Es wird wohl die richtige Entscheidung von Marco Reus gewesen sein, sich im Anschluss an das verlorene DFB-Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg nicht den Fragen der Journalisten gestellt zu haben. In der Mixed Zone wurde Reus nämlich nicht gesehen, obwohl seine Sicht auf die Dinge, die sich 90 Minuten zuvor abspielten, durchaus interessant gewesen wäre.
Wo sich Reus stattdessen aufhielt, ist nicht überliefert. Vermutlich wird er irgendwo im Bauch des Berliner Olympiastadions trotz der Niederlage Glückwünsche entgegen genommen haben. Reus wurde in der Nacht zu Sonntag 26 Jahre alt.
Das 2:0 auf dem Schlappen
Für ihn sprachen dann die Teamkollegen - und sie kamen immer wieder auf die Szene in der 18. Spielminute zurück. Beim Stande von 1:0 für den BVB vergab Reus in abseitsverdächtiger Position eine hundertprozentige Torchance. Wäre dieser Ball ins Tor gegangen und hätte gezählt, es wäre ein gewaltiger Hieb für die zu diesem Zeitpunkt noch taumelnden Wolfsburger gewesen.
"Wir hätten mit dem 2:0 das Spiel extrem in unsere Bahn lenken können", sagte Mats Hummels. Es wäre "auf jeden Fall vorteilhaft für uns gewesen", erklärte Neven Subotic, wenn Reus diesen Schuss im Kasten untergebracht hätte.
Und auch VfL-Trainer Dieter Hecking kam in der anschließenden Pressekonferenz ziemlich schnell zu der Erkenntnis: "Wichtig war, dass Marco Reus das 2:0 nicht macht." Jürgen Klopp nahm seinen Schützling dagegen erwartungsgemäß in Schutz, dürfte mit seiner Einschätzung aber auch nicht danebengelegen haben: "Man kann diese Niederlage nicht an dieser einen Aktion festmachen. Es gibt keine Garantie dafür, dass wir nicht auch nach einem 2:0 drei Tore kassiert hätten."
Der "halbe Weltmeister"
Das letzte Pflichtspiel des BVB passt dennoch auf tragische Weise in Reus' vergangenes Jahr, dem der Nationalspieler wohl am liebsten lauthals ein "Komm bloß nie wieder" entgegen brüllen würde. Bald wird sich der Anriss des Syndesmosebandes jähren, der Reus die Teilnahme an der WM verwehrte. Er muss sich deshalb als "halber Weltmeister" betiteln lassen, die gemeinsame WhatsApp-Gruppe mit seinen Kumpels Mario Götze und Andre Schürrle trägt den Namen "Zweieinhalb Weltmeister".
Auch im weiteren Saisonverlauf plagten ihn immer wieder größere und kleinere Blessuren. Kaum war Reus einmal im Spielrhythmus, stand schon wieder die nächste Zwangspause an - und sein Verein litt zusehends unter der Abwesenheit seiner wichtigsten Offensivwaffe. Nur 29 Pflichtspiele stehen für Reus nach dieser Spielzeit nun zu Buche. Er hangelte sich von einer Aufbauphase zur nächsten.
Gegen Wolfsburg war ihm wie schon am 34. Bundesligaspieltag gegen Bremen anzumerken, dass er in den zurückliegenden Wochen kaum regelmäßig Fußball spielen konnte. Form, Spritzigkeit und die nötige Wettkampfhärte gingen ihm ab.
Unglücklicher Auftritt
Reus agierte am Samstagabend äußerst unglücklich und das nicht nur, weil die Niedersachsen kurz nach seiner Großchance zum vermeintlichen 2:0 den Ausgleich erzielten. Besonders im ersten Durchgang fehlte ihm das nötige Timing bei seinen Bewegungen ohne Ball.
Alle vier Abseitsstellungen des BVB im Finale gingen auf Reus' Konto. Der schludrige Umgang mit diesen Szenen war leichtfertig, da es sich jedes Mal um dynamische Angriffe handelte und aussichtsreiche Gelegenheiten damit bereits im Keim erstickten.
Auf einen Titel, wenn man vom Gewinn des Supercups 2013 und 2014 sowie der persönlichen Auszeichnung zum Fußballer des Jahres 2012 absieht, muss Reus also weiterhin warten. Mit der Borussia reichte es nur zu zwei Vizemeisterschaften und nun drei verlorenen Endspielen in Serie. "Er wird mit seiner Qualität noch Titel gewinnen - das steht völlig außer Frage", ist sich Klopp sicher.
Wirkungslos in großen Spielen
Doch Reus haftet auch ein wenig der Makel an, dass er abgesehen von seinem starken Auftritt im Champions-League-Finale 2013 in wichtigen Partien blass bleibt. Er taucht dann zwar nicht vollständig unter, weil er ein großes Kämpferherz beweist und sich immer weiter versucht.
Aber er bleibt eben auch häufig wirkungslos und schafft es nicht, in diesen Duellen seine privilegierte Stellung in Klub wie Mannschaft zu unterstreichen. Von einem begnadeten Spieler wie ihm erwartet man jedoch das Außergewöhnliche.
Bereits das Pokalfinale im letzten Jahr gegen den FC Bayern war nicht sein Spiel (0:2 n.V.), wenige Wochen zuvor enttäuschte er im Viertelfinalhinspiel bei Real Madrid (0:3). Geht man noch eine Saison weiter zurück, kam von ihm beim Ausscheiden im Pokal gegen die Bayern (0:1) ebenfalls nur wenig - wie vergangenen März beim Rückspiel in der Königsklasse gegen Juventus Turin (0:3). Die Konstanz, die vor allem in seinen Bundesligastatistiken nachzulesen ist, fehlt ihm in diesen Crunchtime-Spielen noch.
Neustart unter Tuchel
"Familie, Freunde - das ist mehr wert als alles andere", war für Reus ein Teil seiner Beweggründe, zu Jahresbeginn den Vertrag in Dortmund bis 2019 verlängert zu haben. Am Tag seines 26. Geburtstags beginnt für ihn jetzt der Urlaub, die Länderspiele gegen die USA und Gibraltar hat ihm Bundestrainer Joachim Löw erspart.
Nach der Sommerpause wird in Dortmund unter Thomas Tuchel der Neustart eingeleitet. Wenn es dann wieder losgeht, ist für Reus auch das Seuchenjahr, in dem vieles im Konjunktiv bleiben musste, endgültig zu Ende.
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