"Nein, Nein." Guus Hiddink wollte von einer Bestrafung nichts wissen. "Emre fehlt, weil er verletzt ist." Laut Hiddink verhindert eine Oberschenkelverletzung den Einsatz des Kapitäns der türkischen Nationalmannschaft beim EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich (19.30 Uhr im LIVESTREAM).
Doch Emre Belözoglu, hauptberuflich Hitzkopf, nebenberuflich Mittelfeldspieler bei Fenerbahce, hätte sich nicht wundern dürfen, hätte ihn Hiddink sanktioniert. "Er weiß, dass seine Aktion einfach nur dumm war. Er ist ein erfahrener Spieler, der seine Nerven unter Kontrolle haben muss", war Hiddink schlecht auf Emres letzten Fehltritt zu sprechen.
Sahin soll Emre vertreten
Beim müden Testkick gegen Südkorea Anfang Februar hatte Emre die Gelb-Rote Karte gesehen, weil er Wolfsburgs Ja-Cheoul Koo aus Wut umgetreten hatte. "Das ist also unser Kapitän?", fragte der berühmte Journalist und Meinungsmacher Hincal Uluc in seiner Kolumne bei "Sabah".
Neben Dauernörgler Uluc forderten diesmal weite Teile der Medien eine harte Bestrafung für den Wiederholungstäter, doch Hiddink belließ es zunächst bei einer öffentlichen Verwarnung.
"Sie sind gute Spieler, aber sie sind nicht hier. Jetzt müssen die anderen zeigen, was sie können", sagt Nuri Sahin über Emre und über den abermals nicht nominierten Vize-Kapitän Tuncay Sanli (VfL Wolfsburg).
Dies gilt vor allem für Sahin selbst. Er soll Kapitän Emre vertreten. Wieder einmal.
Warten auf den Durchbruch
"Ich erwarte von ihm gegen Österreich eine durchgehend überzeugende Leistung", sagt Hiddink. Die Worte des türkischen Nationaltrainers dürfen dabei nicht nur als Plattitüde verstanden werden. Hiddink - und mit ihm die gesamte türkische Fußball-Gemeinde - warten sehnsüchtig auf Sahins Durchbruch in der Nationalmannschaft.
Woche für Woche berichten die türkischen Medien voller Stolz über die Leistungen Sahins in der Bundesliga. Der Staatssender "TRT" überträgt regelmäßig die Liga-Spiele.
Dass der Kommentator pro Borussia Dortmund kommentiert und bei Sahins Toren dermaßen jubelt, als hätte gerade eine türkische Mannschaft im Europapokal ein Tor erzielt, gehört mittlerweile zur Normalität.
Erinnerungen an 2005
Doch während Sahin spätestens in dieser Saison zu den Elite-Spielern der Bundesliga aufgestiegen ist, hinkt er in der Nationalmannschaft weiter hinterher.
Während Deutschlands Vorzeige-Deutsch-Türke Mesut Özil sowohl bei Real Madrid, als auch beim DFB-Team eine tragende Rolle spielt, ist Sahin bislang nur bei seinem Klub ein Star.
Sahin und Nationalmannschaft - das ruft nach wie vor Erinnerungen an sein sensationelles Debüt gegen Deutschland wach, als er nach seiner Einwechslung in der Schlussminute das 2:0 erzielte.
"Ein Traum für jeden Fußballer, gegen eine große Fußballnation so ein Tor zu erzielen", erinnert sich Sahin heute noch. Doch der größte Tag von Sahins Nationalmannschaftskarriere ist fast sechs Jahre alt. Es folgten 24 Länderspiele, die nicht das hielten, was das Debüt versprochen hatte.
Klopps Kritik
Dabei wird Sahin immer wieder als das Gesicht des Umbruchs in der Türkei hingestellt. Sobald nach schwachen Ergebnissen ein Neuanfang gestartet werden soll, wird Sahin als Vertreter der neuen Ära angepriesen. Mit Nuri soll alles besser werden, heißt es immer wieder. Doch so schnell Sahin in die Mannschaft rutschte, so schnell war er wieder draußen.
