"Die sind im Trikot nach Malle geflogen"

Adrian Fink
14. März 201713:35
Joseph Laumann feiert mit Lotte-Chefcoach Ismael Atalan den Einzug ins Viertelfinaleimago
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Joseph Laumann hat in seiner Karriere viel erlebt: 38 Sekunden Bundesliga, ein Probetraining unter dem Decknamen Joseph Ratzinger und als Co-Trainer der Sportfreunde Lotte den Aufstieg in die 3. Liga. Nun steht der 33-Jährige mit Lotte vor dem größten Highlight der Vereinshistorie: Pokal-Viertelfinale gegen Borussia Dortmund (18.30 Uhr im LIVETICKER). Im Interview spricht Laumann über seine bewegte Spieler-Karriere, die neue Aufgabe bei Lotte und die Chancen gegen den BVB.Das Interview erschien erstmals am 28. Februar vor dem ersten Termin für das Pokalspiel zwischen Lotte und Dortmund.

SPOX: Herr Laumann, Sie haben in Ihrer aktiven Karriere 38 Sekunden lang Bundesliga-Luft erlebt, im September 2005 im Spiel zwischen Schalke und Hannover. Überwiegt in der Rückbetrachtung die Freude über einen Bundesliga-Einsatz oder die Enttäuschung, dass es nicht mehr wurde?

Joseph Laumann: Ich bin damals auf den Platz gelaufen und habe sofort einen Sprint ausgepackt, aber für einen Ballkontakt hat es nicht mehr gereicht. Auch wenn ich mich in den Jahren danach geärgert habe, dass es nicht für ganz oben gereicht hat, bereue ich nichts. Ich durfte auf Schalke die professionellen Strukturen eines Bundesliga-Klubs kennenlernen und habe mir meinen großen Traum erfüllt und im Ausland gespielt.

SPOX: Vor Ihrem Wechsel zu Königsblau waren Sie bei der SpVgg Erkenschwick. Wie überraschend kam das Schalker Interesse?

Laumann: Das war unglaublich. Ich habe in der Oberliga gekickt und wir haben gegen Schalkes Amateure 0:4 verloren. Am nächsten Tag war plötzlich Mike Büskens am Telefon. Im ersten Moment dachte ich, dass es ein Scherz wäre. Warum sollte mich Mike Büskens anrufen? Nach ein paar Minuten habe ich aber gemerkt, dass er es wirklich war. Über das Angebot musste ich natürlich nicht lange nachdenken.

SPOX: Bei Schalke war zu dieser Zeit Ralf Rangnick Cheftrainer, der Ihnen auch das Debüt verschafft hat. Wie haben Sie den heutigen Leipzig-Macher kennengelernt?

Laumann: Rangnick hat eine große Qualität im Zwischenmenschlichen. Wir hatten einen schwierigen Kader mit vielen Alphatieren, aber er hatte ein gutes Gespür dafür, wie er mit welchem Spieler umgehen muss.

SPOX: Können Sie nachvollziehen, dass er den Spitznamen "Fußballprofessor" bekommen hat?

Laumann: Er war sehr detailliert und taktisch einfach unfassbar. Ich kann mir in Deutschland keinen besseren Trainer vorstellen als Rangnick. In meinen Augen kommt er in der Öffentlichkeit zu schlecht weg.

SPOX: Inwiefern?

Laumann: Viele, die ihn gar nicht so gut kennen, behaupten, ihm fehle die menschliche Kompetenz. Aber ich habe mich stets sehr wohl gefühlt bei ihm. Andere Trainer hätten mich gar nicht wahrgenommen, aber Rangnick ist hervorragend mit jedem Einzelnen umgegangen.

SPOX: Nach Schalke kamen Sie über Umwege zu Rot-Weiß Erfurt. In dieser Zeit haben Sie ohne Kenntnis des Vereins bei Vitesse Arnheim ein Probetraining absolviert - unter dem Decknamen des damaligen Papstes, Joseph Ratzinger. Wie lief das ab?

