SPOX: In einer Spezialausgabe des Sportmagazins gewährt Österreichs Sportler des Jahres intime Einblicke. Toni, wie lief das Projekt?
Toni Huemer: Wir wollen mit der "Gold Edition" große rot-weiß-rote Sportler der Gegenwart ehren. David hat die Champions League gewonnen, für einen Österreicher ist das nicht alltäglich. Mir war wichtig, dass er und die Familie sich im Magazin wiederfinden. Sie, seine Freunde, die Religion - all die Aspekte seines Lebens, der Persönlichkeit sind abgebildet. Soweit kommt man nicht beim ersten Kennenlernen. Unsere Beziehung hatte die Chance, über ein halbes Jahr zu wachsen. Er, sein Umfeld und Bayern stehen dahinter. Für mich ist das eine schöne Auszeichnung.
SPOX: Für gewöhnlich wirkt er gegenüber Journalisten schüchtern, fast verschlossen. Sie kennen ihn von der privaten Seite. Warum fällt es ihm derart schwer, sich zu öffnen?
Huemer: Ihm ist eine gewisse Vertrauensbasis sehr wichtig. David hat in München alles was gut und alles was negativ ist an Medien erfahren. Er ist jemand, der etwa zu Menschen, die er von früher kennt, bevor er ein Star wurde, eine ganz besondere Beziehung pflegt. Er hat dieselben Freunde wie mit 15 Jahren. Natürlich sind im Laufe der Zeit andere hinzugekommen wie Franck Ribery, und man entwickelt sich weiter. Doch der engste Zirkel, den er um sich schart, ist gleich geblieben. Er gibt ihm Kraft und auf ihn kann er sich verlassen. Was die Medien betrifft, entdeckt er sich gerade. Bayerns Mediendirektor Markus Hörwick sagte in der Biografie, dass er oft perplex sei, wie ein Mensch, der vor Cristiano Ronaldo im Bernabeu seinen Mann steht, vor den Kameras plötzlich in sich gekehrt auftritt. Wir Journalisten müssen uns das Vertrauen eben Schritt für Schritt erarbeiten (lacht).
SPOX: In seiner Heimat kennt der Trubel um ihn keine Grenzen. Wenn er die Straßen Wiens betritt, herrscht Ausnahmezustand - als ob es Ronaldo oder Lionel Messi wären.
Huemer: Das sind zwei Marken, die global funktionieren. David steht nicht auf dieser Weltbühne. Für Österreich ist er allerdings wie Ronaldo oder Messi. Die Nationalmannschaft ist in einem Hotel im ersten Bezirk, direkt im Zentrum, einquartiert. Wenn die Spieler Ausgang haben, bildet sich um ihn schnell eine Menschentraube, während 80 Prozent des Kaders ungestört bleibt. Mittlerweile hat das eine Grenze erreicht. Alle wollen ein Selfie, ein Autogramm - er gehört bestimmt zu den drei beliebtesten Österreichern. Jeder ist gut beraten, sich nicht mit ihm anzulegen. Dafür genießt er ein zu hohes Ansehen. Durch große Worte erreicht man das nicht. Er behandelt die Leute mit Respekt. Trotzdem war es ein Lernprozess für ihn, mit dem Druck umzugehen. In München hat er es leichter.
SPOX: Pep Guardiola war ob Alabas Verletzung bedient. Er bezeichnete ihn als "Total-Fußballer", als einen der bayrischen Schlüsselspieler. Wie nehmen Sie sein Renommee wahr?
Huemer: Die Champions-League-Partie gegen den AS Rom war Werbung in eigener Sache. Er hat drei, vier verschiedene Positionen übernommen, als Xabi Alonso ausgewechselt wurde dessen Part, einzig um ein paar Stundenkilometer schneller interpretiert. Die Reaktion der Bayern beweist, welchen Stellenwert er genießt. Er verfügt über Qualitätsmerkmale, die wir bei einem Österreicher seit Jahrzehnten nicht mehr hatten.
SPOX: Folglich ist sein Ausfall für das ÖFB-Team ...
Huemer: ... eine Katastrophe. Er ist die Seele dieser Mannschaft, auf dem Platz wie abseits. Er ist eine Integrationsfigur. Nehmen wir das Beispiel Marko Arnautovic: Ihn liebt oder hasst man. In der Prä-Alaba-Ära war er in der Mannschaft umstritten. Es gab die Gruppe, die war gut Freund mit ihm. Und die Gruppe, die ihn gerne aus der Kabine gejagt hätte. David kann mit ihm umgehen und hat ihn integriert. Diese zwei Seiten weiß Teamchef Marcel Koller zu schätzen: Hier seine unfassbare Klasse, seine Präsenz. Da seine Fähigkeit, jeden ins Boot zu holen. Für Österreich war das ein schwarzer Mittwoch, als er sich verletzt hat.
