Sebastian Hoeneß hat in der vergangenen Saison mit Bayern II die Meisterschaft in der 3. Liga gewonnen. Zur kommenden Spielzeit übernimmt der 38-Jährige das Bundesliga-Team der TSG Hoffenheim. SPOX und Goal sprachen mit ihm über seinen Werdegang, Talentförderung und Kevin-Prince Boateng.
Dieses Interview wurde bereits im Februar 2020 veröffentlicht.
Im Münchner Norden steht es, eines der größten Prestigeobjekte des FC Bayern: Das 2017 fertiggestellte Nachwuchsleistungszentrum, das gemeinhin als "Campus" bekannt ist.
SPOX und Goal trafen sich dort an einem sonnigen Wintertag mit einem Mann, der seit Eröffnung des modernen Komplexes zu den Protagonisten zählte: Sebastian Hoeneß, ehemaliger U19-Trainer, in der Saison 2019/2020 Coach der FCB-Zweitvertretung und mittlerweile Cheftrainer in Hoffenheim.
Der 38-Jährige war im Sommer 2017 aus der Jugendabteilung von RB Leipzig in die bayrische Landeshauptstadt gewechselt, um die ambitionierten Zukunftspläne des Rekordmeisters mit voranzutreiben. Im Interview spricht er über seinen Werdegang, seine Hospitanz bei Thomas Tuchel und Pep Guardiola, die anfänglichen Vorbehalte seines Onkels gegen ein Bayern-Engagement, Hermann Gerlands Überzeugungsarbeit und die ersten Monate als Coach im Herrenfußball.
Zudem verrät er, was er seinem ehemaligen Hertha-Mitspieler Kevin-Prince Boateng mit auf den Weg gab, bewertet den Senkrechtstart von Alphonso Davies und schildert welches Rüstzeug junge Spieler für eine erfolgreiche Karriere mitbringen sollten.
Herr Hoeneß, Sie haben selbst aktiv Fußball gespielt. Warum ging es nicht über die Regionalliga hinaus?
Sebastian Hoeneß: Das ist relativ einfach zu erklären. Als ich 2006 von der zweiten Mannschaft von Hertha BSC zu Hoffenheim gewechselt bin, war ich verletzt und konnte erst kurz vor Saisonstart ins Training einsteigen. Trotzdem hat Ralf Rangnick mich sofort von Beginn an spielen lassen. Ich habe es in den Spielen, in denen ich eingesetzt wurde, aber versäumt, entsprechende Leistungen zu zeigen. Um das große Ziel, den Aufstieg, zu erreichen, wurden für meine Position neue Spieler verpflichtet. Das waren damals sehr schmerzliche, aber rückblickend auch gute Erfahrungen für mich.
GOALInwiefern?
Hoeneß: Nachdem es in Hoffenheim nicht geklappt hat, bin ich zurück nach Berlin gewechselt und habe für mich entschieden, dass ich mit 25 Jahren nicht zwingend noch eine Karriere als Zweitligaspieler anstreben muss. Das war für mich keine Option. Ich habe mir Gedanken gemacht, wie es weitergehen könnte.
Bei der Hertha haben Sie mit dem jungen Kevin-Prince Boateng zusammengespielt. Wie haben Sie ihn damals kennengelernt?
Hoeneß: Ich habe nie mit einem talentierteren Spieler gemeinsam auf dem Platz gestanden. Er war im Gesamtpaket außergewöhnlich und damals schon ein verrückter Hund, extrem selbstbewusst. Er hat sich um nichts geschert, was ihm sicherlich die eine oder andere blutige Nase beschert hat. Aber genau das war eine seiner großen Stärken. Er wusste, was er kann und hat Verantwortung übernommen.
An welches besondere Erlebnis erinnern Sie sich, wenn Sie an Boateng denken?