Laumann: Die Idee mit dem Namen kam von einem Mitarbeiter von Arnheim. Das war ursprünglich mehr als Scherz gedacht, ist im Nachhinein aber groß rausgekommen. Ich hätte mich nicht krankschreiben lassen dürfen, aber Erfurt hätte mich nicht ziehen lassen. Als ich zurück nach Erfurt kam, lag die Kündigung bereit, ich musste nur noch unterschreiben.

SPOX: Nach Erfurt zog es Sie zu den Sportfreunden Siegen, für die Sie 23 Spiele absolvierten. Insgesamt waren Sie in Ihrer aktiven Karriere für rund ein Dutzend verschiedene Vereine aktiv. Sind Sie immer auf der Suche nach einer neuen Herausforderung?

Laumann: Das kann man nicht pauschalisieren: Mal lief es sportlich nicht, mal wollte der Verein nicht und auch ich wollte hin und wieder eine neue Herausforderung. Manchmal wäre ich schon gerne länger geblieben.

SPOX: Mittlerweile haben Sie die Schuhe an den Nagel gehängt und arbeiten als Co-Trainer. Wie hat sich Ihr Alltag dadurch verändert?

Laumann: Man schaltet nie ab. Als Spieler muss man sich nur über die eigene Leistung Gedanken machen, als Trainer muss man 25 Spieler im Blick haben. Und die Spielvorbereitung frisst brutal viel Zeit, das kann einen bis in den Schlaf begleiten.

SPOX: Klingt ziemlich stressig.

Laumann: Seitdem ich als Trainer arbeite, kann ich verstehen, dass viele Trainer mal eine Auszeit brauchen wie Rangnick vor ein paar Jahren. Bei Lotte haben wir zum Glück noch mehr Pausen.

SPOX: Hatten Sie als junger Trainer auch mal Probleme, sich den Respekt der Spieler zu verschaffen?

Laumann: Autoritätsprobleme? Kenne ich nicht. Ich arbeite sehr gerne mit jungen Spielern zusammen und hatte da nie Probleme. Die Nachwuchsarbeit in Deutschland wurde grundsaniert und die Profis werden immer jünger, weil die Förderung viel besser greift. Wir waren früher über Leibchen und Hütchen froh, heute sind die technischen Möglichkeiten beinahe unbegrenzt. Das birgt aber auch Gefahr.

SPOX: Welche?

Laumann: Fußball ist ein sehr einfacher Sport und deshalb ist Fußball hierzulande der Sport Nummer eins. Durch diese wissenschaftlichen Kriterien wird er zum Teil künstlich kompliziert gemacht, wodurch der Spaß verloren gehen kann. Fußball ist keine Verpflichtung wie Schule oder Uni, sondern eine Spaß-Beschäftigung.

SPOX: Wie intensiv arbeiten Sie in Lotte mit Datenanalyse?

Laumann: Wir nehmen beispielsweise einige Trainingseinheiten mit einer Kamera auf, damit wir den Spielern taktische Fehler zeigen können. Die technische Komponente bewegt sich aber in einem überschaubaren Rahmen.

SPOX: Seit Ihrem Amtsantritt arbeiten Sie mit Cheftrainer Ismail Atalan zusammen. Wie sieht die Aufgabenteilung aus?

Laumann: In diesem Jahr macht Ismail den Fußball-Lehrer-Lehrgang und ist deshalb nur von Donnerstag bis Sonntag da. Daher leite ich das Training und übernehme die Aufgaben des Video-Analysten und bereite für die Mannschaft die entsprechenden Sequenzen vor.

SPOX: Sie sind mit Lotte in der Saison 2015/16 in die 3. Liga aufgestiegen. Wie sehen die Feierlichkeiten in einem Städtchen aus, das nur 14.000 Einwohner hat - jetzt aber Profi-Fußball spielt?

Laumann: Wir sind damals spontan aus Mannheim direkt zum Flughafen gefahren. Die Spieler sind im Trikot nach Mallorca geflogen und haben unterwegs noch ein Hotel gebucht. Das Dorf selbst war damals noch nicht vom Fußballverein begeistert, das hat sich durch den Erfolg beim DFB-Pokal geändert.

