Tobias Schweinsteiger ist Kapitän des SSV Jahn Regensburg, Führender der Torschützenliste in der 3. Liga - und der große Bruder von Bayern-Star Bastian. Im Interview spricht der 29-Jährige über seine sportliche Entwicklung zum Leader, den Begriff Heimat und die Beziehung zu seinem Bruder und wie er ihn zur Schlüsselbein-OP begleitete.
SPOX: Tobias Schweinsteiger, 1860- oder Bayern-Fan?
Tobias Schweinstiger: Ganz früher in der Jugend war ich Sechzig-Fan. Das hat sich dann irgendwann gelegt. Meine große fußballerische Liebe war dann Manchester United. Und klar, seitdem mein Bruder Basti beim FC Bayern spielt, fiebere ich auch mit den Bayern mit.
SPOX: Wie ist das dann mit Ihrem Torwart Michael Hofmann?
Schweinsteiger: (lacht) Der Michi ist ja nicht nur ein Ex-Spieler von Sechzig, sondern ein Vollblut-Blauer. Wenn es einen gibt, der eigentlich 1860-Präsident werden sollte, dann er. Er schaut sich jedes Spiel an und muss sich dementsprechend ein paar Sprüche anhören, wenn es bei den Löwen nicht gut läuft. Er hält aber wacker zu Sechzig und rechnet jeden Morgen rum, wie viele Punkte sie noch bis zum Winter holen werden. Wenn sie die Hälfte der Punkte holen, die er ihnen zutraut, dann passiert nichts mehr. (lacht) Es ist wirklich lustig mit ihm, weil er Vollblut-Sechziger und einfach fußballverrückt ist.
Jahnsinnig! Teil 1: Blog von Regensburg-Fan RoterBulle22
SPOX: Hofmann sagte kürzlich über Sie: "Ab und zu ist er ein Grantler." Hat er recht?
Schweinsteiger: Ja, schon. Wenn es im Training oder Spiel nicht so läuft, wie ich es mir wünsche, dann bin ich relativ schnell sauer. Das dürfen dann gerne auch alle mitkriegen. Ich glaube, dass man einen gesunden Ehrgeiz braucht - dieses Nicht-verlieren-Können habe ich seit Kindheitstagen. Dieses Gen sollte jeder Leistungsspieler in sich haben. Ab einem gewissen Zeitpunkt muss man natürlich abschalten können, ich kann ja nicht drei Tage sauer sein. Aber ich kann kein Gegentor kassieren oder Trainingsspiel verlieren, ohne mich aufzuregen.
SPOX: Momentan läuft es für Sie blendend: Mit zehn Treffern führen Sie die Torschützenliste an. Spüren Sie eine besondere Genugtuung gerade in Regensburg so aufzublühen, wo Sie in Ihrer Jugend noch gescheitert waren?
Schweinsteiger: Ab und zu denke ich schon daran, vor allem wenn ich Leute von früher treffe. Ich bin im Moment sehr froh, wie wir spielen und als Mannschaft Erfolg haben. Das ist eine ganz andere Situation als vor acht Jahren. Ein Blick zurück ist aber manchmal ganz gut, um sich wieder anzuspornen und sich klarzumachen, wie weit unten man schon mal war.
SPOX: Sie waren in Ihrer Karriere schon viel unterwegs, teilweise auch weit weg von zuhause. Wie wichtig ist Ihnen Heimat?
Schweinsteiger: Sehr wichtig. Das war auch einer der Hauptgründe, dass ich nach Regensburg gegangen bin. Ich bin jetzt in eineinhalb Stunden zu Hause in Rosenheim. Ich verdiene wahrscheinlich ein paar Euro weniger, als ich woanders verdienen könnte, aber es ist mir sehr wichtig, dass ich jedes Wochenende heimfahren kann. Meine Eltern und Freunde kommen regelmäßig nach Regensburg - das ist viel besser, als wenn ich vier, fünf Stunden fahren muss und nur alle zwei Monate heimkomme.