Hoeneß: Ich war ein paar Jahre älter als er. Ich weiß noch, wie ich ihm mal gesagt habe: 'Kevin, bei dir geht es nicht darum, ob du irgendwann einmal Profi wirst, vor vielen Zuschauern spielst und viel Geld verdienst - bei dir geht es nicht darum, ob du vor 70.000 oder 20.000 Zuschauern spielst, bei dir geht es nur darum, ob du Titel gewinnst oder einfach nur mitspielst.' Anfangs bestand tatsächlich die Gefahr, dass er es nicht ganz zur absoluten Spitze schafft. Dann hat es aber Klick gemacht und er hat Titel gewonnen. Darüber freue ich mich.
Sie haben also schon damals trainerartig agiert. Wann haben Sie entschieden, eine dahingehende Laufbahn einzuschlagen?
Hoeneß: Das hat sich im Laufe der Zeit ergeben. Es war nicht so, dass ich eines Tages aufgewacht bin und plötzlich Trainer werden wollte. Als ich nach Berlin zurückgekehrt bin, war ich Kapitän der zweiten Mannschaft. Da entwickelt man ein neues Verantwortungsbewusstsein und erhält einen differenzierten Blick, weil man sich auch um das Team mitkümmern muss. Man macht sich mehr Gedanken, wie der Trainer tickt und hat einen größeren Austausch mit ihm. Es war für mich immer klar, dass ich etwas mit Fußball machen möchte, weil der Fußball meine Leidenschaft ist. Zwischen dem Ende meiner aktiven Laufbahn und meiner ersten Trainerstation hatte ich ein Jahr Zeit, um herauszufinden, was die Zukunft bringen soll. In diesem Jahr habe ich dann hospitiert und mich weitergebildet. Da hat sich der Wunsch, Trainer zu werden, verfestigt.
Sebastian Hoeneß: "Unfassbare Besessenheit" bei Pep Guardiola
Sie haben bei Huub Stevens, Thomas Tuchel und Pep Guardiola hospitiert. Was nimmt man von solchen Trainern mit?
Hoeneß: Ich habe bei allen jeweils nur eine Woche Eindrücke sammeln können. Ich habe mir vor allem Inspiration geholt und unterschiedliche Persönlichkeiten kennengelernt. Ich kannte Huub Stevens zum Beispiel noch aus Berliner Zeiten. Er ist eine Autoritätsperson und hat ein großes Herz. Es hat mir immer imponiert, wie er mit den Spielern umgegangen ist. Thomas Tuchel fand ich einfach spannend. Ich habe früh gespürt, dass er ein junger Trainer ist, der eine neue Philosophie vertritt. Ich wollte unbedingt bei ihm zuschauen und hatte dann die Möglichkeit, ein längeres Gespräch mit ihm zu führen.
Was kam dabei heraus?
Hoeneß: Da hat sich einerseits gezeigt, dass wir fußballerisch ganz ähnliche Gedanken haben, andererseits aber auch die gleichen Zweifel in bestimmten Bereichen hegen. Ansonsten war ich einfach nur Trainingsbeobachter und habe den Fokus auf taktische Aspekte gerichtet.
Und wie haben Sie Guardiola erlebt?
Hoeneß: Bei ihm ist mir besonders diese unfassbare Besessenheit in Erinnerung geblieben, sich über Fußball austauschen zu wollen. Ich saß mit ihm zusammen und er hat sich mit mir auf Augenhöhe eine Stunde lang intensiv über Fußball unterhalten. Einfach so, weil er Lust darauf hatte. Das war für mich extrem spannend.
Dann ging es für Sie recht schnell weiter zu RB Leipzig. Wie kam der Kontakt zustande?
Hoeneß: Die Verbindung entstand über Ralf Rangnick. Trotz meiner schwierigen sportlichen Zeit in Hoffenheim, ist der Kontakt zu ihm nie abgerissen. Wir hatten weiterhin ein gutes Verhältnis. Für ihn hat die Jugendarbeit immer eine sehr wichtige Rolle gespielt und er wusste, dass ich die A-Jugend bei Hertha Zehlendorf trainiere. Er hat damals Scouts ausgesendet, die ohne mein Wissen beobachtet haben, wie ich trainiere und Spiele leite. Als klar war, dass er in Leipzig versuchen möchte, etwas aufzubauen, hat er gefragt, ob ich eine Mannschaft trainieren möchte.