So war es bei Fatih Terim, der Sahin mit 16 Jahren zum Nationalspieler machte, aber später nicht für die EM 2008 nominierte, obwohl sein Schützling damals bei Feyenoord Rotterdam durchaus überzeugen konnte. "Die schwierigste Phase meiner Karriere", sagt Sahin heute.
Auch bei Hiddink war Sahins Situation lange Zeit nicht besser. Der Niederländer ließ sich besonders zu Beginn seines Türkei-Jobs vermehrt von seinen Assistenten soufflieren, bis er sich einen eigenen Überblick schaffen konnte. Sahin spielte in dieser Phase wie so oft eine Nebenrolle.
"Wenn sich die Türkei es erlauben kann, Nuri auf die Tribüne zu schicken, scheint es denen ja verdammt gut zu gehen", polterte BVB-Trainer Jürgen Klopp im September 2010, als Sahin das 3:0 der Türkei in Kasachstan wieder einmal auf der Tribüne verfolgen musste.
Die fehlende Lobby
Auch wenn sich Sahin mit öffentlicher Kritik zurückhält, wird er die Worte seines Trainers wohlwollend aufgenommen haben. Dem Dortmunder fehlt es in der Nationalmannschaft an Lobby.
Stars und Wortführer der Mannschaft sind eben Hitzkopf Emre von Fenerbahce, der launische Arda Turan von Galatasaray oder Bayern Münchens Hamit Altintop.
Während der Münchener Legionär entgegen seiner Art in Deutschland einen meinungsstarken Führungsspieler verkörpert, ist Sahin ein leiser Vertreter. Öffentliche Unmutsbekundungen über seinen schweren Stand gab es nie zu hören. "Ich akzeptiere die Entscheidung des Trainers und werde um meinen Platz kämpfen", sagt Sahin gebetsmühlenartig.
Nuri, der alte Knacker
Die Erwartungen sind aber spätestens seit seinen überragenden Leistungen in Dortmund gestiegen.
Auch Hiddink, der erst vor wenigen Wochen noch vom "jungen Spieler" Sahin sprach, der um seinen Platz kämpfen müsse, da der Konkurrenzkampf im Mittelfeld groß sei, schlägt neue Töne an: "Er muss anfangen, eine Führungsrolle einzunehmen. Seine Fähigkeiten sind unbestritten, er wird in wenigen Jahren zu den besten Spielern der Welt gehören."
Hiddinks Message ist klar: Nuri, deine Zeit ist gekommen. "Manchmal denkt man, dass er ein alter Knacker ist, aber Nuri ist erst 22 Jahre jung. Er wird noch eine sehr starke Zeit bei uns haben", sagt Erdal Keser gegenüber SPOX.
Hiddink stellt System um
Dem Ex-Bundesliga-Spieler haben es die Türken überhaupt zu verdanken, dass Sahin für die Türkei spielt.
Keser überzeugte damals den jungen Sahin, als auch Deutschland Interesse zeigte. "Für mich gab es keine Alternative. Ich wollte nur die Türkei spielen", so Sahin. Dass er Jahre nach seinem Debüt immer noch auf den Durchbruch wartet, hätte wohl auch Sahin nicht erwartet. Doch die Hoffnung lebt.
Hiddink ist nicht verborgen geblieben, dass Sahin befreiter aufspielt, wenn Alphatiere wie Emre nicht in der Nähe sind. So wie beim Testländerspiel in den Niederlanden (0:1), als Hiddink eine total verjüngte Mannschaft aufs Feld schickte. Ohne Emre, ohne Tuncay, ohne Arda.
Beim 0:3 gegen Deutschland verkrampfte Sahin dagegen und wurde als Schwächster aller schwachen Türken ausgewechselt. Doch nun soll es Sahin endlich packen.
Wie sehr es Hiddink mit ihm ernst meint, zeigt eine Systemumstellung. Im 4-3-3-System soll Sahin die zentrale Position im Mittelfeld übernehmen, flankiert von Altintop und Nürnbergs Mehmet Ekici.
Ein "deutsches" Mittelfeld soll die Türkei nun also auf den rechten Weg bringen. Dass Sahin dabei das Herzstück ist, sollte ein Fingerzeig für die Zukunft sein.
Nuri Sahin im Steckbrief