgen bereitet, sondern auch die Momente, in denen gar keine echte Chance entsteht, weil wieder eine Girlande zu viel an den Angriff gebunden wurde oder kein Abnehmer für den letzten Pass in Position gelaufen war.

Man darf nicht vergessen, dass Deutschland durch ein Tor von Götze in Brasilien Weltmeister wurde und auch in den Runden zuvor ohne einen klassischen Mittelstürmer sehr erfolgreich agierte. Aber in gewissen Situationen war der Stürmer-Instinkt von Miroslav Klose äußerst hilfreich.

Gomez vor Rückkehr

Löw weiß das, er hat sich nie endgültig von einem Spiel mit Mittelstürmer verabschiedet. Dafür hat er sich Flexibilität auf die Fahne geschrieben. Dazu gehört auch eine Mischung im Angriff. Auch wenn sich die öffentliche Diskussion von der falschen Neun aktuell zur Dreierkette verlagert hat, wird die Besetzung der vordersten Position über kurz oder lang wieder zum Thema werden.

Auch deshalb hat der Bundestrainer zu Beginn der Länderspielwoche Mario Gomez eine Rückkehr in den Kreis der Nationalmannschaft in Aussicht gestellt. In Georgien gab es Spielzüge, die ein Typ wie Gomez mit einem einfachen Fußhinhalten vollenden hätte können.

Sollte der Stürmer des AC Florenz mal eine Zeit lang von Verletzungen verschont bleiben, ist eine Nominierung für die Länderspiele im Juni (USA und Gibraltar) und den von Löw ausgerufenen "heißen Herbst" mit Spielen gegen Polen, Schottland und Irland wahrscheinlich.

Georgien - Deutschland: Daten zum Spiel