Es hatte doch eigentlich alles so gut ausgesehen. Nach einer verkorksten Zweitliga-Saison, in der sich Bielefeld nur dank eines starken Schlussspurts noch auf den Relegationsplatz rettete, gewannen die Arminen das Relegations-Hinspiel in Darmstadt mit 3:1. Was sollte da noch groß schiefgehen?
Die Antwort: So ziemlich alles. Bielefeld lag nach 90 Minuten mit 1:3 hinten, nach dem 2:3-Anschlusstreffer in der Verlängerung schoss Elton da Costa die Arminia in der 3. Minute der Nachspielzeit ins Tal der Tränen. Bielefeld war in die Dritte Liga abgestiegen und dem finanziell stark gebeutelten Klub drohte damit unweigerlich der finanzielle Super-Gau - immerhin war es der zweite Abstieg in die Drittklassigkeit innerhalb von nur drei Jahren.
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"Unserer Mannschaft fehlte einfach die physische Kraft, weil wir schon vorher nur Endspiele hatten. Ich weiß, dass dieses Spiel vielen in Bielefeld und Darmstadt schlaflose Nächte bereitet", resümierte Trainer Norbert Meier, dessen Zukunft nach der Pleite ebenfalls noch in den Sternen stand, einige Tage später.
Drama? "So sind wir eben"
Nach der Beinahe-Pleite 2011, als eine 1,2-Millionen-Euro-Finanzspritze durch den Sicherungsfond des Ligaverbandes die Arminia vor der Insolvenz bewahrte, hatte der nächste Nackenschlag den Traditionsklub erwischt. "Arminia hat eben eine ganz spezielle DNA. Einfach geht hier nicht", brachte es Geschäftsführer Marcus Uhlig jüngst auf den Punkt: "Arminia Bielefeld ist Blut, Schweiß und Tränen, große Tragödien und großes Spektakel. So sind wir eben."
Selbst nachdem der Abstieg schon feststand endete das Drama, ganz Bielefeld-like, nicht: Erst kurz darauf konnte die Arminia die Deckungslücke in Höhe von einer Million Euro schließen, um die Lizenz für die Dritte Liga zu erhalten. Unter anderem neue Sponsorenverträge sowie die Einnahmen aus einem Benefizspiel gegen den FC Schalke 04 hielten den Klub finanziell gerade so über Wasser.
Dennoch musste personell ein Umbruch her und auch in der Drittklassigkeit schien der sportliche Absturz anfangs anzuhalten. Bielefeld verlor seine ersten beiden Heimspiele mit insgesamt 2:7 Toren, nach dem vierten Spieltag standen vier Zähler auf dem Konto. Doch der schon so häufig krisengeschüttelte Klub bewies über den Sommer und während des Saisonbeginns etwas, das viele andere Vereine in der Situation womöglich nicht gehabt hätten: Ruhe und innere Geschlossenheit.
Meier schafft den Turnaround
So vertraute die Klubführung auch weiter auf Trainer Meier. "Wir hatten viele neue Spieler im Kader, von denen einige mit ihren früheren Klubs Dresden, Cottbus oder Nijmegen gerade abgestiegen waren. Und diejenigen, die bei Arminia geblieben waren, mussten auch erst einmal das Trauma der verlorenen Relegation verarbeiten", sollte der 56-Jährige einige Monate später resümieren.Und doch war innerhalb des Klubs aufzugeben nie eine Option: "Ich habe in Bielefeld sofort eine Jetzt-erst-recht-Stimmung gespürt. Es war ja alles nicht so einfach, auch mit der Lizenz für die Dritte Liga nicht. Wenn ich jetzt aber durch die Stadt gehe, dann merke ich immer wieder, wie sehr die Leute sich freuen, dass es aufwärts geht, auch wenn noch nichts erreicht ist."
Meier selbst hatte daran einen großen Anteil. Mit Alexander Schwolow, Florian Dick, Julian Börner, Sebastian Schuppan, Daniel Brinkmann, Christoph Hemlein, David Ulm und Dennis Mast sind in der laufenden Saison gleich acht Neuzugänge feste Größen und Leistungsträger geworden, das Team wirkt mit einem deutlich geringeren Budget inzwischen klar stärker als die Vorjahres-Abstiegs-Mannschaft.
Pokalspiel als Knall-Effekt
Inzwischen überrollt die Arminia Gegner teilweise, begeistert mit Offensivfußball und hat zwölf Tore mehr geschossen als die zweitbeste Offensive der Liga. Ein offensiver Knall löste auch in der laufenden Saison den Knoten beim Absteiger: Bielefeld schlug den Zweitligisten Sandhausen in der ersten Pokalrunde mit 4:1, die Partie markierte gleichzeitig den Übergang vom holprigen Saisonauftakt hinein in deutlich ruhigere Fahrwasser.
