Eine knappe halbe Stunde sah es so aus, als ob ein Team, das man "Borussia Polen" nennen könnte, ein ganz gute Rolle spielen würde bei dieser EM. Die drei Dortmunder Meisterspieler Robert Lewandowski, Jakub Blaszczykowski und Lukasz Piszczek hatten zu Beginn des Eröffnungsspiels der EM viel Dynamik und Klasse entfaltet.
Das Spiel der polnischen Nationalmannschaft wirkte auch optisch wie ein bewegliches dreieckiges Kräfte-Diagramm, mit ein paar unwesentlichen Außenposten. "Dort müssen wir in den nächsten zwei Spielen anknüpfen", sagte der Führungs-Torschütze Lewandowski (17. Minute) später.
Was sich danach abspielte, ließ Polens Coach Franciszek Smuda nachher sagen: "Ich werde hier nicht analysieren. Ich habe den Spielern gesagt: Kopf hoch. Die Konzentration gilt ab sofort dem nächsten Spiel." Das ist am Dienstag gegen die Russen, die nach dem 4:1 im zweiten EM-Spiel gegen Tschechien die Köpfe von allein ziemlich hoch tragen.
Den Blick direkt nach vorne zu richten, mag für die nach dem glücklichen 1:1 gegen Griechenland erschütterten polnischen Spieler die richtige Strategie sein. Alle anderen werden noch lange an Ersatztorwart Przemyslaw Tyton denken, der das Co-Gastgeberland "noch am Leben" (Lewandowski) hielt.
Piszczek: "Ziemlich verrückt"
Es war der Gipfelpunkt in diesem Spiel, das Piszczek zu Recht "ziemlich verrückt" nannte: Griechenland hatte den Bremer Verteidiger Sokratis durch Gelb-Rot verloren (44.), gleichwohl ausgeglichen (Salpingidis, 51.) und erhielt einen Strafstoß, als Arsenal-Torwart Wojcech Szczesny dem selben Salpingidis ein Bein stellte. Abgang Szczesny (glatt Rot), Auftritt Tyton. Torwart-Titan Tyton, wenn er ein Deutscher wäre und nicht nur mittel-erfolgreich in den Niederlanden beschäftigt wäre.
"Ich ging auf den Platz und dachte: Cool, endlich kann ich dem Team helfen", erzählte Tyton. Er hatte den Strafstoß von Griechenlands Kapitän Karagounis aus der linken Ecke geholt, was Szczesny unendlich erleichterte: "Ich habe das wie im Tunnel erlebt. Wenn der Elfer reingegangen wäre, hätte ich meinen schlimmsten Albtraum erlebt." Nicht nur er, sondern Millionen Landsleute, die zwischen Euphorie und Verzweiflung taumelten.
Der Blick nach vorn hält für die Polen, die mancher - vielleicht auch sie selber - für einen Geheimfavoriten hielten, nicht allzu viel Tröstliches bereit. Die Abwehr ließ sich durch schräge, hohe Flanken der Griechen - also durch fußballerisches Mittelalter - mehrfach überrumpeln, der Bremer Linksverteidiger Sebastian Boenisch steuerte etliche Fehler bei.
Die Offensive - einschließlich der schwarz-gelben Fraktion bei den rot-weißen - brachte in der zweiten Hälfte kaum noch etwas zuwege. "Manche waren durch die Anspannung wie gelähmt", sagte Trainer Smuda, "sie werden besser werden."
Griechen könnten als Vorbild dienen
Ein Blick auf die Griechen könnte helfen, diese Truppe von furchtlosen Haudegen und schlitzohrigen Strategen, die sich bei der EM 2004 aus ähnlich aussichtslosen Situationen bis zum Titel gespielt hatte. "Wir Griechen", sagte Torschütze Dimitris Salpingidis, "haben eben Herz."
Sokratis gesperrt, der andere Stamm-Innenverteidiger Avraam Papadopoulos verletzt - der 27-Jährige von Meister und Pokalsieger Olympiakos Piräus erlitt einen Kreuzbandriss -, und trotzdem weiter optimistisch.
"Es lief doch ganz gut ohne die beiden", sagte Trainer Fernando Santos, den "cool" zu nennen eine Untertreibung wäre.
Polens Trainer Smuda gab zu Bedenken: "Meiner jungen Mannschaft fehlt die Turniererfahrung, die Griechenland reichlich hat." Zwei weitere Vorrundenspiele sind eine kurze Strecke, um aufzuholen.
Polens Kader für die EM 2012