Auch wenn es in der laufenden Saison abgesehen vom DFB-Pokal noch nicht so läuft wie gewünscht: Sie sind bald rekordverdächtige zwei Jahre bei 1860, scheiterten im Vorjahr nur knapp am Aufstieg und wurden zum Trainer der Saison gewählt. Dazu sind Sie bei den Fans und im Umfeld beliebt. Ist das nicht die Konstellation, die sich die Trainer immer wünschen?
Köllner: Natürlich, sonst wäre ich ja nicht hiergeblieben. Ich weiß, welches Standing ich mir hier glücklicherweise erarbeiten konnte. Man muss im Profifußball trotzdem immer realistisch bleiben: Man wird stets knallhart an Ergebnissen gemessen, man muss sich immer wieder neu beweisen, das ist völlig frei von Gefühlen. Gerade wenn man einmal entlassen wurde, lernt man das Ausmaß dieser Seite des Geschäfts deutlich kennen und muss sich dem auch stellen. Daher ist man gewissermaßen auch gezwungen, immer aufs Neue zu schauen und zu bewerten, was für einen selbst das Beste ist oder sein könnte.
Durch das Duo Gorenzel/Köllner ist im Verein eine lange nicht dagewesene Ruhe eingekehrt. Wenn man sich an das Bild von 1860 aus den Vorjahren erinnert, müsste man das als die eigentliche Sensation bezeichnen, oder nicht?
Köllner: Das ist mir letztlich viel zu einfach. Ich kann das auch nicht richtig beurteilen. Was ich tue ist, meinen Job so gut wie möglich zu erledigen und mich auf meine Kernaufgabe zu konzentrieren. Das tun auch viele andere hier. Ich habe den Verein noch nicht einmal als Chaos-Klub erlebt, nicht einen Tag. Hier herrscht eine gute Diskussions- und Streitkultur, die uns weiterbringt und dabei hilft, trotz gelegentlicher Meinungsunterschiede auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. So muss ein Verein funktionieren.
1860 stellte in der vergangenen Saison nicht nur den Trainer, sondern auch den Spieler des Jahres - Sascha Mölders. Gehört er zu den speziellsten Spielern, die Sie je trainierten?
Köllner: Er ist schon ein außergewöhnlicher Mensch. Jemanden wie ihn in dieser Ausprägung hatte ich noch nicht so oft in meinen Teams. Ich würde ihn als einen der letzten Typen im Fußball bezeichnen, nach denen man sich ja so oft sehnt. Seine Besonderheit ist, dass er sehr spät in den Profifußball gekommen ist und zuvor ganz normal gearbeitet hat. Er hat sich regelrecht hoch gedient.
Mölders hat dank seiner Tore und seines Lebenswandels - Stichwort Pizza und Weißbier nach Spielen - längst Kultstatus erreicht. Wie denken Sie darüber?
Köllner: Man muss als Trainer verstehen, ihn nicht nur taktisch richtig einzubinden. Das betrifft auch die Trainings- und Belastungssteuerung. Als ich hier ankam, war er 35 Jahre alt. Was soll ich ihn also noch davon überzeugen, dass Weißbier und Wurstsemmel nach dem Spiel nicht das Sinnvollste sind oder ihn gar davon abhalten? Er kommt mit dieser Art der Lebensführung gut zurecht und am Ende geht es mir vor allem um seine Leistung.
Sie sind gläubiger Christ und gelten als sehr reflektierter Mensch. Was würden Sie sagen, wo stehen Sie derzeit in Ihrem Leben?
Köllner: Wenn ich mich im Spiegel genau anschaue, muss ich aufpassen, nicht zu sehr enttäuscht zu sein: diese ganzen Altersflecken, Falten und grauen Haare. (lacht) Abgesehen davon bin ich mit mir schon sehr im Reinen. Ich habe in der Zeit ohne Job auch beispielsweise ein paar alte Fehden beigelegt und reinen Tisch gemacht. Ich wollte einige Themen für mich abschließen. Darüber hinaus sehe ich in mir als Mensch weiterhin großes Entwicklungspotential und habe den Willen, Dinge besser zu machen.
Haben Sie durch Ihre Zwangspause als Trainer Ihren Beruf, jetzt wo Sie ihn wieder ausüben, mehr schätzen gelernt?
Köllner: Ja. Ich finde es unheimlich wertvoll, mit Menschen zusammenarbeiten, die 20 bis 30 Jahre jünger sind als ich. Das hält mich selbst jung. Es ist eine Aufgabe, die für mich weit über den Fußball hinausgeht, weil ich Menschen zu einem entscheidenden Zeitpunkt ihres Lebens auf ihrem Weg begleiten darf. Daher habe ich auch keinen Karriereplan als Trainer. Ich muss nicht Deutscher Meister werden oder in der Champions League trainieren. Wenn ich später einmal einen meiner Spieler von früher treffe und er mir sagt, dass ich ihm auch abgesehen vom Fußballerischen gutgetan habe, dann habe ich mein Ziel erreicht.
Lassen Sie uns über dieses "später" sprechen: Sie wollen nach dem Fußball unter anderem in spirituelle Länder wie Tibet, Burma oder Bhutan reisen. Was schwebt Ihnen da genau vor?
Köllner: Der Einblick in das dortige Leben wäre mir wirklich wichtig. Ich glaube, dass er vieles relativieren und dabei helfen wird, sich selbst zu hinterfragen. Verglichen mit solchen Ländern leben wir doch in Saus und Braus. Hunger, Armut, wie geht es am nächsten Tag überhaupt weiter - solche existenziellen Themen kennen wir kaum. Ich glaube dennoch, dass die Menschen dort eine größere Zufriedenheit und Glückseligkeit in ihrem Leben haben als viele von uns. Das würde ich gerne erfahren, mit ihnen würde ich gerne einmal zusammenkommen.
Haben Sie auf Ihren bisherigen Reisen schon einmal ähnliche Erfahrungen gemacht?
Köllner: Ja, immer mal wieder. Wenn ich unterwegs bin, besuche ich meist den Sonntagsgottesdienst. Da komme ich für mich auf eine andere gedankliche Ebene. Ich erinnere mich, wie ich als junger Kerl in Mexiko mit einem Taxi zu einer Kirche in einem Wohngebiet gefahren bin. Wenn man dann die Straßenverhältnisse oder allgemein die Infrastruktur sieht und unter welchen Umständen die Leute dort leben müssen - aber in der Kirche erschienen sie mir alle unheimlich glücklich. Das finde ich total bewundernswert. Ich würde aber auch gerne einmal den Jakobsweg gehen und dabei ganz bei mir bleiben wollen.
Wie sieht es bei Ihnen denn während der Saison in Deutschland mit Besuchen bei Gottesdiensten aus, geht das terminlich überhaupt?
Köllner: Wenn Rainer Maria Schießler (Pfarrer in der Münchner Kirche Sankt Maximilian, die Red.) zum Gottesdienst ruft, bin ich meistens schon dabei. Er ist mein Lieblingspfarrer in München. Ansonsten bin ich jedoch nicht oft anwesend. Das hat keine religiösen Gründe, sondern ich bin mit der Institution katholische Kirche nicht in allen Fragen einverstanden. In Deutschland sind Gottesdienste auch relativ stark vereinheitlicht. Im Ausland ist das häufig eine völlig andere Erfahrung, weil dort der katholische Glaube anders gelebt wird als hier.