Das ging so weit, dass Bielefeld vor dem Pokal-Achtelfinale gegen Werder Bremen mit einer eingängigen Bilanz für sich Werbung machte: 27 Punkte aus den vorherigen zehn Spielen hatte der Drittliga-Spitzenreiter eingefahren und rühmte sich damit, europaweit den besten Lauf vor Größen wie dem FC Liverpool (acht Siege, zwei Remis) oder dem FC Bayern (acht Siege, ein Remis, eine Pleite) zu haben. Eine fast schon vergessene Stabilität bei den Ostwestfalen, die aber auch symptomatisch für den neuen Weg steht.
Rationalität regiert
Nach dem Pokaltriumph über Werder ließ Bielefeld dann auch einen, wie Sportdirektor Samir Arabi später sagen sollte, "schmutzigen Sieg" über Hansa Rostock folgen und nutzte die Patzer der Konkurrenz. Der Vorsprung auf den dritten Platz, der noch zum Relegationsspiel berechtigen würde, beträgt sieben Spieltage vor Saisonende bereits sieben Zähler.
Doch egal welcher Verantwortliche sich zu Wort meldet, immer fällt eines auf: Der Verein steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden. "Wir haben jetzt viel unerwartete Einnahmen. Das heißt aber nicht, dass wir alles in die Mannschaft oder Infrastruktur stecken können. Es gibt noch viel zu verbessern. Und es gibt die wirtschaftlichen Zwänge der Vergangenheit", mahnte Arabi jüngst.Sollte der Aufstieg gelingen, winkt zumindest ein neuer Rasen - "immer unter Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten", wie der Sportdirektor prompt hinzufügte. Rund 150.000 Euro wären dafür wohl fällig. Immerhin befindet sich die Arminia, so gut es sportlich auch aussieht, nach wie vor in einem Umbruchphase, wenngleich Bielefeld eine komplette Tilgungsaussetzung für die laufende Drittliga-Saison erreichen konnte.
Schatzmeister Hermann Richter berichtete auf der Jahreshauptversammlung Mitte Dezember: "Wir stecken mitten in der Sanierungsphase, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Aber die Perspektiven haben sich verbessert. Unser Ziel ist, dass Arminia Bielefeld ligaunabhängig überlebensfähig bleibt und dass uns ein Betriebsunfall wie der Abstieg aus der 2. Bundesliga nicht aus Spur wirft. Alle Gläubiger haben ihre Bereitschaft signalisiert, uns im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen."
"Haben einen Knoten durchschlagen"
Die finanzielle Zukunft sieht so deutlich angenehmer aus, da Kapitalgeber ihre Darlehn in Anteile an der Stadiongesellschaft wandelten, um dem Klub so laufende Kosten zu ersparen.
Gerrit Meinke, Geschäftsführer der Stadiongesellschaft, erklärte laut der Glocke: "Wir haben einen Knoten durchschlagen. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass mittelfristig weitere erhebliche Summen gewandelt werden. Es gehört natürlich ein Stück weit Herzblut und Emotion für Arminia Bielefeld dazu, um ein Darlehn in Anteile zu wandeln." Doch nicht nur das: Es scheint, als hätte intern ein Umdenken stattgefunden.
Die Sponsoren-Einnahmen sind schon jetzt höher als die kompletten Saison-Sponsoren-Einnahmen in der letzten Bielefelder Drittliga-Saison 2012/13 (2,9 Millionen Euro damals), so dass Uhlig bereits klarmachte: "Wenn wir nicht sofort wieder aufsteigen, gehen hier nicht die Lichter aus. Eine weitere Saison in der 3. Liga ist finanzierbar." Richter mahnte aber auch: "Die Dritte Liga ist kein Dauerzustand."
Aller Fokus auf den Wiederaufstieg
Das rückt auch das anstehende Pokal-Duell mit Borussia Mönchengladbach in die richtige Perspektive. "Mit unseren Fans im Rücken werden wir auch am Mittwoch gegen Gladbach wieder alles reinhauen", kündigte Meier an und Uhlig gab zu, dass die Pokaleinnahmen von inzwischen mehr als zwei Millionen Euro dem Klub "sehr weiter" helfen.Allerdings kann der eingeschlagene Sanierungsprozess in der Drittklassigkeit kaum langfristig weiter verfolgt werden. Nach wie vor plagen die Arminia Schulden in Höhe von 25,7 Millionen Euro und es ist dem Klub schon hoch anzurechnen, dass sich der Schuldenberg in der Dritten Liga nicht vergrößert hat. Die Pokaleinnahmen sind ein Tropfen auf den heißen Stein und für die Fans wohlverdiente Flutlichtspiele gegen Bundesliga-Teams.
Der Fokus des Klubs allerdings gilt davon unbeeindruckt ganz dem Ziel Wiederaufstieg. "Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Es gibt keinen Grund durchzudrehen", mahnte Meier schon kurz nach dem Schlusspfiff gegen Bremen: "Die Liga steht für uns an erster Stelle." Dann sieht bald vielleicht auch langfristig alles wirklich gut aus.
Arminia Bielefeld in der Übersicht