Wie haben Sie Herrn Rangnick als Trainer wahrgenommen?
Hoeneß: Sehr akribisch und leidenschaftlich. Er war ungemein fleißig, strahlte damals schon eine große Erfahrung und Autorität aus. Das war beeindruckend.
Bei RB haben Sie zunächst als Scout gearbeitet. Erinnern Sie sich explizit an Spieler, die Sie empfohlen haben?
Hoeneß: Da würde ich Nicolas Kühn erwähnen. Er war damals ein aufstrebendes Talent und wir konnten ihn für RB gewinnen, wo ich ihn dann in der U17 trainiert habe. Anfang 2018 ist er zu Ajax Amsterdam gewechselt und jetzt ist er mein Spieler bei den Bayern Amateuren. Ich freue mich sehr, wieder mit ihm zusammen arbeiten zu können.
Und welchen Spieler, den Sie empfohlen haben, ließ sich RB durch die Lappen gehen?
Hoeneß: Ich weiß noch, dass ich Oliver Batista Meier sehr spannend fand und ihn empfohlen habe. Aber da waren wir schon zu spät dran, stattdessen zog es ihn zum FC Bayern.
So wie Sie im Anschluss an Ihre Zeit bei Leipzig. Für Sie ging es 2017 nach München. Warum?
Hoeneß: Ich war vier Jahre in Leipzig und hatte das Gefühl, dass ich nach so einer verhältnismäßig langen Zeit einen anderen Blickwinkel brauche. Die Trainer bei RB wurden vor allem im Spiel gegen den Ball ausgebildet. Das hat mir sehr viel gebracht, aber ich hatte Lust, auch mal die Gegenseite, nämlich das Spiel mit dem Ball, kennenzulernen. Der Kontakt zu den Bayern kam über Hermann Gerland zustande. Ihn habe ich während meiner Praktikumsphasen im Rahmen des Fußballlehrer-Lehrgangs kennengelernt. Er hat mir später irgendwann erzählt, dass er sich über meine Arbeit informiert hat. Anscheinend war das Feedback positiv, sodass er empfohlen hat, mich nach München zu holen.
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung haben Sie verraten, dass Ihr Onkel, Uli Hoeneß, zunächst dagegen war, dass der FC Bayern Sie als Trainer verpflichtet. Wo lagen seine Bedenken?
Hoeneß: Dabei ging es generell um meinen Wechsel von RB Leipzig nach München. Er hatte die nachvollziehbare Sorge, dass meine Arbeit nicht objektiv betrachtet wird und immer etwas mitschwingt.
Wie hat Hermann Gerland es geschafft, ihn zu überzeugen?
Hoeneß: Das müsste man am besten ihn selbst fragen. Hermann ist jedenfalls jemand, der sich total einsetzt, wenn er von einer Sache überzeugt ist. Er hat sich vorher schlau gemacht und mich im Trainingslager kennengelernt. Dabei hat er offenbar Punkte gehört und gesehen, die ihn veranlasst haben, zu sagen: 'Das passt.' Er weiß, dass ich durch und durch Bayern München bin. Aber das ist nur meine Interpretation. Ich weiß nur, dass er sich für mich starkgemacht hat.
Ein Teil der Fans protestierte, als Sie die zweite Mannschaft übernahmen. Wie haben Sie die Skepsis der Anhänger aufgenommen?
Hoeneß: Ich bin damit aufgewachsen, dass mein Nachname polarisiert. In dem Fall habe ich es registriert, und ich denke, es ist menschlich, dass man so etwas nicht gerne über sich wahrnimmt. Andererseits hatte ich irgendwo auch Verständnis. Holger (Seitz, Hoeneß' Vorgänger, Anm. d. Red.) war sehr beliebt bei den Leuten, er hat mit der Mannschaft den langersehnten Aufstieg geschafft. Er wollte dann freiwillig in den administrativen Bereich am Campus wechseln. Ich habe mich dann einfach darauf konzentriert, gute und ehrliche Arbeit abzuliefern und die Leute damit zu überzeugen.
