Wieder endet und beginnt es beim DFB-Pokalfinale in Berlin. Dort absolvierte Thomas Doll als Trainer von Borussia Dortmund seine vorletzte Partie und dort wird nun sein Nachfolger Jürgen Klopp zum letzten Mal an der Seitenlinie stehen.
Dass in Thomas Tuchel der Klopp-Erbe bereits gefunden ist, ist diesmal zwar anders als noch 2008. Doch auch damals fand sich, als vor dem Endspiel die Mannschaftsaufstellung vorgelesen und Dolls Vorname in die Menge gebrüllt wurde, bereits ein deutlicher Hinweis auf die Nachfolgelösung: "Klopp", brüllten die BVB-Fans nämlich zurück. Just am Finaltag tauchten die erste Gerüchte auf, wonach Klopp ein ernst zu nehmender Kandidat bei der Borussia sei.
Als Klopp schließlich wenige Wochen später wirklich nach Dortmund wechselte, heuerte er bei einem am Boden liegenden Verein an. Die Westfalen waren zuvor zu einem Abstiegskandidaten mutiert, beheimateten die Schießbude der Liga, standen ohne Geld und erst Recht ohne Identität da.
Klopp gab Dortmund ein Gesicht
Der Klub um die Verantwortlichen Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc räumte Klopp größtmögliche Freiheit und auch die nötige Zeit ein, um die darbende Borussia nach seinen Vorgaben umzukrempeln und organisch entwickeln zu können.
Klopp griff auf Anhieb beherzt ein, nach und nach zog er den Verein auf links - und ebnete damit den Weg für die bekannten sportlichen Triumphe der letzten Jahre.
Mehr noch: Dank ihm ist der BVB wieder zu einer starken Marke geworden, die populär ist und zugleich wirtschaftlich gesundet. Klopp gab der Borussia ein Gesicht, das Menschen von nah und fern an den Verein band, weil dieser vor Emotion und Authentizität nur so strotzte.
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Dortmund ist Klopp, Klopp ist Dortmund
Jedoch hat sich der Klub mit dieser extremen Fokussierung auf den Einzelnen auch in eine Art Abhängigkeit begeben, die nun den Grund dafür darstellt, weshalb sich die Wege trennen werden. Dortmund ist Klopp und Klopp ist Dortmund - es ist in der Gegenwart kaum vorstellbar, dass dies schon einmal anders gewesen sein soll und bald anders sein wird.
Als Klopp vor sechs Wochen seinen Abschied zum Saisonende verkündete, korrigierte er sich auf der Pressekonferenz bei einem Satz. "Der Name Klopp ist in dieser Mannsch...", sagte der Coach zunächst, benutzte anstatt "Mannschaft" dann aber doch ein allgemeingültigeres Wort.
"...ist in diesem Verein so groß geworden", fuhr Klopp fort - und allein diese Tatsache behindere in seinen Augen eine künftige Weiterentwicklung, die nach der unter dem Strich ernüchternden Saison dringend notwendig ist.
Der "Fluch der guten Tat"
Die glorreiche Vergangenheit hat ihn und den Verein eingeholt. Das mit den Jahren immer stärker gewachsene "Klopp-Imperium" brannte sich derart in die DNA des Klubs ein, dass es mittlerweile als Last empfunden wird. Klopp sprach vom "Fluch der guten Tat".
Deshalb müsse er als "großer Kopf" der Borussia nun gehen, schlussfolgerte er. Ansonsten laufe der Klub Gefahr, zu lange und unbeweglich in dieser Endlosschleife zu verharren.
"Es wäre für den Verein schwerer geworden mit mir als ohne mich. Wenn ich hiergeblieben wäre, hätten viele Dinge geändert werden müssen. Nun können viele Dinge so bleiben, wie sie sind", waren Klopps Worte, die die Notwendigkeit eines Neustarts untermauern.
Gelingt der Übergang zu Tuchel?
Klopp hinterlässt ein riesiges Vermächtnis, so groß, dass selbst die Frage erlaubt scheint, ob der BVB überhaupt noch ohne seinen Alleinunterhalter funktionieren könne. Wie die Antwort darauf aussieht, kann ab der kommenden Woche bestaunt werden, wenn Thomas Tuchel in Dortmund vorgestellt wird. Dann beginnt die neue Zeitrechnung auch ganz offiziell.
