Wieder mehr Eimer als Arsch

Henrikh Mkhitaryan kam in der abgelaufenen Bundesligasaison auf drei Tore und sechs Vorlagen
© getty

Kaum ein Bundesligaspieler ist so vom Selbstvertrauen abhängig wie Borussia Dortmunds Henrikh Mkhitaryan. Rechtzeitig zum DFB-Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg (Sa., 20 Uhr im LIVE-TICKER) hat der Armenier aus seinem Leistungsloch gefunden - doch es fehlt weiterhin der Beweis, dass er seine Form konstant halten kann.

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Kevin de Bruyne vom VfL Wolfsburg hat in der abgelaufenen Saison einen beachtenswerten Rekord aufgestellt. Nie zuvor in der 52-jährigen Geschichte der Bundesliga vollbrachte es ein Spieler, 20 Tore für seine Kameraden aufzulegen.

20 Buden, das ist ein bisschen weniger als die Hälfte der Treffer, die Borussia Dortmund in allen 34 Partien zustande brachte (47). Dem BVB hätten De Bruynes Assists mehr als gut zu Gesicht gestanden. Im Sommer 2013 bekam der hochtalentierte Belgier aber keine Freigabe des FC Chelsea, um zur Borussia wechseln zu können - weil die Blues laut Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sauer waren, dass zuvor Robert Lewandowski nicht nach London transferiert wurde.

Also angelte sich die Borussia damals einen anderen hochtalentierten Spieler. Henrikh Mkhitaryan wurde zu Dortmunds teuerstem Neuzugang aller Zeiten (27,5 Millionen Euro Ablöse) und ließ anders als vorherige Verpflichtungen bereits in Jahr eins häufig seine Klasse aufblitzen.

Pfiffe im Signal Iduna Park

Die "Regel", wonach die Neuen beim BVB erst in ihrer zweiten Spielzeit aufblühen würden, brach der armenische Nationalspieler allerdings mit Vehemenz. Während ihm im Vorjahr noch 13 Tore und neun Vorlagen in 46 Pflichtspielen gelangen, ging Mkhitaryan während Dortmunds desaströser Hinrunde zusammen mit dem Team unter.

Viel Kritik konzentrierte sich dabei auf ihn, Mkhitaryan wurde zum Sinnbild der sportlichen Krise auserkoren. Die Zuschauer im Signal Iduna Park pfiffen ihn teilweise aus. Das ist angesichts der schwachen Leistungen aller Dortmunder so unfair wie abwegig, doch das Volk pickt eben denjenigen heraus, der die meiste Kohle verschluckt hat - und weil parallel beispielsweise De Bruyne in Wolfsburg zeigte, wie man solche Preiskategorien mit Leistung rechtfertigt.

Die Schmähungen, seine Formkrise, erste Gerüchte um einen vorzeitigen Abgang vom BVB - all dies hat Mkhitaryan, der zudem noch die meiste Zeit der Wintervorbereitung verletzt verpasste, sehr angefasst.

Mkhitaryan, die personifizierte Inkonstanz

Kaum ein Spieler in der Bundesliga kommt so sehr über das Selbstvertrauen wie er. Dies lässt sich bei ihm vor allem im negativen Fall sagen, der bislang auch häufiger auftrat. Mkhitaryan ist die personifizierte Inkonstanz.

Ohne Zutrauen in die eigene Stärke verhaspelt er sich bei eigenem Ballbesitz kopflos in zahlreiche unsinnige Aktionen. Mkhitaryan will dann Dinge erzwingen, die aussichtslos erscheinen. An anderen Tagen, von denen es in dieser Spielzeit allerdings lange Zeit kaum welche gab, brilliert er mit viel Tempo, taktischem Verständnis und Übersicht.

Das Hauptproblem dabei: Seine strategischen Fähigkeiten, die in erster Linie seine Bewegungen im (Positions-)Spiel ohne Ball betreffen, können selbst in schlechten Phasen herausragend sein. Sie fallen aber in der Betrachtung hinten herunter, da es für einen Ausschnitt in der Sportschau nicht reicht, das Passspiel des Gegners so lenken zu können, dass er in eine Pressingfalle gelockt wird, aus der dann nicht mindestens eine Großchance entsteht.

Aus dem Loch gefunden

Aufgrund solcher Fähigkeiten passe Mkhitaryan zum Dortmunder Umschaltfußball "wie Arsch auf Eimer", sagte Trainer Jürgen Klopp nach der Verpflichtung des Armeniers im Sommer 2013. In den letzten Wochen der Saison hat der 26-Jährige plötzlich doch noch aus seinem tiefen Loch gefunden, in der ersten Hälfte der Hinrunde saß er meist noch auf der Bank. Kurioserweise begann Mkhitaryans Aufschwung kurz nach Klopps Ankündigung, den Verein am Saisonende zu verlassen.

