Auf der Überholspur

Stefan Rommel
08. September 201011:41
Holger Badstuber (3.v.l.) erzielte gegen Aserbaidschan sein erstes Länderspieltor für DeutschlandGetty
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Holger Badstuber krönte einen gelungenen Abend mit der deutschen Nationalmannschaft mit seinem ersten Länderspieltor. Beim 6:1 gegen Aserbaidschan in der Gruppe A der EM-Qualifikation bewies die Elf von Joachim Löw erneut, dass sie auf dem Weg zu einem Weltklasseteam ist - auch wenn der Gegner nicht mehr als Kanonenfutter war.

Das genaue Gegenteil hatte an diesem Abend ein blaues Trikot an, war sieben Jahre älter und überquerte kein einziges Mal die Mittellinie. Berti Vogts hatte für Rashad Sadygov eine ganz spezielle Aufgabe erkoren: Der Spieler mit der Nummer 14 spielte in Aserbaidschans Abwehrkette einen halben Libero.

Und zwar einen der ganz klassischen Art: Nicht raus aus dem Zentrum, nicht auf Abseits spielen, nicht fallen lassen, wenn der Nebenmann den Gegenspieler attackiert. Einfach nur hinten drin stehen und ausputzen. Mit einer Taktik aus seiner größten Zeit als Spieler wartete Vogts beim EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland auf.

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Die flächendeckende Manndeckung feierte ihr überraschendes Revival, so altbacken verteidigte selbst der 1. FC Köln seine Punkte schon lange nicht mehr im eigenen Stadion. Und Köln spielte zuletzt wahrlich sehr defensiv.

DFB-Team ist "State of the Art"

Gegen den WM-Dritten sah Vogts aber genau darin seine Chance - wobei, so richtig war die für den ehemaligen Bundestrainer ja nie existent. "Eine kostenlose Lehrstunde" prognostizierte Vogts. Er wusste gar nicht, wie Recht er damit behalten sollte.

Denn auf der anderen Seite stand nicht nur eine Fußballmacht, dekoriert mit vielen Titeln und einem Namen wie Donnerhall im Weltfußball, die seiner Mannschaft haushoch überlegen ist. Ob heute, gestern, vor fünf oder zehn Jahren.

Das war die deutsche Nationalmannschaft schon immer. Aber jetzt ist sie noch ein bisschen mehr: Eine Form des "State of the Art" des internationalen Fußballs. Zwar längst noch nicht ausgereift, aber immerhin auf einem guten Weg.

In gewisser Weise trifft dieses Mannschaftsbild auch auf Holger Badstuber zu. Wenn vom Bayern-Block im Nationalteam die Rede ist, dann sind die Protagonisten Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller und Miroslav Klose gemeint.

"Wir als FC Bayern... äh, Deutschland..."

Letzterer verplapperte sich nach dem Spiel, als er mit "wir als FC Bayern... äh, Deutschland..." die anstehenden Aufgaben in der EM-Qualifikation skizzierte. Aber zu diesem Bayern-Block gehört zweifelsfrei auch Badstuber.

Nun ist der Weltranglisten-105. - und schon gar nicht in jener passiv-devoten Haltung - geeignet, neue Trends oder eine nachhaltige Faktenlage zu schaffen. Dafür ist Aserbaidschan bei allem Respekt zu schwach. Aber es kann doch Hinweise liefern für den Betrachter und handfeste Erkenntnisse für den Bundestrainer.

Zum Beispiel, dass Holger Badstuber gegen Aserbaidschan einen großen Schritt nach vorne gemacht hat. Dass er einen tollen linken Fuß hat, eine Art von Spielverständnis, die sehr viel Gelerntes mit einer Prise Instinkt verbindet und dass er von hinten heraus ein Spiel lenken kann.

