Ob Prophetie, Hoffnung oder Aufforderung: Die Fans hatten Recht. "Die Zeit ist reif" prangerte auf dem riesigen Banner des Wolfsburger Anhangs in der Nordkurve des Berliner Olympiastadions. Und die Spieler sollten den Anspruch der eigenen Fans nicht enttäuschen.
Da wäre Trainer Dieter Hecking, der seinen ersten Titel als Spieler und Trainer feiern durfte. Oder Manager Klaus Allofs, der mit viel Geld, aber auch mit viel Kompetenz einen schlagkräftigen Kader zusammengestellt hat. Und natürlich die Mannschaft selbst, die noch einmal für den so tragisch verstorbenen Teamkollegen Junior Malanda kämpfte, den Abwärtstrend zum richtigen Zeitpunkt stoppte - und damit den Fans Recht gab.
Die richtige Antwort, der nächste Schritt
Immerhin schien zunächst wenig für den VfL zu laufen. Wolfsburg hatte nur zwei der letzten fünf Ligaspiele gewonnen und schleppte sich nach dem deutlichen Aus in der Europa League dem Saisonende entgegen. Die offensive Leichtigkeit und Bissigkeit war ein wenig verloren gegangen.
Auf der anderen Seite der BVB: Emotionalisiert im letzten Spiel von Trainer Jürgen Klopp gelang Dortmund auch noch der Traumstart, Pierre-Emerick Aubameyang nutzte einen Stellungsfehler und spitzelte die Flanke von Shinji Kagawa in der 5. Minute über die Linie.
Und doch war offensichtlich: Diese Wolfsburger Mannschaft war soweit. "Wir sind schwer ins Spiel gekommen, haben aber die richtige Antwort gefunden und verdient gewonnen", brachte es Torhüter Diego Benaglio auf den Punkt und Allofs fügte hinzu: "Die Mannschaft hat nach schnellem Rückstand toll reagiert. Wenn man sich weiter entwickeln will, gehören solche Erfolge, solche Titel dazu."
Eine Mannschaft vor dem Zenit
Entscheidend ist das Stichwort "weiterentwickeln". Der Sprung der Wölfe in der laufenden Saison, sowohl spielerisch, als auch was den Charakter der Mannschaft angeht, war genauso sichtbar wie beeindruckend. Allofs und Hecking haben es geschafft, die finanziellen Möglichkeiten, die der Klub seit Jahren hat, endlich effektiv zu nutzen und eine Mannschaft zusammenzustellen, die sich als langfristige Nummer zwei in Deutschland hinter dem FC Bayern etablieren kann.
Rund um die Achse bestehend aus Naldo, Luiz Gustavo und Kevin De Bruyne hat Wolfsburg inzwischen eine junge, talentierte und variable Mannschaft aufgebaut, gespickt mit talentierten Spielern wie Josuha Guilavogui und Maximilian Arnold sowie gestandenen Profis wie die Schweizer Benaglio und Ricardo Rodriguez. Die Entwicklung dieses Teams ist längst nicht vorbei - obwohl es seinen schwierigsten Moment schon hinter sich hat.
Der tragische Unfalltod von Junior Malanda im Januar hat die Mannschaft trotz ihres jungen Alters nicht auseinanderbrechen lassen, sondern das Team zusammengeschweißt. Spieler und Trainer haben die Emotionen zusammen richtig kanalisiert und in Form von Leistung auf den Platz gebracht, ohne den so jung verstorbenen Belgier dabei je zu vergessen.
"Junior ist immer bei mir"
"Junior ist immer bei mir. Er war mein Landsmann, er war ein kleiner Bruder von mir. Du weißt, dass es schnell geht im Leben. Er hat uns auf seine Art geholfen, er bleibt immer bei mir im Leben", stellte De Bruyne, dem der Tod seines Freundes nach wie vor sichtlich zu schaffen macht, nach dem Spiel klar.
Mit Malandas Rückennummer 19, dargestellt in einem Herz, hatte der VfL den Mitspieler auch sichtbar auf seinem Final-Trikot getragen. Allofs erklärte: "Wir wollten das nicht in den Vordergrund stellen, aber zeigen, dass er uns die gesamte Rückrunde begleitet hat. Dass alle ihn im Kopf hatten. Der Trainer hat es auch gesagt, dass wir auch für ihn spielen. Ich glaube, dass das auch ein paar Kräfte freigesetzt hat."
Kehls bitterer Abschied
Konkret sah das so aus, dass sich die Wölfe nach dem Rückstand kurz schüttelten - und zwischen der 22. und der 38. Spielminute aus dem 0:1 eine 3:1-Führung machten. Gustavo staubte zum Ausgleich ab, De Bruyne ließ die Partie mit einem Dropkick aus 18 Metern endgültig kippen.
Nach dem 3:1 durch Bas Dost, der damit seinerseits ein unglückliches finales Saisondrittel versöhnlich abschloss, beeindruckte Wolfsburg mit einer starken, kompakten Mannschaftsleistung, Aggressivität und großem Herz. Wolfsburg, der Eindruck entstand zunehmend, wollte den Titel an diesem Abend in Berlin mehr als Dortmund.Auch BVB-Routinier Sebastian Kehl, für den es das letzte Spiel seiner Karriere war, musste zugeben: "Fußball ist kein Wunschkonzert. Man muss sagen, dass die Wolfsburger über 90 Minuten besser waren und am Ende verdient gewonnen haben. In der zweiten Halbzeit haben wir nicht mehr den Dreh gefunden. Es ist sehr, sehr bitter, mit einer Niederlage die Karriere zu beenden."
Der nächste Test wartet schon
Aus Wolfsburger Sicht dagegen soll das Endspiel nicht das Ende, sondern der Anfang von etwas Großem sein. Der Titel ist der nächste Schritt in der Wolfsburger Entwicklung, die Hecking und Allofs seit zwei Jahren gemeinsam vorantreiben, und die den VfL in die Champions League katapultiert hat. Der Triumph über den BVB kann somit gewissermaßen auch sinnbildlich für die Wachablösung hinter dem FC Bayern stehen, vorausgesetzt Wolfsburg hält seinen Kurs.
Die nächste große Probe steht jetzt schließlich schon bald bevor, der VfL muss beweisen, dass er einen Spieler wie De Bruyne halten kann. Doch schon jetzt ist klar: Die Zeit scheint reif für die Wölfe. Der Pokalsieg ist nicht nur der erste große Titel in Heckings Karriere, sondern auch der erste Titel für Wolfsburg seit der Meisterschaft unter Felix Magath 2009.
"Ich bin einfach mächtig stolz auf meine Mannschaft heute", brachte es Hecking, den die obligatorische Bier-Dusche erst auf der Pressekonferenz ereilte, auf den Punkt: "Sie ist vom ersten Tag an unwahrscheinlich kameradschaftlich miteinander umgegangen, sie haben einen unwahrscheinlichen Teamgeist entwickelt. Diesen Sieg widmen wir natürlich Junior Malanda."
Dortmund - Wolfsburg: Alle Infos zum Spiel