SPOX: Heimat bedeutet auch Wohlfühlen. Welchen Einfluss hat das auf die Leistung eines Profisportlers?
Schweinsteiger: Ich glaube schon, dass das einiges bringt. Das ist natürlich von Typ zu Typ unterschiedlich. In Lübeck oder Braunschweig bin ich beispielsweise gegen Ende der Hin- bzw. Rückrunde öfters ein bisschen in ein geistiges Tief gefallen, weil ich so selten daheim war. Es tat gut, andere Menschen und neue Themen um sich zu haben - mehr als immer nur Fußball. Jetzt kann ich auch mal was anderes machen, als denselben, monotonen Ablauf: Training, heimfahren, in die Stadt gehen. Ich kann jetzt mal nach München fahren oder an den Chiemsee. Einfach andere Dinge machen, diese Abwechslung brauche ich.
SPOX: Für Ihren Coach Markus Weinzierl sind Sie "ein absoluter Leader". War es das, was Sie in Regensburg angestrebt haben?
Schweinsteiger: Ja, das war natürlich Teil der Gespräche mit dem Jahn, dass ich die Mannschaft sportlich weiterbringen soll. Da gehören natürlich auch Auftreten und eine gewisse Herangehensweise dazu. Ich wollte nicht nach Regensburg kommen, um mitzuschwimmen. Das war nicht mein Ziel.
Ich versuche den jungen Spielern zu helfen und ein Vorbild zu sein. Als Kapitän steht man noch ein bisschen mehr im Fokus, da man immer vorn weggehen soll. Manchmal geht das leichter, manchmal ist man selber nicht gut drauf - aber man muss trotzdem vorneweg gehen. Ich fühle mich gut in der Rolle und denke auch, dass ich sie ganz gut ausfülle. Klar mach ich auch noch meine Fehler, aber das gehört dazu.
SPOX: Auch Ihr Bruder Bastian ist beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft ein Leader. Wie oft werden Sie eigentlich auf ihn angesprochen?
Schweinsteiger: Das kommt darauf an. In Interviews relativ oft, ansonsten hält es sich in Grenzen. Klar, wenn ich eine Schule besuche oder bei einem Jugendtraining bin, dann heißt es immer: "Grüß mir den Basti!"
Teil II: Schweinsteiger über die OP von Bruder Bastian und den etwas anderen Verein Regensburg
SPOX: Am Mittwochabend hat sich Bastian gegen den SSC Neapel einen Schlüsselbeinbruch zugezogen. Haben Sie gleich erkannt, dass es etwas Schlimmeres ist - Bastian ist ja keiner, der lange am Boden liegen bleibt.
Schweinsteiger: Ja, das habe ich gleich an seiner Reaktion gesehen. Ich war im Stadion und es ist direkt vor unseren Plätzen passiert. Ich habe gleich gesehen, dass er sich schon im Fallen an die Schulter gefasst hat, das ist nicht normal.
SPOX: Haben Sie ihn begleitet?
Schweinsteiger: Ich bin mit ihm ins Krankenhause gefahren und bis zur Operation geblieben. Ich glaube, dass ich ihm da schon ein bisschen helfen konnte, weil ich dieselbe Geschichte auch schon hatte. Es war ganz gut, dass er mit jemandem "Normalen" über die Verletzung reden konnte, nicht nur mit Ärzten.
SPOX: Wie wird er damit umgehen, er war schließlich noch nie schwerer verletzt?
Schweinsteiger: Kurz danach in der Kabine war er richtig niedergeschlagen, auch weil die Schmerzen sehr stark waren. Aber er muss ja eigentlich nicht so lange pausieren. Spielen wird vier bis sechs Wochen nicht möglich sein, aber vielleicht kann er ja bald schon wieder locker laufen. Dann wird er schauen, fit zu werden, damit er spätestens im Januar wieder spielen kann.
