"Es passiert sicher nicht mehr", sagte Philipp Lahm - um sich direkt danach zumindest in einem kleinen Detail selbst zu verbessern, "so gut wie sicher passiert es nicht mehr, dass es eine schlechte Saison wird. Aber", fügte der Kapitän des FC Bayern München am Montag beim Pressetalk an der Säbener Straße hinzu, "ob es eine gute oder eine sehr gute Saison wird, hängt vom Pokal ab."
Eine minimale sprachliche Verbesserung. Doch eine sprachliche Verbesserung, die tief blicken lässt.
"Fantastisch" kann die Saison für den anspruchsvollen FC Bayern nicht mehr werden. Das "sehr" vor der "guten" Bewertung müssen sie sich noch verdienen.
Nach dem Ausscheiden im Champions-League-Viertelfinale gegen Real Madrid hat der deutsche Rekordmeister das Double als höchstes Saisonziel ausgerufen.
Meisterschaft auf Halbgas "geht nicht"
Die Meisterschaft haben die Bayern zum fünften Mal in Serie fast im Sack. Acht Punkte Vorsprung bei vier ausstehenden Ligaspielen werden aller Voraussicht nach reichen. Die Schale reicht in München gerade noch für die Bewertung "gut".
Und doch zeigte der Auftritt beim 2:2 gegen den 1. FSV Mainz 05 am Samstag, "dass es nicht geht, wenn wir denken, wir könnten Mannschaften in der Bundesliga einfach so locker besiegen." Mit diesen Worten warnte ein besorgter Mats Hummels nach der Partie in der Mixed Zone.
Der Gedanke, die Meisterschaft auf Halbgas mitzunehmen, hat in den letzten Wochen offenbar Einzug in viele Köpfe gefunden.
Noch am 1. April sah alles rosig aus. Die Bayern hatten den FC Augsburg mit 6:0 vermöbelt, waren pünktlich zur heißen Saisonphase augenscheinlich in Top-Form. Genauso wie alle es von einer Mannschaft unter der Leitung von Carlo Ancelotti erwartet hatten - und wie eben dieser es im formschwachen Herbst angekündigt hatte.
Dreieinhalb Wochen später hat sich die Situation gewandelt. Nur eines der letzten sechs Pflichtspiele entschieden die Münchner für sich. Neben dem zugegeben sehr überzeugenden 4:1-Heimsieg im Topspiel gegen Borussia Dortmund verlor das Ancelotti-Team gegen Hoffenheim und zweimal gegen Real Madrid, spielte Remis in Leverkusen und gegen Mainz.
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Zum zweiten Mal Sand im Getriebe
Im Ancelotti-Monat April ist beim FC Bayern zum zweiten Mal in dieser Saison Sand im Getriebe. Diesmal zur Unzeit.
Die Gründe dafür sind vielfältig, fremdverschuldet wie selbstgemacht: Verletzungsprobleme, Schiedsrichterpech, fehlender Fokus auf die Ligaspiele, unglückliche Spielverläufe wie beim Hinspiel gegen Real, fehlende Alternativen wegen fehlender Spielpraxis der potentiellen Alternativen.
Durch die bittere Nacht von Madrid ist ein Titeltraum bereits ausgeträumt. Mit dem Henkelpott wird es 2017 nichts.
Lahm will sein Karriereende aufschieben
Umso wichtiger ist nun das Halbfinale im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund: "Wir wissen alle, wie schön das Spiel in Berlin ist. Da müssen wir hin. Dafür müssen wir alles geben", sagte Arjen Robben.
Für Philipp Lahm geht es auch darum, durch einen Einzug ins Finale sein Karriereende um eine Woche aufzuschieben und sein letztes Spiel auf der größten nationalen Bühne zu absolvieren: "Es wäre ein schöner Abschluss. Die Atmosphäre dort ist immer super. Ich durfte dort schon viele Finals spielen und die meisten waren erfolgreich."
