Frage: Herr Bilic, hätten Sie gedacht, dass Ihre Mannschaft so kurz vor der großen Sensation stehen würde und den Welt- und Europameister beinahe aus dem Turnier kegelt?
Slaven Bilic: Natürlich war ich überzeugt von meiner Mannschaft und ich war überzeugt davon, dass wir weiterkommen würden und dass das nicht mein letztes Spiel als Trainer dieser Mannschaft sein würde. Wir haben natürlich auch ein wenig auf Irland gehofft, am meisten aber auf uns selbst. Unsere Rechnung war so: Wir schießen auf jeden Fall ein Tor und sie nicht mehr als eins. Das hätte uns schon in eine sehr gute Position gebracht.
Frage: Wie haben Sie das Spiel Ihrer Mannschaft gesehen?
Bilic: Ich muss meinen Spielern ein großes Kompliment machen. Sie haben in allen Belangen ein überragendes Spiel abgeliefert. Wenn man gegen den Weltmeister spielt, kann man nicht davon ausgehen, fünf oder sechs Torchancen zu bekommen. Aber wir hatten trotzdem einige und hätten eine davon nutzen müssen. Die Chance von Rakitic muss man gegen eine Mannschaft wie Spanien nutzen.
Was erreicht Spanien bei der EM? Jetzt mittippen und absahnen!
Frage: Ihre Mannschaft wurde im Laufe des Spiels dann immer mutiger, nachdem sie verhalten begonnen hatte.
Bilic: In der ersten Halbzeit wollten wir sie gar nicht früh attackieren. Wir haben in unserer Hälfte auf sie gewartet, um dann die Räume eng zu machen. Erst in den letzten 30 Minuten haben wir dann mehr riskiert. Das war unser Plan. Und wir waren knapp davor, dass er auch aufgeht.
Frage: Mitte der ersten Halbzeit gab es eine elfmeterreife Szene nach einem Tackling von Ramos gegen Mandzukic.
Bilic: Ich habe zwei klare Elfmeter gesehen: Diese Szene und die Attacke an Vedran Corluka kurz vor dem Ende. Ein klares Halten. Aber offenbar genießt Spanien auch ein wenig den Beistand der Schiedsrichter bei diesem Turnier.
Frage: Haben Sie den anderen Mannschaften jetzt gezeigt, wie man Spanien beikommen kann?
Bilic: Das geht mir alles zu schnell. Man darf die Details nicht vergessen: Spanien hatte es 2008 sehr schwer, Europameister zu werden. Dasselbe 2010 bei der WM. Und jetzt ist es genau so schwer, dieses Turnier zu gewinnen. Italien oder wir haben gezeigt, dass wir eine gute Mannschaft haben und gegen sie bestehen können. Spanien hat ein großartiges Team. Aber alle Mannschaften, die jetzt noch dabei sind, können sie schlagen. Ich denke, es wird schwer für sie werden, den Titel zu verteidigen.
Frage: Spanien hat sich sehr schwer getan, dieses eine Tor zu erzielen.
Bilic: Es ist hart für sie, weil jede Mannschaft zunächst nur auf Verteidigung setzt. Für sie ist das die schwierigste Art, Fußball zu spielen.
Frage: Sind andere Nationen drauf und dran, das Spiel der Spanier allmählich zu entschlüsseln?
Bilic: Es gibt einen Schlüssel gegen sie. Du musst kompakt sein und jederzeit konzentriert und natürlich brauchst du auch ein wenig Glück. Man muss sie schnell anlaufen und sie aggressiv angreifen. Und ich glaube auch, dass man ihnen ein Stück von ihren großen Ballbesitzzeiten nehmen muss. Das ist sehr wichtig.
Frage: Ist es schwerer, sie ohne echten Stürmer oder mit echtem Stürmer im Zentrum zu verteidigen?
Bilic: Sie verlieren ohne echten Stürmer zwar die Anspielstation in der Mitte, werden auf den Seiten aber gefährlicher, weil sie eine andere Anspielstation bekommen, die sich anders bewegt. So wie sie das später mit Navas auf dem Flügel und Fabregas in der Mitte gespielt haben.
Frage: Wie schwer ist das für einen Innenverteidiger, gegen eine Mannschaft ohne echten Mittelstürmer zu verteidigen? Es fehlt ja immer der gewohnte Bezugspunkt, an dem man sich orientieren kann.
Bilic: Das stimmt. Aber man muss ja auch seine Zone abdecken. Ohne Torres, Negredo oder Llorente in der Mitte ist es einfacher zu verteidigen. Sie sind gefährlicher, wenn sie mit einem echten Mittelstürmer spielen. Dann fehlt ihnen in der Mitte die Tiefe in ihrem Spiel. Wenn sie ohne einen Mittelstürmer spielen, kann man schneller rausrücken. So ist man als Abwehr immer auch gezwungen, tiefer zu stehen und deshalb ziehen sie dich als Mannschaft leichter auseinander. Auch ohne David Villa haben sie dafür ja genügend Alternativen im Kader.
Frage: Ihre Mannschaft hat permanent versucht, die Spanier auf den Flügeln zu halten und sie nicht ins Zentrum kreuzen zu lassen...
Bilic: Das war der Plan. Und trotzdem sind sie mit Iniesta, Silva oder Xavi in den Strafraum eingedrungen. Das lag meiner Meinung nach auch an Torres. Ohne ihn kann man den Sechzehner etwas weniger beachten. Spielt ein echter Mittelstürmer mit, muss man beides im Auge behalten: Das Zentrum und die Flügel.
Frage: Sieht man jetzt, wie sehr Spanien einen Spieler wie Carles Puyol vermisst? Sie wirken in der Defensive anfällig.
Bilic: Ich denke, dass sie ihn sehr vermissen. Sie sind wirklich verwundbar in der Defensive. Das war heute gegen und so und auch schon gegen Italien. Aber jetzt haben sie eine längere Pause vor ihrem nächsten Spiel - sie werden sich verbessern.
Frage: Hat Casillas Spanien heute gerettet?
Bilic: Nicht nur Casillas. Aber er war schon ein wichtiger Baustein.
Frage: Das war heute Ihr letztes Spiel als kroatischer Nationaltrainer. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Bilic: Ich will mich beim kroatischen Verband bedanken, dass sie mir vor sechs Jahren die Chance gegeben haben. Damals war ich ein junger Trainer mit nur sehr wenig Erfahrung. Ich habe jede Minute genossen. Ich werde meinen Weg als Trainer weiter gehen, aber nie mehr so stolz sein wie jetzt. Denn Nationaltrainer deines Landes zu sein ist eine einzigartige Sache. Ich werde bald weg sein bei meinem neuen Klub Lokomotive Moskau. Aber ich kann Ihnen versichern, dass Sie von dieser Mannschaft noch einiges hören und sehen werden.
Kroatien - Spanien: Daten zum Spiel