DFB-Pokal-Halbfinale HSV gegen SCF - Rodolfo Cardoso im Interview: Freiburg? "Ohne Verletzungen wären wir vielleicht sogar Meister geworden"

Thomas Lehmitz-Artmann
19. April 202214:00
Rodolfo Cardoso beim Abschiedsspiel seines ehemaligen HSV-Kollegen Jaroslav Jarolim 2015.imago images
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Rodolfo Cardoso spielte einst für den SC Freiburg und den Hamburger SV, wo er mittlerweile als Trainer im Nachwuchsbereich tätig ist. Vor dem Duell der beiden Klubs im DFB-Pokal-Halbfinale am Dienstag blickt der 53-jährige Argentinier im Interview mit SPOX und GOAL zurück und nach vorne.

Herr Cardoso, Sie haben sowohl für den SC Freiburg als auch für den HSV gespielt. Ist dieses Duell (20.45 Uhr im LIVETICKER) etwas Besonderes für Sie persönlich?

Rodolfo Cardoso: Ja, ich freue mich auf das Spiel. Es könnte ein magischer Abend werden. Einerseits ist es für mich schön zu sehen, dass beide Mannschaften im Pokal so weit gekommen sind. Andererseits ist es ein bisschen bitter, weil nur eine Mannschaft das Finale erreichen wird. Da werde ich definitiv auch ein bisschen leiden. Da ich ja für beide Teams gespielt habe, verbinde ich mit ihnen viele schöne Erinnerungen. Deswegen ist es schade, dass jetzt eine Mannschaft rausfliegen muss - auch wenn ich heute Abend vor allem dem HSV die Daumen drücken werde.

Beim SC Freiburg haben Sie ihre meisten Tore in der Bundesliga erzielt. Erinnern Sie sich an eine besondere Szene, die Ihnen im Gedächtnis geblieben ist?

Cardoso: In meiner ersten Saison waren wir im Abstiegskampf. Ich erinnere mich, dass wir zuhause gegen Leipzig unbedingt gewinnen mussten. Ich habe erst einen Elfer verschossen und dann kurz vor Schluss das 1:0 zum Sieg gemacht. Dadurch hatten wir am letzten Spieltag gegen Duisburg noch die Chance auf den Klassenerhalt. Die Leute haben gefeiert. Das war echt ein geiler Moment. Auch meine zwei Tore beim 5:1 gegen Bayern München eine Saison später sind mir gut im Gedächtnis geblieben. Obwohl ich nur für zwei tolle Jahre dort war, hat mich dieser Verein geprägt und ich verbinde auch heute noch viel mit dem SC Freiburg.

Cardoso: "Freiburg hat eine tolle Fußballkultur"

Sie haben mit Freiburg sowohl um den Klassenerhalt als auch um die Champions League gespielt. Wie sehr verfolgen Sie die jetzige Mannschaft?

Cardoso: Ich verfolge die Freiburger schon noch regelmäßig, wenn die Partien nicht mit unseren Spielen hier beim HSV kollidieren. Freiburg ist jede Saison gut. Egal ob sie oben oder unten mitspielen. Weil sie immer Spieler verkaufen müssen und nicht groß einkaufen können, beginnen sie fast jede Saison neu. Trotzdem spielen sie immer ordentlich. Die Scouting-Abteilung macht einen hervorragenden Job: Sie kaufen häufig Spieler, die unbekannter sind und dann bei Freiburg einschlagen. Auch wenn Freiburg manchmal gegen den Abstieg spielt: Der Fußball ist immer attraktiv.

Sind Sie stolz, von 1993 bis 1995 Teil von diesem Konzept gewesen zu sein?

Cardoso: Ja, ganz sicher. Freiburg hat eine tolle Fußballkultur. Wir haben damals unter Volker Finke schon Fußball gespielt, wie er heute modern ist: viele Pässe, große Rotationen, sehr dynamisch. Damit haben wir die Liga damals überrascht. Das war schön und attraktiv. Wenn sich nicht ein paar Spieler verletzt hätten, wären wir vielleicht sogar Meister geworden - und das, obwohl im Vorfeld viele dachten, wir steigen ab. Darauf bin ich schon stolz.

