Dem Vorbild entwachsen

Toni Kroos feiert mit seinen Mitspielern den Siegtreffer gegen Spanien
© getty

Deutschland feiert mit dem Sieg in Spanien einen gelungen Jahresabschluss. Auch wenn bei beiden Nationen nicht die besten Spieler auf dem Platz standen, zieht Bundestrainer Joachim Löw positive Schlüsse aus der Partie. Der Lernprozess der Spanier ist endgültig abgeschlossen.

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Warum Spanien das beliebteste Ziel deutscher Urlauber im Ausland ist, wurde am Dienstag in Vigo nicht ersichtlich. Der Regen hing schwer über der nordspanischen Stadt am Atlantik. Galicien ist im November nicht immer eine Reise wert und schon gar kein Garant für Strahlen spanischer Sonne.

Dass das Duell zwischen Europameister und Weltmeister ins in die Jahre gekommene Estadio Balaidos vergeben wurde, sorgte im Vorfeld der Partie für Unverständnis. Aber im Nachhinein muss man sagen, dass die Spielplaner des spanischen Verbandes wohl mit erstaunlicher Voraussicht gehandelt haben.

Eine Premiumlösung wie das Estadio Santiago Bernabeu in Madrid oder das Camp Nou in Barcelona hätte dieses Spiel nicht unbedingt verdient, schließlich konnten beide Nationen auch nicht ihre Premiumteams auf den Rasen schicken.

Personalprobleme auf beiden Seiten

Mit Benedikt Höwedes, Toni Kroos und Thomas Müller standen nur drei Spieler in der Startelf, die auch beim WM-Triumph von Rio de Janeiro zur Anfangsformation gehörten. Müller verabschiedete sich nach einem Pferdekuss von Sergio Ramos ohnehin nach 22 Minuten.

Spanien trat ohne Andres Iniesta, Koke, Cesc Fabregas und Diego Costa an. Die Innenverteidiger Ramos und Gerard Pique wurden zur Pause ausgewechselt.

Beide Teams befinden sich nach der Weltmeisterschaft in einem Neuaufbau, wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen, und haben zum Ende des Jahres mit großen Verletzungsproblemen zu kämpfen.

Löw verteilt großzügig Lob

Diese Umstände führten zu allerlei Experimenten im Dauerregen von Vigo. Löw verpasste in der Annahme, wenig Ballbesitz zu haben, seiner Mannschaft eine sehr defensive Grundausrichtung. In der letzten Linie wechselte das DFB-Team zwischen einer Fünferkette defensiv und einer Dreierkette bei Ballbesitz.

"Mit der Defensivleistung war ich sehr zufrieden", sagte der Bundestrainer, der die Aufstellung aufgrund der spanischen Spielanlage durchs Zentrum wählte. Überhaupt sparte der Bundestrainer nicht mit Lob, nachdem er am Freitag auf das maue 4:0 gegen Gibraltar noch recht grantig reagiert hatte.

Für "das sensationelle Jahr" hätte man sich "keinen besseren Jahresabschluss wünschen" können. Im taktischen Bereich habe seine Mannschaft trotz der vielen Ausfälle "viele Dinge sehr gut gemacht".

Mehr Ballbesitz, mehr Pässe, bessere Quote

Die gute Laune und den Enthusiasmus des Bundestrainers konnte das Spiel nur vereinzelt transportieren. Der Testspielcharakter war nicht zu übersehen, die Intensität war überschaubar und Torchancen selten.

Aber ein paar Erkenntnisse brachte das Spiel dann doch. Denn auch in der Ära nach Xavi, Xabi Alonso und David Villa hatte Löw Spanien als Spanien erwartet. Eine Mannschaft mit viel Ballbesitz, technischer Klasse und feinem Passspiel.

Ansätze dieser Qualitäten gab es aber nur in den ersten Minuten, dann wurde Spanien eine gewöhnliche Mannschaft. Deutschland erarbeitete sich nach einer Anfangsphase der Orientierung die Kontrolle.

Am Ende hatte Deutschland die besseren Werte in Ballbesitz (53:47 Prozent), Pässen (588:545) und Passquote (86:85 Prozent). Statistiken, in denen die Spanier als unschlagbar galten. Das letzte Spiel, in dem die Seleccion weniger Ballbesitz hatte als der Gegner, war das gewonnene EM-Finale 2008 - gegen Deutschland.

Deutschland jetzt Spaniens Vorbild?

In den 86 Partien dazwischen dominierte Spanien über weite Strecken nicht nur seine Gegner, sondern auch den Weltfußball. Die Iberer galten als Idealbild beim DFB. Zum Abschluss des Jahres 2014 kann man festhalten, dass Deutschland seinem Vorbild entwachsen ist.

Löw hat schon auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gesagt, dass es in seiner Arbeit zwar Einflüsse aus Spanien gegeben habe, aber diese bei der Entwicklung eines eigenen Stils nicht entscheidend gewesen seien.

Er hat dabei natürlich geflunkert, als er sagte, nur bis 2008 oder 2009 habe die Führung des DFB verstärkt nach Spanien geschaut. Zu oft hat er auch später noch von den spanischen Qualitäten geschwärmt.

Zukünftig wird sich die Blickrichtung wieder verändern. Die Spanier schauen schon jetzt mit Bewunderung auf das deutsche Team und verneigen sich Woche für Woche vor Toni Kroos, einem Protagonisten des neuen Deutschlands.

Ein Jahr zum Vergessen für Spanien

"ARD"-Experte Mehmet Scholl bemängelte schon zur Halbzeit, dass Spanien nichts Neues zu bieten habe und war erstaunt, dass die einstige technische Überlegenheit von "La Roja" dahin sei. Tatsächlich wirkten die Spanier müde, in ihrem Spielstil gefangen. Neue Ansätze sucht man noch vergeblich.

Ein "Jahr zum Vergessen" hat die spanische Nationalmannschaft hinter sich, titelte "Marca" auf ihrer Website. Fünf Niederlagen kassierte die Seleccion gegen Deutschland, Holland, Chile, Frankreich und die Slowakei - so viele wie seit 1991 nicht mehr.

Die sieben Siege gelangen gegen Kontrahenten wie Bolivien, El Salvador, Australien, Mazedonien, Luxemburg und Weißrussland, nur Italien bricht aus dieser Reihe der Kleinen aus.

Es wird eine große Aufgabe für Trainer Vicente del Bosque, den Übergang in eine neue Ära zu moderieren und eine neue Mannschaft aufzubauen, wie er in Vigo erklärte. Aber ganz so düster wie in Galicien im November ist es um den spanischen Fußball nicht bestellt.

Spanien - Deutschland: Die Statistik zum Spiel