Thomas Müller war gut vorbereitet. Mit Bastian Schweinsteiger hatte er bei Youtube einige Videos aufgestöbert und sich im Vorfeld des EM-Qualifikationsspiels die Hymne der Schotten im Hampden Park reingezogen. Nun muss man festhalten, dass die Clips schon einen Eindruck vermitteln, wie das so laufen könnte im schottischen Nationalstadion, aber die Realität das Filmmaterial doch um Längen übertrifft.
Dass letzte Mal, dass der deutschen Nationalmannschaft eine fremde Hymne derart innbrünstig und leidenschaftlich entgegengeschmettert wurde, dürfte im WM-Halbfinale gegen Brasilien in Belo Horizonte gewesen sein. Es war ein Höllenlärm, den die 50.753 aus den schon nachmittags gut gefüllten Pubs der Innenstadt in den Hampden Park mitgebracht hatten.
Mats Hummels twitterte später, er habe Gänsehaut gehabt, als die Schotten "Flower of Scotland" gesungen hätten. Müller meinte: "Da muss schon was anderes passieren, dass ich Gänsehaut bekomme."
Keine Angst vorm Hampden Roar
Auf jeden Fall hat der Hampden Roar die deutschen Spieler nicht so erschreckt, als dass sie vor Furcht erstarrt wären. Deutschland übernahm von Beginn an das Kommando und erzielte außergewöhnlich hohe Ballbesitzwerte verbunden mit einer ausgezeichneten Passquote.
Das bedeutete, dass die DFB-Elf das Spiel mit ihrem Pass- und Positionsspiel kontrollieren konnte. Gegen Polen gelang dies am vergangenen Freitag kaum. "Mit dem Ball haben wir besser gespielt als gegen Polen", stellte Müller fest.
Allerdings verteidigten die Schotten auch deutlich tiefer und vielbeiniger als die Polen. Schottland hat nicht viel für ein gutes Spiel und für die Offensive getan hat. Somit mussten wir die richtige Mischung aus Dynamik und Geduld finden", sagte Löw.
Es war genau dieser Mix, der den Deutschen im Jahr dem WM-Triumph etwas abhanden gekommen war. Die Leichtigkeit, gegnerische Bollwerke auseinanderzuspielen, war nicht mehr da.
Einfache Gegentore nach Standards
In Glasgow setzte die Mannschaft ihre aufsteigende Form aus dem Polenspiel fort. "Wir wussten, dass es ein Geduldsspiel werden würde", sagte Müller. "Aber wir haben immer wieder die Zwischenräume gefunden, das Spiel verlagert und die Läufe in die Tiefe gemacht, um Platz zu schaffen."
Das klappte gegen kampf- und laufstarke Schotten freilich nicht immer, so dass echte Chancen an einer Hand abzuzählen sind. Aber die Ansätze waren doch sehr vielversprechend. Und defensiv stand das Team eigentlich sehr sicher. Eigentlich.
Denn aus dem Spiel heraus ließen die Deutschen so gut wie nichts zu, aber bei Standardsituationen kamen die Schotten zu einfachen Toren. Es sei aber nicht so, dass "wir da amateurhaft agiert" hätten, wie Müller meinte. Die Schotten hätten das einfach gut gemacht und ihre Qualitäten ausgespielt.
Cool geblieben und Spiel durchgezogen
Fast noch wichtiger, als das zukünftige Vermeiden solch leichter Gegentore, war den Spielern aber die Reaktion auf die Ausgleichstreffer. "In einer solchen Situation ist es wichtig, cool zu bleiben und den Spielstil nicht zu verändern", sagte Manuel Neuer. "Das haben wir getan und kurz nach der Halbzeit das 3:2 erzielt."
Es hatte den Anschein, als hätten die Deutschen nach den Gegentreffern immer wieder ein Stück zugelegt. Man sei drangeblieben und in den nächsten fünf, zehn Minuten noch mehr gelaufen, sagte Müller.
Kontrolle der Underdogs
Neben den sechs Punkten aus den bedeutungsvollen Qualifikationsspielen bleibt auch die Erkenntnis, dass das DFB-Team seine offensive Wucht und Unberechenbarkeit wiedergefunden hat. Die Partie gegen die Schotten steht exemplarisch dafür, dass das Spiel gegen die kleineren Nationen wieder sitzt.
Doch die Ansprüche der Mannschaft sind höhere. Deutschland will Titel gewinnen, eine Ära prägen wie zuletzt die Spanier. Da ist die Kontrolle der Underdogs eine Grundvoraussetzung. Die nächste Gelegenheit zur Beweisführung bietet sich schon in vier Wochen, wenn der Weltmeister in Irland gastiert und auf eine Mannschaft trifft, die ähnliche Stärken besitzt wie Schottland.
"Nach unseren Leistungen in den letzten beiden Spielen gehe ich nicht davon aus, dass wir dort schwach auftreten werden", sagte Müller. Mit einem Punktgewinn in Dublin wäre die Qualifikation für die Endrunde endgültig perfekt.
Frankreich, Holland, England, Italien
Wie sich Löw die Vorbereitung auf das erstmals mit 24 Mannschaften ausgetragene Turnier vorstellt, zeigt die Ansetzung der nächsten Testspiele. Frankreich, Holland, England, Italien stehen auf dem Programm. Für die zweite Reihe Europas ist kein Platz mehr im Kalender. Der Bundestrainer will sein Team weiter auf höchstem Niveau schleifen.
Wobei sich das DFB-Team im Moment noch nicht ganz sicher sein kann, ob die Oranje aktuell noch zu dieser Kategorie gehört. Den Holländern droht das EM-Aus und sollten sie doch noch die Playoffs erreichen, platzt der Test gegen Deutschland, weil die Termine parallel laufen.
Geht es nach den deutschen Fans, ist die Wahl auf ein bevorzugtes Szenario schon gefallen. "Ohne Holland fahr'n wir zur EM...", sangen DFB-Anhänger mehrmals. Es war nicht der einzige deutsche Beitrag zu diesem stimmungsvollen Abend im Hampden Park.
Schottland - Deutschland: Die Statistik zum Spiel