Zuvor trainierten Sie die U19 der Bayern. Wie kam es seitens des Klubs zu der Entscheidung, Sie im Sommer als Trainer der Amateure einzusetzen?
Hoeneß: Ich erhielt am Ende der vergangenen Saison einen Anruf von Jochen Sauer (Nachwuchsleiter beim FC Bayern, Anm. d. Red.). Er erklärte mir, dass die Verantwortlichen sich nach dem Wechsel von Holger Seitz für eine interne Lösung entschieden hätten. Jochen hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, die Mannschaft zu übernehmen. Ich habe eine Nacht drüber geschlafen, aber eigentlich stand mein Entschluss sofort fest. Am nächsten Tag habe ich meine Zusage gegeben, weil ich in der Aufgabe eine große Chance für mich gesehen habe.
Also haben die positiven Aussichten die möglichen Schwierigkeiten ausgestochen?
Hoeneß: Natürlich gab es für mich Unwägbarkeiten. Vor allem, weil damals noch nicht sicher war, ob wir in die 3. Liga aufsteigen oder in der Regionalliga bleiben. Entweder man spielt mit einer jungen Mannschaft in der 3. Liga um den Klassenerhalt oder man ist gezwungen, in der Regionalliga Erster zu werden. Das sind Themen, über die ich mir Gedanken gemacht habe. Auf der anderen Seite war die Aufgabe vor dem Hintergrund, beim FC Bayern den Schritt in den Männerfußball zu machen, sehr reizvoll. Dementsprechend haben die positiven Aussichten absolut überwogen.
Wie viele Talente haben während Ihrer Zeit den Weg zum FC Bayern gefunden?
Hoeneß: Wir gehen sehr behutsam mit dieser Thematik um. Ich bin seit 2017 in München. Seitdem wurden acht Jungs für den Leistungsbereich, sprich die U23, die U19 und die U17, verpflichtet. Das sind nicht viele. Wenn man einen Spieler holt, muss der Transfer sitzen. Für mich ist Joshua Zirkzee dahingehend ein gutes Beispiel. Es wurde verhältnismäßig wenig Geld investiert, aber er hat mittlerweile sogar bei den Profis auf sich aufmerksam gemacht.
Sie sprechen Zirkzee bereits an: Er hat in der ersten Mannschaft zuletzt für Furore gesorgt. Was zeichnet Ihn aus?
Hoeneß: Er ist definitiv ein besonderer Stürmertyp, den es nicht mehr so häufig zu finden gibt Er ist groß und athletisch, verfügt aber dennoch über einen weichen Bewegungsablauf und eine starke Technik. Zudem ist er beidfüßig. Auch im Eins-gegen-Eins hat er Stärken, muss aber auch noch lernen dahin zu gehen, wo es wehtut.
Was muss er außerdem verbessern?
Hoeneß: Er muss wie alle Talente in seinem Alter noch stetig an sich arbeiten. Er muss wissen, dass er noch nichts erreicht hat und darf sich nie zufriedengeben. Sein Ziel muss sein, das Bestmögliche zu erreichen.
Im Winter vergangenen Jahres kam Alphonso Davies aus Kanada nach München. Wurden Sie damals bei seinem Transfer in den Entscheidungsprozess mit einbezogen?
Hoeneß: In seinem Fall war es so, dass mir ein Video vorgelegt wurde, das ich mir anschauen und daraufhin meine Einschätzung abgeben sollte. Ich denke, es ist wichtig, dass die Nachwuchsexperten diesbezüglich involviert sind, weil sie die nötigen Vergleichswerte in der jeweiligen Altersklasse haben. Generell kommt es aber darauf an, ob eine potenzielle Neuverpflichtung überhaupt für den Nachwuchsbereich oder die zweite Mannschaft infrage kommt.
imago imagesWie bewerten Sie seinen bisherigen Werdegang?
Hoeneß: Durchweg positiv. Er hat gezeigt, dass es sich lohnen kann, die Jungs ins kalte Wasser zu werfen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich freizuschwimmen. Er hat zuvor in der zweiten Mannschaft gespielt und sein großes Potenzial angedeutet. Er war immer motiviert und hat versucht, sich einzubringen. Phonzy zählt jetzt regelmäßig zu den Leistungsträgern und wenn seine Entwicklung so weiter geht, hat er sicherlich das Potential, auf dieser Position auch in die internationale Spitze vorzudringen.