Tuchel wird zwar eine Basis vorfinden, die sich eklatant von der unterscheidet, die Klopp bei seinem Amtsantritt vor sieben Jahren bestaunen musste. Doch auch er wird umgehend zahlreiche Neuerungen, nicht nur personeller Art, einbringen müssen - allerdings mit Bedacht.
Natürlich sollten seine Maßnahmen letzten Endes vor allem sportlichen Erfolg zur Folge haben. Dortmund möchte nach Tuchels erstem Jahr wieder für die Champions League qualifiziert sein. Im ersten Schritt ist allerdings der Umgang mit allem Neu- und Andersartigen sehr entscheidend dafür, ob der Übergang von Klopp zu Tuchel gelingen wird.
"Vergleiche erschweren die großartige Zukunft"
Es wird davon abhängen, wie sehr sich alle Beteiligten - Mannschaft, Mitarbeiter, Fans, aber auch Tuchel selbst - dafür sensibilisieren können, dass in Dortmund künftig nicht mehr die altbekannte Klopp-Schallplatte läuft. Klopps Tipp, den er in seiner aufgezeichneten Abschiedsrede am vergangenen Samstag im Dortmunder Stadion anbrachte, schlug genau diesen Ton an: "Vergleiche schmälern die großartige Vergangenheit und erschweren die großartige Zukunft", sagte er.
Während Tuchels Amtszeit eine Dauer-Rückblende zu Klopp zuzulassen, ergäbe auch kaum Sinn. Tuchel wird es schließlich nahezu unmöglich sein, Klopps Erfolge zu übertreffen - erst Recht kurzfristig gesehen.
Tuchels Herausforderung beim BVB: Learn to forget
Gelingt es ihm in der bald anstehenden Startphase jedoch, analog zu seiner in Mainz praktizierten Rulebreaker-Philosophie auch in Dortmund verkrustete Denkmuster aufzubrechen, so dass sich die Belegschaft ohne nostalgische Gefühle, dafür aber mit vollständiger Hingabe auf eine neue Ära einlässt, wäre dies sein erstes großes Verdienst und gerade zu Beginn möglicherweise so viel Wert wie ein Titel.
Tuchel muss sich öffnen
Dazu braucht es vonseiten des neuen Trainers aber auch Fingerspitzengefühl und vor allem die Bereitschaft, sich auf die speziellen Dortmunder Begebenheiten einzulassen. "Ich denke, man wird in Dortmund schnell verstehen, dass die Kloppo-Zeit jetzt vorbei ist", urteilt Mainz-Manager Christian Heidel über den Typen Tuchel. Der oft distanziert und nüchtern wirkende Coach wird sich in seiner neuer Umgebung mehr öffnen müssen, um die Beteiligten für sich zu gewinnen.
Fachlich ist Tuchel vieles zuzutrauen, er wird der Dortmunder Mannschaft zu mehr Flexibilität verhelfen können als Klopp. Auf diese Weiterentwicklung des Teams vertraut der Verein uneingeschränkt, auch wenn Tuchel noch keine Silberware in seiner Vitrine stehen hat.
Verwandlung für BVB und Tuchel
Der Klopp-Gegenentwurf Tuchel sollte dabei aber nicht als Alleinherrscher, der nur sein Funktionsteam an sich heranlässt und ansonsten keinen Widerspruch duldet, auftreten. Diesen Vorwurf musste er sich in Mainz häufig gefallen lassen, auch sein plötzlicher Abgang wurde als Nachweis einer Egozentrik gewertet.
Es steht für beide Parteien letztlich eine gewisse Verwandlung ins Haus, sie müssen sich nicht schlagartig, sondern mit gebotener Geduld neu erfinden. Aus dem bekannten Mainz-Tuchel muss ein neuer Dortmund-Tuchel werden, aus dem Klopp-BVB eine Tuchel-Borussia.
Für Thomas Tuchel geht es darum, die Anpassungsfähigkeit, mit der seine Mannschaften beim FSV einst die Liga überraschte, auch auf sich als Person zu übertragen. Schafft es dann auch der Verein, von den Klopp-Jahren los zu lassen, ist dessen Vermächtnis vielleicht gar nicht mehr eine solch gewaltige Bürde, wie es derzeit noch erscheint.
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