Das Halbfinale gegen Borussia Dortmund ist für die Bayern ein Spiel, das über die Bewertung einer ganzen Saison entscheidet. Das sitzt in den Köpfen. Es war kein Zufall, dass BVB-Trainer Thomas Tuchel genau dort ansetzte, als er ankündigte, den Bayern "die Saison ein bisschen vermiesen" zu wollen.
Anfällig für Psychospielchen?
Psychospielchen, auf die sich die Bayern nicht einlassen wollen.
Und doch ist irgendwie etwas Wahres dran: Sollte im wichtigen Monat April nach dem Champions-League- auch noch der Pokaltraum platzen, kämen unangenehme Fragen zum Vorschein.
Für den Titelverteidiger wird das Halbfinale deshalb allem voran zum Mentalitätstest. Wie sehr kann sich die Mannschaft nach den antriebslosen Auftritten in der Bundesliga gegen Leverkusen und Mainz im Pokal in Wettkampfform bringen - wie bei den Spielen gegen Real Madrid?
"Wir haben alle schon oft genug große Siege und bittere Niederlagen erlebt. Wir sind so erfahren, dass wir das gut einschätzen und direkt in einen anderen Modus schalten können", kündigte Hummels an: "In den großen Spielen dieser Saison waren wir mental voll da."
Gegen den BVB wieder über 120 Minuten?
Womöglich muss die Mannschaft am Mittwochabend in der Allianz Arena über 120 Minuten "mental voll da" sein. Die letzten drei Pokalduelle mit dem BVB gingen in die Verlängerung, die letzten beiden entschied erst das Elfmeterschießen.
"Man übt schon ab und zu einen Elfmeter im Training", gab Lahm am Montag deshalb zu, "aber so weit wollen wir es gar nicht kommen lassen."
Ancelotti hob bei der Pressekonferenz am Dienstag die psychische Komponente des Roulettespiels Elfmeterschießen heraus: "Es ist normal, dass Spieler am Ende des Trainings Elfmeter trainieren, aber ich denke, ein Mentaltraining ist wichtiger als ein technisches Training, denn die Situation in einem Elfmeterschießen ist schwierig zu rekonstruieren."
Alaba fraglich, Innenverteidiger fit
Immerhin kann Ancelotti beim wichtigsten Spiel der kommenden Wochen personell aus dem Vollen schöpfen: "Alle Spieler sind fit. Nur David Alaba hatte im Abschlusstraining Probleme", sagte der Mister und betonte: "Wenn Alaba nicht bei 100 Prozent ist, gehen wir kein Risiko, dann spielt Bernat."
Die Situation in der Innenverteidigung dagegen hat sich rechtzeitig entspannt: "Hummels hat gegen Mainz ohne Probleme gespielt, Martinez und Boateng haben gut trainiert. Das Problem liegt eher bei mir, denn ich muss mich für zwei von ihnen entscheiden."
Momentum beim BVB
Doch so verrückt es vor dem Hintergrund der überstandenen Verletzungsprobleme, zweieinhalb Wochen nach der 4:1-Machtdemonstration in der Bundesliga und zwei Wochen nach dem Anschlag auf den BVB-Mannschaftsbus klingt: Gefühlt ist das Momentum bei den Gästen.
Warum? Weil das Comeback von Marco Reus, die Festnahme des Attentäters und der emotionale Sieg gegen Borussia Mönchengladbach Rückenwind erzeugt haben, während die Roten nach dem 2:2 gegen Mainz eher lange Gesichter machten.
Marco Reus: Fußballerischer und menschlicher Ersthelfer
Und weil das Pokalfinale für die Dortmunder ein Bonus wäre, Balsam auf die Wunden der letzten Wochen, aber bei Weitem kein Muss. Der Druck liegt vor allem bei den Bayern.
Bayern München - Borussia Dortmund: Die Daten zum Spiel