Für einen kurzen Moment zeigte Ousmane Dembele sein nachvollziehbares, aber unnötiges Gesicht. Das kam im Laufe dieser Saison schon einige Male vor, zuletzt allerdings etwas seltener.
Beim Pokalspiel gegen Hertha BSC setzte Dortmunds Neuzugang in der Anfangsviertelstunde zu einem Dribbling in der gegnerischen Hälfte an und wurde unfair von Gegenspieler Per Skjelbred ausgebremst.
Dembele fiel, sprang aber schnell wieder auf und lieferte sich mit Skjelbred ein Tete-a-tete. Es ist verständlich, dass es dem Franzosen nicht ganz so gut gefällt, meist nur durch unlautere Mittel gestoppt zu werden.
Dembeles Wankelmut
Anschließend jedoch hitzköpfig zu werden hat noch auf keinem Fußballplatz der Welt zu etwas Sinnvollem geführt. Nicht zum ersten Mal in dieser Saison eilte ein Mitspieler herbei, um Dembeles Unmut wieder einzufangen und ihm einzubläuen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Das Wankelmütige im Spiel des Tempodribblers blitzt weiterhin beständig auf. Dembele könnte zahlreiche, bereits im Ansatz gefährliche Situationen mit einem präziseren Passspiel oder einer sauberen Ballannahme noch deutlich verschärfen.
Der Prozess, in dem der 19-Jährige momentan steckt, ist mehr als natürlich. Erst seit knapp über einem Jahr tummelt sich Dembele im Profifußball, seit seinem Wechsel zum BVB hat sich das fußballerische Niveau um ihn herum noch einmal erheblich potenziert.
Großer Wert für den BVB
Doch, und das ist das Erstaunliche: Dembele ist enorm lernfähig, extrem talentiert und entwickelt sich rasend schnell weiter. Es spielt ihm dabei sicherlich in die Karten, dass sich die Borussia in diesem Jahr in einer bis heute andauernden Findungsphase befindet.
Dembele hat sich aber zu jenem Spieler entwickelt, der Dortmund die Suche nach sich selbst erleichtert. Aktuell wird das noch deutlicher als zuvor. Bereits die Hinrunde offenbarte, welch herausragenden Wert der Youngster für die Mannschaft von Thomas Tuchel besitzen kann.
Damals agierte er noch in einer anderen Rolle und kam meist als reiner Flügelspieler zum Einsatz. Hat Dembele dort ausreichend Platz, kann er auch auf der Außenbahn seine wahnsinnige Geschwindigkeit ausspielen und die Gegner in Eins-gegen-eins-Duellen verrückt machen.
Zentral eingerückt noch stärker
Seit Dembele aber eingerückt im Zentrum als eine Art zweiter Zehner spielt, hat sich sein Einfluss aufs Spiel der Schwarzgelben noch einmal merklich erhöht. In dieser Zone des Spielfelds ist Dembele häufiger an gefährlichen Kombinationen seines Teams beteiligt, seine dynamischen Drehungen und Antritte aus den Halbräumen bedeuten dann fast zwangsläufig eine höhere Gefahr für die Gegenspieler.
Denn: Dembele vereint in seinem jungen Alter schon viele Eigenschaften, die aus ihm einen Weltklasse-Spieler machen können. In der Bundesliga gibt es momentan kaum einen besseren Umschaltspieler als ihn. Seine Durchschlagskraft im Dribbling, aber auch die Genauigkeit bei Zuspielen in die Tiefe oder selbst bei Flanken heben Dortmunds Bemühungen auf ein höheres Niveau.
Ähnliches sagte Tuchel schon früh in der Saison über Raphael Guerreiro. Dies hat beim Portugiesen auch weiterhin Bestand, nur hängt der Neuzugang aktuell noch seiner langen Verletzungspause hinterher und befindet sich noch nicht bei 100 Prozent seiner Leistungsfähigkeit.
Dembele trickst auch seinen Körper aus
Also ist es momentan vor allem Dembele, der wie am Mittwochabend gegen die Hertha ein ums andere Mal zu Dortmunds gefährlichsten Offensivakteuren zählt. Allein schon deshalb, weil er in Ballbesitz permanenten Stress beim Gegner auslöst - unabhängig davon, wie oft seine Aktionen zum Ziel führen.
Während Dortmunds Team große Anstrengungen unternimmt, schnellstmöglich einen Entwicklungsprozess auszulösen, ist er im Falle Dembele in vollem Gange. Der Franzose hat sich an die ungewohnten Herausforderungen angepasst und konstant weiterentwickelt.
Selbst seinen eigenen Körper scheint Dembele austricksen zu können. Nach 104 gespielten Minuten gegen die Berliner blieb er mit Schmerzen auf dem Rasen liegen, auf einer Trage schaffte man ihn an die Seitenlinie. Physiotherapeuten kümmerten sich minutenlang um ihn.
Tuchel: "Er hatte einen Ganzkörperkrampf"
Dortmund hatte bereits vier Mal gewechselt und agierte somit kurze Zeit zu zehnt. Doch Dembele kam wieder. Das überraschte schon sehr, schließlich deutete nur wenig darauf hin, dass der Franzose noch einmal auf das Spielfeld zurückkehren werde.
Für Tuchel schien es aber auch keine andere Alternative gegeben zu haben. Er wies Dembele an, "einfach auf dem Platz zu stehen" und so die Achtsamkeit der Herthaner weiter zu strapazieren.
"Er hatte einen Ganzkörperkrampf", sagte Tuchel anschließend. Man habe Dembele jedoch "reanimieren" können.
Die OPTA-Statistik von Ousmane Dembele in der Saison 2016/17
Dembele und der Jährzorn
Dembele konnte zwar kaum mehr laufen, verkündete dennoch gegenüber Tuchel, den ersten Dortmunder Schuss im Elfmeterschießen nehmen zu wollen. Gesagt, getan, Dembele verwandelte souverän.
"Nachdem er es bis zum Elfmeterpunkt geschafft hatte waren wir zuversichtlich, dass er auch schießen kann. Er hat das gewisse Etwas. Er kann nicht verlieren, er hat den gewissen Jähzorn. Das steckt ganz tief in ihm drin. Das lieben wir", freute sich Tuchel nach dem siegreichen Elfmeterkrimi.
All dies lieben auch die Zuschauer an Dembele. Der Rohdiamant hat sich dank seines spektakulären Spielstils schon jetzt zu einem der Publikumslieblinge entwickelt. Sportlich betrachtet viel wichtiger ist in diesen Tagen jedoch: Dortmund liebt Dembele nicht nur, Dortmund braucht Dembele.
Ousmane Dembele im Steckbrief