Aufgrund seiner starken Physis wird er von seinen Teamkollegen "Maschine" genannt. In welchen Bereichen sehen Sie seine großen Stärken?
Hoeneß: Ganz offensichtlich zählt tatsächlich die Physis zu seinen großen Stärken. Er ist ein Modell-Athlet: schnell und zusätzlich sehr robust - diese Kombination ist nicht selbstverständlich. Sein Körper ist dementsprechend seine größte Waffe. Darüber hinaus ist er Linksfuß, der unter technischen Gesichtspunkten auch im höchsten Tempo gut funktioniert. Dass er während seiner Ausbildung zumeist vorne gespielt hat, kommt ihm nun als Linksverteidiger zugute. Er bringt vieles mit.
Karl-Heinz Rummenigge hat vor einer Weile prophezeit, dass in absehbarer wieder Spieler aus dem eigenen Nachwuchs oben anklopfen. Welche Jungs haben aus Ihrer Sicht das Potenzial?
Hoeneß: Ich möchte diesbezüglich nicht über einzelne Spieler sprechen, weil die Gefahr besteht, dem einen oder anderen nicht gerecht zu werden. Außerdem würde ich demjenigen, den ich hervorheben würde, keinen Gefallen tun. Grundsätzlich haben unsere Jungs alle das Potenzial und die Berechtigung, sich in den Vordergrund zu spielen. Wenn sie dann einmal hereingeworfen werden, müssen sie funktionieren. Das ist das Geschäft. Dafür müssen sie auch mental vorbereitet sein, daran arbeiten sie und wir tagtäglich. Die echte Feuertaufe ist es, wenn sie vor 70.000 Zuschauern bestehen müssen.
Eine Feuertaufe, die beispielsweise Kai Havertz und Jadon Sancho schon bestanden haben. Für die beiden stehen mittlerweile dreistellige Millionenablösen im Raum. Sind solche Summen für junge Spieler eher Anreiz oder Bürde?
Hoeneß: Das ist ganz individuell und hängt damit zusammen, was für ein Typ der Spieler ist und in welchem Umfeld er sich bewegt. Hermann Gerland hat vor kurzem gesagt: 'Um es zu schaffen, brauchst du einerseits Talent und andererseits eine gute Persönlichkeitsstruktur.' Wenn der eine abhebt, weil er 40 Millionen Euro gekostet hat, viel Geld verdient und glaubt, es damit schon geschafft zu haben, ist es eher eine Bürde. Der andere sagt wiederum: 'Jetzt habe ich es dahin geschafft und will mehr erreichen. Harte Arbeit hat mich hierhergebracht und die wird mich auch noch weiterbringen.' Dann kann es ein Ansporn sein. Wir können den Spielern nur ein gutes, mentales Rüstzeug mitgeben. Das ist aber nicht nur die Aufgabe der Trainer. Auch die Eltern und Berater beeinflussen, ob der Junge klar bleibt oder sich ablenken lässt.
Sie waren vor Ihrer Tätigkeit als U23-Trainer früher täglich am Campus. Dort wachsen die Spieler anders auf als "normale" Jugendliche. Welche Rolle spielt das für die Entwicklung eines jungen Menschen?
Hoeneß: Im Nachwuchsleistungszentrum werden ihnen einige Dinge des Alltags abgenommen. Es gibt viele Einflüsse, die auf sie einwirken. Die Jungs bewegen sich ständig im Dunstkreis von anderen Fußballern. Ich glaube, dass äußere Einflüsse zwischendurch auch wichtig sind. Wir als Verein sind uns dieser besonderen Verantwortung bewusst und unternehmen viel in Sachen Persönlichkeitsentwicklung.
In Ihrer Rolle als Jugendtrainer mussten Sie zwangsläufig Träume von der großen Karriere zerstören. Wie schwer ist Ihnen das gefallen?