Wie würden Sie Ihre Zeit in Freiburg mit einem Wort zusammenfassen?

Cardoso: Wunderschön! Ich kam aus Homburg in der 2. Liga. Beim Angebot von Freiburg habe ich nicht zweimal überlegen müssen. Sehr familiär, gute junge Spieler, eine geile Stadt. Ich war nach kürzester Zeit sehr glücklich über meine Entscheidung, dorthin zu kommen.

Beim HSV sind Sie dann lange geblieben. Was macht diesen Verein so besonders?

Cardoso: Der HSV ist ein Traditionsverein mit einer ganz anderen Geschichte als Freiburg. Allein schon seine Vergangenheit macht ihn so besonders. Der HSV hat in den 1970ern und 1980ern Historisches erreicht. Hier wurde die Fußball-Geschichte mitgeschrieben. Dass der Klub auch heute noch etwas Besonderes ist, sehen wir heute Abend: Gegen Freiburg im DFB-Pokal-Halbfinale zu spielen mit 57.000 Zuschauern, die immer hinter der Mannschaft stehen, ist für den Verein ein toller Erfolg. Darauf müssen wir aufbauen, uns einfach weiterentwickeln und konstanter werden. Ich sehe uns auf einem guten Weg und hoffe, dass wir langfristig auch wieder in der Bundesliga spielen dürfen. Das wäre für ganz Hamburg schön.

Rodolfo Cardoso beim Abschiedsspiel seines ehemaligen HSV-Kollegen Jaroslav Jarolim 2015.imago images

Cardoso: "Das könnte ein Vorteil für den HSV sein"

Gibt es ein Spiel oder eine Szene, an die Sie sich besonders gerne erinnern?

Cardoso: Da fällt mir aus meiner aktiven Zeit sofort das 4:4 gegen Juventus in der Champions League ein. Wir haben nach langer Zeit wieder Königsklasse gespielt, das war ein besonderes Spiel. Auch historisch und für die Fans: Juventus war auch schon der Gegner beim Champions-League-Sieg 1983. Als das Los dann auf Juve gefallen ist, waren alle total euphorisch. Turin mit seinen ganzen Superstars: Zinedine Zidane, Edgar Davids und Inzaghi und wir schaffen da ein 4:4. Obwohl es das erste Spiel in der Champions League war, hat es sich wie ein Finale angefühlt. Es war dann auch eine geile Saison mit vielen schönen Momenten als Mannschaft.

Welche Gemeinsamkeiten haben Freiburg und HSV?

Cardoso: Ich nehme die beiden Vereine schon als sehr verschieden wahr. Der HSV ist ein großer Verein mit sehr vielen Mitarbeitern und bewegt sehr viel hier im Norden von Deutschland. Freiburg ist da eher etwas beschaulicher, ein junger Verein und erfolgreich in der Nachwuchsarbeit. In die Nachwuchsarbeit investiert der HSV aktuell ebenfalls viel und kann sich da durchaus an Freiburg orientieren. Da sehe ich schon eine Gemeinsamkeit.

Der HSV geht als Underdog in diese Partie. Was muss passieren, damit die Hamburger das Spiel gewinnen?

Cardoso: Ich glaube, wir müssen es schaffen, gleich zu Beginn die Zuschauer im Rücken zu haben. Zuhause mit vollem Haus zu spielen ist ein großes Plus. Die Fans geben extra Motivation und das ist auch nötig, denn Freiburg ist der Favorit. Sie sind die Mannschaft aus der 1. Liga, kommen mit einem guten Lauf als Tabellenfünfter und spielen vielleicht nächste Saison international. Der Pokal ist aber immer etwas anderes. Freiburg war noch nie in einem solchen großen Spiel. Der HSV aber schon, geschichtlich betrachtet. Das könnte auch ein Vorteil sein. Vielleicht spielen auch die Nerven am Ende eine Rolle. Wer weiß. Trotzdem ist Freiburg für mich der klare Favorit.