Dortmund hat sich seit Jürgen Klopp immer dadurch ausgezeichnet, dass es bei einem 5:1 oft fünf verschiedene Torschützen gegeben hat. Wenn der BVB nur seine PS auf die Straße bringt, ist es letztlich egal, wer am Ende den Fuß hinhält - dieses Gefühl machte die Anhänger stolz auf ihre Truppe, stolzer als auf einen Alleinunterhalter à la CR7. Man freute sich für jeden einzelnen, der sich in die Torschützenliste eintragen konnte. Doch am meisten freute man sich schon immer für Lukasz Piszczek. Ganz einfach, weil kein Mensch auf dieser Welt sich selbst so schön, so mitreißend über Tore freut wie er.
Unvergessen sein 2:1 2011 in der Nachspielzeit gegen Mainz. Ein krummes Ding von außerhalb des Sechzehners. Der Jubellauf, die Traube an Spielern, die den Polen zu halten versucht, das pure Glück, das er herausschreit, niedersinkend, sich am Boden windend, hin und her als hätte er Schmerzen, zwei zum Bersten geballte Fäuste neben dem vor Freude verzerrten Gesicht. Da blieb selbst bei neutralen Beobachtern kein Auge trocken. Das ist Fußball.
Dieses Jahr ist alles etwas anders. Von der Champions League abgesehen, ist es fast ausschließlich Pierre-Emerick Aubameyang, der am Ende den Fuß hinhält. Dann kommt lange nichts und dann mit inzwischen fünf Treffern: Lukasz Piszczek.Medial fliegt der hauptberufliche Außenverteidiger, der seine inzwischen siebte Saison in Schwarz-Gelb spielt, gewöhnlich eher unter dem Radar, doch plötzlich ist er in aller Munde. "Man of the Match" gegen Wolfsburg, torgefährlichster Verteidiger der Liga.
Tuchel: "Piszczek ist ein großes Geschenk"
Selbst Thomas Tuchel hält sich längst nicht mehr zurück mit Lobeshymnen. Es sei "ein großes Geschenk, ihn als Spieler und Persönlichkeit in der Mannschaft zu haben." Warum? "Es vergeht kein Tag, an dem er nicht mit einem Lächeln zu uns kommt. Lukasz Piszczek ist unglaublich professionell, ist ein toller Familienmensch. Ich habe das Gefühl, dass er sich gerade sehr wohl fühlt", gerät der Trainer ins Schwärmen.
"Er ist total gewissenhaft, ein Vorbild, wie man es sich nur wünschen kann. Er verkörpert alles, was den BVB auszeichnet und für was der BVB stehen soll. Ich freue mich wahnsinnig, dass er im Moment so gut drauf ist und das so konstant auf den Platz bekommt." Auch Tuchel kann sich der magischen Freude, mit der der Pole seine Umgebung infiziert, augenscheinlich nicht entziehen.
Sportlich wird im Moment offensichtlich, was menschlich schon lange gilt: Piszczek ist Gold wert für die Mannschaft des BVB. Spieler wie er und Sven Bender sind der Kleber, der das Gefüge zusammenhält. Gerade wenn es mal über längere Strecken holprig verläuft.
Innenverteidiger? Außenverteidiger? Mittelfeld? Egal!
Vergleicht man die wichtigsten Daten wie Passquote, Zweikampfquote oder Ballaktionen, fällt auf, dass sich Piszczeks Werte bis auf die Effizienz bei seinen Abschlüssen (29,4 Prozent Chancenverwertung zu 10 Prozent im Vorjahr) nur unwesentlich vom vergangenene Jahr unterscheiden. Dennoch hat man nicht zu Unrecht das Gefühl, der 31-Jährige sei momentan in der Form seines Lebens.
Der frühere Stürmer ist nämlich nicht nur als Mensch und wegen seiner wiederentdeckten Torgefahr von immensem Wert für den BVB-Coach. Ihm kommt eine taktische Schlüsselrolle zu. Neben dem Kerngeschäft des Verteidigens kann er im Dortmunder Spielaufbau verschiedene Aufgaben übernehmen.
Als rechter Halbverteidiger ist er ein Fixpunkt in der Ballzirkulation und verteilt die Bälle aus der ersten Reihe weiter an Weigl, die Achter oder die Spieler in vorderster Reihe. Egal welchen Weg der BVB wählt, der Ball geht meist über Piszczek. Bereits in der Vorsaison hat er sich so von seiner früheren Rolle als klassischer Außenverteidiger, der dem Spiel Breite gibt und mit seinen dynamischen Vorstößen an der Linie entlang für Tempo sorgt, emanzipiert - zum Erstaunen mancher Beobachter, die seine Zeit beim BVB schon abgelaufen sahen.
Gegen Wolfsburg stand Piszczek zuletzt jedoch wieder ungewohnt hoch und breit, Schmelzer auf der anderen Seite dafür tiefer als sonst. Der Pole war oft das Ziel von Seitenverlagerungen, die er mit seiner Dynamik und Übersicht gut zu nutzen wusste. Hinterlaufen, Flanken - er hat nichts verlernt. Steht Piszczek offensiver, dient er als Kombinationsspieler, bindet Gegner und schafft so Raum, etwa für Dembele, der gefährlicher wird, je mehr Platz er hat. Auch Ginter ermöglichte er gegen die Wölfe so den einen oder anderen Vorstoß durch die Mitte.
Tuchel scheint Piszczeks Flexibilität als ein Mittel ausgemacht zu haben, um wieder unberechenbarer zu werden und die Gegner durch ein variableres Aufbauspiel künftig vor größere Schwierigkeiten zu stellen. Es wird spannend zu beobachten sein, wie Piszczek in Zukunft agieren und ob er die Rollen öfter wechseln wird.
Karriereende in Dortmund?
Seine neuen Torjägerqualitäten verdankt er neben Konzentration und Handlungsschnelligkeit zu einem großen Teil dem berühmten Glück des Tüchtigen, wie er selbst gegenüber bundesliga.de zugibt: "Ich bin vor allem bei Eckstößen vorne mit dabei und suche dann meine Chance. In dieser Saison funktioniert das irgendwie besser als in den Vorjahren. (lacht) Der Ball kommt einfach zu mir und dann versuche ich ihn auch reinzumachen."
Piszczeks Vertrag läuft noch bis 2018. Er selbst hatte schon 2012 gegenüber Reviersport gesagt: "Ich brauche Stabilität und ich hoffe, dass Dortmund die letzte Station in meiner Karriere bleibt." Diese Stabilität braucht auch der im Umbruch befindliche BVB dringend. Man kann also nur hoffen, dass Piszczeks Hoffnung in Erfüllung geht, er vom Verletzungspech verschont bleibt und sich ein würdiger Nachfolger wie Felix Passlack in aller Ruhe weiter in seinem Windschatten entwickeln kann.
In Dortmund wird niemand etwas dagegen haben, wenn Piszczek derweil seine aktuelle Quote beibehält und weiter den ein oder anderen Ball reinmacht, der zu ihm kommt. Denn selbst bei zehn Saisontoren könnte man einfach nicht aufhören, sich für diesen Typen zu freuen.
Lukasz Piszczek im Steckbrief