Hoeneß: Sehr schwer. Aber es ist unsere absolute Pflicht, dass wir ehrlich mit den Jungs umgehen und ihnen unverblümtes Feedback geben. Dabei geht es nicht darum, dass sie keinen Fußball mehr spielen sollen. Aber wir empfehlen frühzeitig, parallel zu planen und beispielsweise eine Ausbildung anzufangen, ein Studium zu beginnen oder Praktika zu absolvieren, damit sie sich weiterbilden.
Sebastian Hoeneß über Jugendarbeit: "Jungs in England oder Frankreich mehr auf Bolzplätzen"
In der öffentlichen Wahrnehmung hinkt die deutsche Jugendarbeit zurzeit hinterher. Hängt das auch damit zusammen, dass man den Talenten ihre Bolzplatzmentalität austreibt?
Hoeneß: Inwiefern?
Man hat das Gefühl, dass beispielsweise die Engländer und Franzosen derzeit von Spielern profitieren, die man als klassische Straßenfußballer bezeichnen kann.
Hoeneß: Wenn ich über unsere Trainingsplätze gehe, nehme ich nicht wahr, dass diese Mentalität ausgetrieben wird. Ich habe hier noch keinen Trainer erlebt, der sagt: 'Spiel den Ball ab', obwohl der Junge ins Eins-gegen-Eins gehen könnte. Richtig ist, dass viele Spieler ihre Kreativität auf den Bolzplätzen oder in Käfigen entwickeln. Dort lernen sie, wann es Sinn macht, den Ball abzuspielen oder wann ein Dribbling angebracht ist. Dieses Training ohne Anleitung, als 13-Jähriger gegen 16-Jährige zu spielen, ist definitiv förderlich. Wenn du als 13-Jähriger auf dem Bolzplatz vor dem eigenen Tor dribbelst, den Ball verlierst und dadurch ein Tor kassierst, wird der 16-Jährige zu dir kommen und sagen: 'Machst du das noch einmal, spielst du nicht mehr bei uns mit.' Das kann positiv prägen. Wir machen uns diesbezüglich auch viele Gedanken, ob wir genau solche Rahmenbedingungen regelmäßig schaffen sollten.
Also gibt es Pläne, die Kreativität mehr zu fördern?
Hoeneß: Die Jungs in England oder Frankreich scheinen mehr Zeit auf Bolzplätzen zu verbringen. Diese Zeit haben unsere Spieler nach der Schule und vor dem Training aber gar nicht mehr. Die Fragen, die wir uns stellen, sind: Wie gestalten wir unser Training, inwieweit gewähren wir Freiräume? Ich weiß, dass das in den unteren Jahrgängen geschieht. Der Kern ist Fußballspielen, das muss im Mittelpunkt stehen. Alles andere, das Taktische und Athletische, ist Zusatz. Wir haben dementsprechend festgelegt, dass in der Woche 80 Prozent für das reine Spielen aufgebracht werden und die restlichen 20 Prozent für die Dinge, die die Jungs auf ihrem Weg zum Profi ebenfalls benötigen, genutzt werden.
Sie sind seit Eröffnung des Campus in München. Wie fällt Ihr Zwischenfazit nach über zweieinhalb Jahren aus?
Hoeneß: Positiv. Die Zusammenarbeit und Atmosphäre am Campus imponieren mir sehr. Es gibt ein gemeinsames Ziel, das im Vordergrund steht. Das heißt: Spieler entwickeln. Wir haben schon über ein paar Namen gesprochen, die sich in den vergangenen zwei Jahren ins Rampenlicht gespielt haben. Das können wir nutzen, um für uns zu werben. Die richtigen Weichen wurden gestellt.
Hat der FC Bayern im Vergleich zu anderen großen Vereinen trotzdem zu spät reagiert?
Hoeneß: Zu spät sicherlich nicht. Wir sind froh, dass der Campus steht und wir von diesen großartigen Bedingungen profitieren können. Jetzt wollen wir unserem Auftrag gerecht werden und Spieler entwickeln, die in naher Zukunft für den Profi-Kader infrage kommen könnten.