SPOX: Wie macht sich die Fußball-Begeisterung im Alltag bemerkbar?

Laumann: Es ist eine kleine Gemeinde und wenn die Spieler beim Bäcker ihr Frühstück holen, werden sie in ein Gespräch verwickelt. Bisher ist das aber noch nicht aufdringlich, sondern angenehm.

SPOX: Am Dienstag steht das größte Highlight der Vereinshistorie an: Pokal-Viertelfinale gegen Borussia Dortmund. Was kommt Ihnen da spontan in den Kopf?

Laumann: Das hätte ich mir beim Amtsantritt nicht erträumen lassen. Aber dieses Erlebnis haben wir uns sachlich erarbeitet. Wir haben vor den Pokalspielen nicht den Fehler gemacht, dass wir einfach mal schauen wollten, was herausspringt und wir werden uns auch nicht gegen den BVB klein reden. Wir legen uns einen Plan zurecht und jedes Spiel gegen einen Bundesligisten ist für uns ein Erlebnis.

SPOX: Auf dem Weg ins Viertelfinale haben Sie mit Werder Bremen und Bayer Leverkusen schon zwei Bundesligisten aus dem Weg geräumt. Was ist Lottes Erfolgsgeheimnis?

Laumann: Leverkusen hat eine enorme Qualität, aber wir haben uns nicht unterbuttern lassen. Natürlich würden wir von zehn Spielen acht verlieren, aber wenn man bereits im Vorfeld vor Ehrfurcht erstarrt, hat man keine Chance. Unsere Jungs haben 120 Minuten unglaublich leidenschaftlich gekämpft - und das lange Zeit in Unterzahl.

SPOX: Was erwarten Sie vom Spiel gegen den BVB?

Laumann: Dortmund hat eine individuelle Qualität, auf die unsere Spieler nicht mehr so oft treffen werden. Die Chance ist kleiner als in den bisherigen drei Pokalspielen, aber wir glauben auch gegen den BVB an das Weiterkommen. Unser Platz ist leider nicht so schön und das tut uns in der Liga weh, aber vielleicht hat der BVB größere Probleme damit als wir.

SPOX: Wie geht das Team taktisch gesehen in das Spiel?

Laumann: Unser Spiel ist risikofreudig und wir wollen den Gegner gar nicht zur Entfaltung kommen lassen, deshalb werden wir auch gegen den BVB pressen. Aber wir müssen natürlich beachten, dass der BVB vorne ein unfassbares Tempo mitbringt. Wir wollen ihnen den Spaß nehmen, ihren Flow zerstören und vielleicht können wir sie ja überraschen. Gleichzeitig müssen wir aber hoffen, dass Dortmund nicht seinen besten Tag hat, sonst haben wir keine Chance.

SPOX: Wie ist die Stimmung innerhalb der Mannschaft? Hat man vielleicht doch ein bisschen Angst, unter die Räder zu geraten oder freut man sich einfach auf so ein Match?

Laumann: Die Stimmung ist hervorragend, wir haben überhaupt keine Angst davor, dass wir unter die Räder geraten. Wenn wir davor Angst hätten, würden sie uns auch sicher abschießen. Wir können die Stärke des BVB durchaus einschätzen, aber wir sind uns auch unserer Stärke bewusst und werden uns nicht ergeben.

SPOX: Lassen Sie uns mal träumen: Wenn Lotte den Einzug ins Halbfinale schafft, dann...

Laumann: ... werden wir ausgiebig feiern. Wer weiß, vielleicht geht es ja wieder nach Mallorca. (lacht) Nein, im Ernst: Wir werden feiern, aber am Wochenende steht das Ligaspiel gegen Jahn Regensburg auf dem Programm. Aber wenn es so weiter geht, sollten wir uns vielleicht mal wegen einer Prämie für den Pokalsieg zusammensetzen.

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