"In mir hat sich etwas verändert. Als ich richtig schlecht war, habe ich akribisch versucht, an mir zu arbeiten. Ich habe einfach versucht, irgendetwas zu verändern. Das ist jetzt das Resultat", begründet Mkhitaryan seine sechs Torbeteiligungen in den letzten sechs Spielen (zwei Tore, vier Vorlagen). Beim kuriosen Pokalspiel in München war Mkhitaryan nach seiner Einwechslung der Hauptverantwortliche dafür, dass sich die Borussia überhaupt in die Verlängerung rettete.

Was sich konkret in ihm verändert hat, kann Mkhitaryan selbst nicht benennen. Wer ihn derzeit spielen sieht, nimmt in erster Linie eine vollkommen veränderte Körpersprache wahr. Er wirkt auf einmal wie von einer Last befreit und jetzt auch selbstbewusst genug, um einen gehörigen Anschiss wie den von Mannschaftskapitän Mats Hummels beim Heimspiel gegen Hertha BSC ohne Verluste über sich ergehen zu lassen.

Henrikh Mkhitaryans Opta-Statistiken der BL-Saison 2014/15

In den Halbräumen am stärksten

Das Kopf-Problem scheint im Moment verschwunden zu sein. Er befindet sich jedenfalls auf dem aufsteigenden Ast. Nun muss Mkhitaryan - nicht zum ersten Mal in seiner wechselhaften Dortmunder Zeit - einen Weg für sich finden, wie er die Blockade lösen und seine momentane Form dauerhaft halten kann. Bislang förderte diese Suche keine nachhaltigen Ergebnisse zu Tage, Mkhitaryan stolperte immer wieder vom Auf zurück ins Ab.

Dass er derzeit wieder mehr der Eimer als der Arsch ist, dafür spielt wohl auch seine Positionierung eine entscheidende Rolle. Auch wenn häufig kolportiert wurde, Mkhitaryan wolle am liebsten im Zentrum auflaufen, macht er seine besten Partien für Dortmund eindeutig dann, wenn er in den Halbräumen spielt.

Dort gelingen ihm effiziente und sehr dynamische Bewegungen, sein explosiver Antritt verschafft ihm viel Zug zum Tor. Auf der Zehn gingen dagegen kaum spielerische Akzente von ihm aus. Auf dieser Position fehlt ihm vor allem die Leichtfüßigkeit, um sich aus den ganz engen Räumen befreien und mit Ball am Fuß auch einmal einen Überraschungsmoment einbringen zu können.

Tuchel wird auf Mkhitaryan setzen

Zwischen den Linien pendelnd funktioniert Mkhitaryan deutlich besser, weil hier seine Spielintelligenz klarer zum Tragen kommt und er beweglicher sowie flexibler agieren kann. Er hat das Gespür für offene Räume, die er entweder selbst nutzt oder dank kluger Läufe für seine Mitspieler frei macht. Und: Zuletzt nahm er sogar Standardsituationen in sein Repertoire auf. Seit einiger Zeit schlägt er Eckbälle, die es in dieser Präzision lange nicht mehr in Dortmund zu bestaunen gab.

Die plötzliche Veränderung in Mkhitaryans Spiel, mit der nach dieser verkorksten Spielzeit nicht mehr zu rechnen war, wird auch Klopp-Nachfolger Thomas Tuchel genau beäugt haben. Schenkt man einem Bericht der Sport-Bild Glauben, hat sich der neue Trainer bereits mit Mkhitaryan getroffen, um ihm seine Wertschätzung entgegen zu bringen.

Setzt Tuchel wie erwartet auf Mkhitaryan, wird sich der neue Coach daran messen lassen müssen, ob er den zweifelsfrei begnadeten Kicker dauerhaft in die Spur bringen kann. Doch auch Mkhitaryan selbst sollte künftig nachweisen können, dass er nicht wieder beim kleinsten Gegenwind in sich zusammensackt.

Nur dann ist die Grundlage gegeben, dass Klopps Ausspruch nach dem Transfer des Armeniers doch noch zutreffen könnte. "Sein Potenzial ist unfassbar", sagt auch Sportdirektor Michael Zorc. Es wird für Mkhitaryan in Jahr drei beim BVB höchste Zeit, die Lobhudeleien dann auch konstant zu bestätigen.

Henrikh Mkhitaryan im Steckbrief