Herrscher über den ruhenden Ball

Von Daniel Reimann
Sejad Salihovic ist bei Hoffenheim der Mann für alle Standards
© imago

Er begann mit 1899 Hoffenheim in der Regionalliga, war Antreiber in der Herbstmeister-Saison und bewahrte die TSG vor dem Abstieg: Sejad Salihovics Vita bei Hoffenheim gleicht einer Achterbahn der Gefühle. Auch er selbst durchlebte eine beachtliche Veränderung. Nur eins blieb stets gleich.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

In der Saison 2006/2007 war noch vieles anders in Hoffenheim. Nur wenige Fans außerhalb der Region beschäftigten sich großartig mit dem Regionalligisten aus dem Kraichgau, der damals noch als "TSG Hoffenheim" firmierte. Nur wenige setzten sich außerhalb von Baden-Württemberg mit dem Engagement Dietmar Hopps auseinander. Nur wenige Traditionalisten echauffierten darüber. Damals, als die Star-Transfers noch Francisco Copado, Jochen Seitz und Tomislav Maric hießen.

In jener Saison sorgte ein Mann auf ganz spezielle Weise zum ersten Mal für Furore. Sejad Salihovic, aus der zweiten Mannschaft der Hertha geholt, feierte sein Tor-Debüt für Hoffenheim gegen Stuttgarts Amateure. Mit einem gewitzten Freistoß traf er zum 1:0. Am Ende der Saison kam er auf zehn Treffer, davon sechs per Freistoß oder Elfmeter.

Gut siebeneinhalb Jahre später zählt Salihovic 60 Tore für die Kraichgauer. 46 Mal traf er per Freistoß oder Elfer. Seine Torgefahr beim ruhenden Ball hat er über all die Jahre behalten, seine Technik verbessert, seine Coolness bewahrt.

Von Berlin nach Bad Rappenau

Es ist eine von nur noch wenigen Parallelen zwischen dem Salihovic von heute und dem, der im Juni 2006 ins beschauliche Kurstädtchen Bad Rappenau zog, gut 20 Kilometer von Hoffenheim entfernt. Damals, als Dietmar Hopp das Projekt Hoffenheim so richtig ins Rollen bringen wollte, verpflichtete 1899 den 22-Jährigen von Hertha BSC.

Für Salihovic war der Wechsel mit einschneidenden Veränderungen verbunden. Der Junge aus der Großstadt, in der es so "viele Verlockungen" gab, tauschte Metropole gegen Kleinstadt. In Berlin hatte er sich oft selbst das Leben schwer gemacht. Ihm haftete das Image eines leichtsinnigen Jugendlichen an, der mit den seiner Zeit ebenfalls berüchtigten Teamkollegen Patrick Ebert und Kevin-Prince Boateng hin und wieder um die Häuser zog.

"Man ist jung, man verdient ein bisschen Geld, man lebt in einer Stadt mit vielen Möglichkeiten. Da ist es nicht leicht für einen unerfahrenen Profi", erzählte er anno 2012 im SPOX-Interview. Der Wechsel nach Hoffenheim sei für ihn deshalb eine "ganz wichtige Entscheidung" gewesen.

Maßgeblich am Durchmarsch beteiligt

Dort nahm ihn Ralf Rangnick ins Gebet, lehrte ihn Disziplin und Zuverlässigkeit. Aus dem rastlosen Großstadtjugendlichen wurde ein pflichtbewusster Profi, ein Leistungsträger, später ein Kapitän. Über sieben Jahre hinweg blieb Salihovic einer der Top-Torschützen bei 1899. Salihovic ging voran, war maßgeblich am Durchmarsch in die erste Liga beteiligt.

Am letzten Spieltag der Saison 2007/2008 schoss er Hoffenheim mit zwei Toren gegen Fürth Richtung Erstklassigkeit - per Freistoß und Elfmeter. In der Debüt-Saison im Oberhaus folgte der Höhepunkt: Aufsteiger Hoffenheim war Herbstmeister, Salihovic steuerte in er Hinrunde vier Treffer und neun Assists bei.

Doch der Höhenflug währte nicht ewig. Aus dem plötzlichen Europacup-Kandidaten wurde eine graue Maus, die im Bundesliga-Mittelmaß verschwand. Gleichzeitig wurde Hoffenheim für Fans und insbesondere Fußball-Traditionalisten zur Zielscheibe. Zum angeblichen Symbol für die Verdrängung der Tradition und die Macht des Geldes im Fußball.

Vom Suspendierten zum Retter

Auch für Salihovic erschwerten sich die Umstände. In den Jahren 2011 und 2012 kämpfe er immer wieder mit Verletzungsproblemen, im Februar 2012 wurde er aus disziplinarischen Gründen suspendiert. Aufgrund einer "kurzen Auseinandersetzung" mit Trainer Markus Babbel, wie Salihovic es formulierte.

Ein Jahr und drei Trainer später waren Salihovic und Hoffenheim plötzlich am vorübergehenden Tiefpunkt angelangt. Verletzungen und Sperren beraubten den Bosnier um die Hälfte seiner Spielzeit, der Verein taumelte dem Abstieg entgegen.

Doch in einem dramatischen Finale am letzten Spieltag schoss Salihovic 1899 mit zwei Toren - präzise: mit zwei Elfmetern - in Dortmund doch noch auf Platz 16. In der Relegation steuerte er zwei Assists gegen Kaiserslautern bei. Beide nach ruhendem Ball. Hoffenheim blieb erstklassig. Auch dank Salihovics einmaliger Gabe, die er sich trotz aller Hochs und Tiefs stets bewahrt hatte.

"Mit zwei Aufstiegen und der Herbstmeisterschaft 2008 ging es anfangs nur aufwärts", erzählt Salihovic rückblickend. «Aber dann ging es in den letzten Jahren immer hoch und wieder runter, wenn ich an die ganzen Trainerwechsel und die unterschiedlichen Leistungen denke."

Neue Rolle - alte Gabe

Erst Markus Gisdol manövrierte 1899 wieder in ruhige Fahrwasser. Er schafft es wie zuletzt Ralf Rangnick, der Mannschaft eine Idee zu vermitteln, wie auch Salihovic bestätigt: Gisdol sei ein "Trainer mit ähnlicher Philosophie wie am Anfang, der seinen Weg geht und sich von nichts abbringen lässt", sagt der 29-Jährige.

Unter Gisdol erlebte auch der Spieler Salihovic eine weitere neue Wandlung. Er, der schon so viele Rollen in Hoffenheim eingenommen hatte. Salihovic, der Linksaußen mit angsteinflößenden Flanken, der Dirigent aus der Defensive heraus, die Offensivwaffe in der Mittelfeldzentrale. Plötzlich war er Salihovic, der Linksverteidiger.

Der Bosnier passte sich an, veränderte sein Spiel - und seine Wandlung hinterlässt Eindruck bei Coach Gisdol: "Er zeigt neue Fähigkeiten, die man so in Hoffenheim noch nicht kannte, was Zuverlässigkeit, Stellungsspiel und Bälle nach vorne angeht. Das hat mich richtig gefreut."

Nur eines hat sich nicht geändert. Alle sechs Saisontore erzielte Salihovic nach ruhendem Ball.

Sejad Salihovic in der Zusammenfassung