"Wenn ich so viel Platz habe, dann bin ich zuständig für den Spielaufbau", sagt er wie selbstverständlich. Der Gegner ermöglichte ihm einen Korridor von manchmal 30 bis 40 Metern, in den er unbehelligt hineinspazieren konnte. Vogts wollte so die deutschen Außen aus dem Spiel nehmen. Er erkannte damit aber nur die Hälfte des Problems.

Badstuber nutzt Chance eindrucksvoll

"So ein Spiel habe ich auch noch nicht erlebt, in dem ich so viele Ballkontakte hatte und Druck nach vorne machen konnte", erklärte Badstuber weiter. Er konnte so jene Qualitäten bestätigen, die sein Vereinstrainer Louis van Gaal an ihm schätzt - und die seine Konkurrenten in der Art nicht vorzuweisen haben.

Heiko Westermann ist dafür technisch nicht beschlagen genug, mit Arne Friedrich ist der zweite Konkurrent verletzt. Serdar Tasci derzeit nicht in der Verfassung, der Nationalmannschaft weiterzuhelfen und Mats Hummels noch ein Stückchen zu weit vom Team weg. Also ist Badstuber derzeit Deutschlands Innenverteidiger Nummer zwei?

Badstuber hätte dort nicht gespielt, wenn Friedrich nicht verletzungsbedingt hätte absagen müssen. Aber jetzt, wo der Konkurrent schon mal abwesend war, ergriff er die Chance im Handumdrehen.

Braver Badstuber: Erst Leistung, dann Stammplatz

Gegen Belgien und dessen Wuchtbrumme Romelu Lukaku hatte er zunächst Probleme, er kam gegen den 93-Kilo-Mann kaum an den Ball und ließ Lukaku zu allem Überfluss nach der Ballannahme auch noch zu oft mit dem Gesicht zum Tor drehen.

In Eigenregie änderte Badstuber dann aber seine Vorgehensweise. Fortan war vom Wunderstürmer kaum noch etwas zu sehen. Nach 73 Minuten verließ Lukaku entnervt das Feld, in der zweiten Halbzeit hatte er trotz einer ausgedehnten belgischen Druckphase nur noch sechs Ballkontakte.

"Ich bin froh, dass ich jetzt zweimal in der Zentrale zum Einsatz gekommen bin. Ob ich mich da jetzt festgespielt habe, weiß ich nicht. Dazu muss ich längerfristig gute Leistungen bringen. Erst dann kann man von einem Stammplatz reden", sagte der 20-Jährige mit einer Mischung aus Schüchtern- und Unsicherheit.

Plötzlich war er wieder der zurückhaltende Badstuber. Es gab aber auch schon Momente, in denen ihm Beobachter ein großes Maß an Selbstsicherheit mit ein paar Spritzern Arroganz attestieren wollten.

Serbien-Spiel gut weggesteckt

Während der WM war davon schnell nichts mehr zu sehen gewesen. Nach einem ordentlichen Spiel gegen Australien erlebte Badstuber gegen Serbien eine der schwärzesten Stunden seiner jungen Karriere, wurde zum Buhmann, weil er seine linke Seite nicht im Griff hatte und der Gegner darüber auch das entscheidende Tor einfädeln konnte. Danach absolvierte er bei der WM kein Spiel mehr.

Viele zerbrechen an einem solchen Spiel oder fallen zumindest für lange Zeit in ein Loch. Badstuber aber ist nur zwei Monate später fulminant zurückgekehrt.

Nicht auf der eher ungeliebten Position des Linksverteidigers - für die er auf Grund seiner hohen Übersetzung und der fehlenden Wendigkeit auch nur bedingt einsetzbar ist - sondern in der Innenverteidigung.

Dem Zentrum der Verteidigung, aber auch dem Ursprung eines jeden eigenen Angriffs. Allerdings nicht für jeden im Weltfußball. Aber vielleicht hat sich Berti Vogts ja auch ein paar Dinge abgeschaut.

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