SPOX: Wussten Sie, dass sich sogar Universitäts-Professoren mit dem Brüder-Phänomen im Leistungssport beschäftigen? "Der Erfolg des Bruders kann Ansporn, aber auch Frustration sein", sagt Professor Jürgen Beckmann, Sportpsychologe der TU München. Ansporn oder Frustration - was ist es bei Ihnen?
Schweinsteiger: Das kommt immer darauf an, in welchem Verhältnis man zu seinem Bruder steht. Wir haben ein super Verhältnis und daher ist es für mich in keiner Weise Frust. Ansporn war es vielleicht in früheren Jahren, auch auf das Level von Bastian zu kommen, aber das hat sich schon seit Jahren gelegt. Ich habe den Ansporn an mich, in jedem Spiel die beste Leistung abzurufen und immer zu gewinnen - das sollte dann auch reichen. Wenn man sich zu viele Ziele setzt, die man teilweise nicht erreichen kann oder das Wesentliche dadurch aus den Augen verliert, ist das auch nicht gut.
SPOX: Die 3. Liga ist eine sehr enge Geschichte. Zwischen Regensburg auf Platz zwei und Rang 12 liegen nur vier Punkte.
Schweinsteiger: Allerdings, und das ist schon seit dem 2. Spieltag so. Wichtig ist für uns aber der Abstand auf die Abstiegsplätze und da schaut es momentan sehr gut aus. 12 Punkte Vorsprung auf Rang 18 - das steht für uns im Vordergrund. Die enge Tabelle zeigt, dass jedes Spiel in dieser Liga schwer ist und dass man keine Partie einfach im Vorbeigehen gewinnt.
SPOX: Sind die Ansprüche an die Mannschaft nach dem tollen Saisonstart gestiegen?
Schweinsteiger: Nein, denn jeder sieht, was für Mittel wir hier haben: Vor drei Monaten sind wir noch mit elf, zwölf Spielern dagestanden. Das, was sich verändert hat, ist die Wahrnehmung: Wir bekommen sehr viel positive Resonanz auf unsere Spielweise und das wirkt sich auch auf die Zuschauerzahlen aus. Im gleichen Zeitraum des letzten Jahres haben wir einfach schlechten Fußball gespielt. Den spielen wir jetzt nicht mehr. Und das Interesse am Jahn ist wieder da.
SPOX: Dieser Zusammenhalt wird auch mit einer kleinen Priese Selbstironie gewürzt: Nach den Spielen singen das Team und die Fans zusammen "Wir haben kein Strom, wir haben kein Geld, wir haben das geilste Team der Welt." Wie kam es dazu?
Schweinsteiger: Vor zweieinhalb Jahren wurde dem Jahn mal der Strom aufgrund nicht geleisteter Vorauszahlungen abgedreht - das war der "Startschuss". (lacht) Hier in Regensburg laufen die Uhren eben immer noch ein wenig anders, als bei anderen Profivereinen. Das ist einfach der Jahn. Seitdem ich hier bin und es miterlebe, wird es aber von Monat zu Monat besser. Neue Strukturen werden geschaffen, ein Rädchen greift ins andere - aber es zwickt und zwackt hie und da noch.
Die Mannschaft nimmt das aber mit Humor. Wir stecken solche Dinge durch den Zusammenhalt besser weg, als vielleicht andere Vereine.
SPOX: Ihr Vertrag läuft am Saisonende aus. Haben Sie schon Pläne?
Schweinsteiger: Klar überlegt man ab einem gewissen Alter, wie es weitergeht. Aber wenn hier alles so positiv weiterläuft, dann liegt es auf der Hand, dass ich länger bleibe, wenn man sich einigermaßen einigt. Regensburg durchläuft momentan seine sehr interessante Phase. Es wurden viele Altlasten abgebaut und das neue Stadion ist in der Planung - der Verein macht seit Monaten keine Negativ-Schlagzeilen mehr. Alles läuft in eine positive Richtung. Natürlich ist es interessant, daran teilzunehmen.
Tobias Schweinsteiger im Steckbrief