Grenze. Das Wort der Stunde beim HSV. Jedenfalls, wenn es nach Trainer Bruno Labbadia geht. Häufig verwendete der Motivator in den letzten Wochen den Begriff, der zugleich Einschränkung und Potenzial symbolisieren kann.
Als sich Labbadia nach dem verlorenen Erstrundenspiel des DFB-Pokals in Jena vor die Mikros quälte, fiel er wieder, dieser viel- und doch nichtssagende Begriff.
"Das ist eine große Enttäuschung, die wir hier heute mitnehmen. Das hat sich im Vorfeld nicht so abgezeichnet, weil die Vorbereitung gut war und wir immer wieder über Grenzen hinausgegangen sind", sagte der Hamburger Trainer, dessen Worte inhaltlich den Kern trafen, emotional aber irgendwie keinen erreichten.
Von wegen Harmonie
Am wenigsten die Fans. Mit Wut und Enttäuschung reagierten die aufgebrachten HSV-Anhänger, die nach Abpfiff auf den Platz stürmten und randalierten. Gegenstände flogen, Feuerwerkskörper wurden abgebrannt. Ein Ordner wurde sogar am Kopf getroffen und ging daraufhin zu Boden.
Doch die anstehenden Strafen seitens des DFB sind in dieser Thematik wohl das kleinere Übel für den Verein. Vielmehr hat es Labbadias Elf geschafft, sich schon wieder den Unmut des - gerade für Hamburg so wichtigen - Gros der eigenen Unterstützer einzuhandeln. Dabei hat die Saison noch nicht einmal begonnen.
Glücklich, schmeichelhaft - unverdient?
"Die Mannschaft muss bereit sein, kontinuierlich an und über die Grenzen zu gehen", sagte Labbadia zuletzt gegenüber der Bild am Sonntag. Am Sonntag war sie es nicht und die Quittung gab es prompt und deutlich.
Obendrein ließ das Ergebnis am Ende sogar ein engeres Spiel vermuten, als es das in den 90 beziehungsweise 120 Minuten tatsächlich der Fall war. Denn dass sich der HSV noch in die Verlängerung rettete, war mehr als schmeichelhaft.
Das 1:1 durch Ivica Olic fiel irregulär, nachdem Ivo Ilicevic die Vorlage aus dem Toraus gegeben hatte, das 2:2 war wieder eine Mischung aus Slapstick und Last-Minute-Glück.
Die Qualität "Dusel" geht abhanden
Das Spiel hatte viel vom Relegations-Rückspiel gegen den Karlsruher SC im Juni. Schon damals hatte der HSV die Wende geschafft - und wusste selbst nicht wie. Wie schon am letzten Spieltag der Bundesliga, wie schon in der vorherigen Saison, wie schon so oft eben.
Dieser Dusel, den der HSV zum wiederholten Male bewiesen hatte, schien schon so etwas wie eine exklusive Qualität des Dinos geworden zu sein. Immerhin spricht es - bei allem Glück - für eine Mannschaft, dass sie sich nach Rückschlägen auch unter großem Druck noch einmal zurückkämpfen kann. Nach dem "Wie" fragt später keiner mehr.
Doch auch diese "Fähigkeit" wusste der HSV nicht zu schätzen. Die "Es-wird-schon-werden-Mentalität" wurde den Norddeutschen im Pokal zum Verhängnis.
Die gesamte Vorbereitung, das Team und den Trainer zum jetzigen Zeitpunkt schon wieder infrage zu stellen, wäre vermessen. Das Jena-Spiel hat aber einen deutlichen Vorgeschmack auf die Saison gegeben - ohne Wenn und Aber.
Abstraktes Selbstbild
Labbadias Statements geben viel preis - insbesondere über den Ist-Zustand der HSV-Mannschaft. Der inflationäre metaphorische Gebrauch der "Grenze" lässt das Selbstbild des HSV sehr abstrakt wirken. Offensichtlich ist man sich aktuell gar nicht bewusst, wo die eigenen Grenzen überhaupt liegen.
Das gilt es festzustellen - so schnell wie möglich -, um zu verhindern, dass Vorstand, Trainer und Spieler wieder eine gesamte Spielzeit aneinander vorbeireden. "Wir hatten zu viele Spieler auf dem Platz, die nach dem 2:2 nicht die Körpersprache zeigten, die man normalerweise hat. Es ist nicht dieser Pusch rübergekommen, den wir uns in den letzten Wochen der abgelaufenen Saison erarbeitet haben," befand Labbadia, der nicht in der Lage war, die Ursache zu ergründen.
"Dieser Verein hat so eine Kraft, das ist unglaublich. Wir wollen das Positive in die neue Saison mitnehmen", lautete vor wenigen Tagen noch die Marschroute des HSV-Trainers. Seit Sonntagnachmittag hat diese Aussage wohl nur noch wenig Gültigkeit. Und es scheint, als finge der jährliche HSV-Stress schon wieder an...
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