SPOX: Zumal man die EM-Qualifikations-Gruppe anführt, am Samstag Russland empfängt. Viel wird darüber spekuliert, wer ihn im Mittelfeld ersetzen könnte. Was ist die Quintessenz?
Huemer: David ist unersetzlich. Wenn man es auf seine Position runterbricht, hat Koller zwei Möglichkeiten: Christoph Leitgeb, die offensivere Variante von Red Bull Salzburg. Oder Veli Kavlak von Besiktas. Mein Gefühl sagt mir, Veli wird es. Er gehört wie Zimmerkollege Aleksandar Dragovic zu Davids engsten Vertrauten im Kader und ist die defensivere Wahl. Wir werden die Russen nämlich nicht überlaufen.
SPOX: Koller meinte im Vorfeld, Alaba sei lediglich einer von 23 Mann. Zweckoptimismus?
Huemer: Ja, das ist eine diplomatische, psychologische Aussage, um Davids Bedeutung zu schmälern. Es wäre dumm, extra darauf hinzuweisen, wie schwerwiegend der Verlust ist. Klar, in der Theorie hat er Recht. Nur wenn Portugals Trainer sagt, dass Ronaldo einer von vielen ist, wird er auch belächelt. Koller weiß genau, was David auszeichnet.
SPOX: Nämlich seine Vorzüge als Antreiber, Strippenzieher, Torjäger - Alaba mimt den Koordinator.
Huemer: Genau, er ist der Kitt zwischen Offensive und Defensive, reißt die Mannschaft mit. Ich sehe niemanden, der das könnte. Wichtig sind die verschiedenen Schulen, die er bei Bayern in den jungen Jahren mitgemacht hat. Die von Louis van Gaal, die von Jupp Heynckes - er hatten deren Know-How mit der Muttermilch aufgesaugt. Sie haben ihn geprägt. Das ist sicherlich ein Grund, warum ihn eine so hohe taktische Intelligenz und Flexibilität auszeichnet. Davon profitiert Guardiola.
SPOX: Unter ihm scheint Alaba zunehmend Führungsansprüche zu entwickeln. Er gibt Kommandos, stellt sich der Verantwortung, ohne dabei die Contenance zu verlieren. Wie interpretieren Sie seine Rolle?
Huemer: Er ist keiner, der jemanden anschreit, ihm in der Kabine vorgibt, was zu machen ist. Er ist ein Vorleber. Koller glaubt aber fest daran, dass David in einigen Jahren der große Leader sein wird, der seine Kollegen führt und einteilt. Mit 22 Jahren ist die Entwicklung längst nicht abgeschlossen. Bei Bayern wächst er behutsam heran. Jeder weiß, was er kann und was noch nicht. Die Nestwärme ist für ihn wichtig. Er durfte verschiedene Persönlichkeiten, verschiedene Ideen erleben. Was stets gleich blieb: Jeder Trainer hat sich in ihn verliebt.
SPOX: Was fehlt Alaba noch?
Huemer: Die Erfahrung. In fünf, sechs Jahren verfügt er über die Reputation und ist als Fußballer und Mensch reifer. Wenn er dann vor die Mikros tritt, werden wir einen anderen David Alaba erleben. Er steckt in der Ausbildung. In den Partien strahlt er bereits die Selbstsicherheit aus, der Rest kommt von selbst. Manche glauben, sie würden alles wissen, müssten nichts lernen. David ist der Prototyp des Gegenteils. Er kann sehr gut zuhören, Dinge einordnen und arbeitet akribisch an sich. Bei ihm ist es eine Strategie der kleinen Schritte. Wobei ich teilweise sprachlos bin, wenn ich sehe, wie wichtig er ist und er die Standards tritt. Wo steht geschrieben, dass in einem Team voller Weltstars ein 22-jähriger Österreicher dafür zuständig ist? Das sagt mehr als tausend Worte.
SPOX: Dass er vor den Großen nicht zurückschreckt, offenbarte sein Debüt in der Königsklasse. Beschreibt ihn diese Szene, als er Ribery in Florenz zur Rückwärtsbewegung mahnte, am besten?
Huemer: Die beiden haben eine spezielle Beziehung. Ribery lässt sich nicht von jedem Kollegen was sagen, schon gar nicht von einem 17-jährigen Greenhorn. David ist sein Bub, sein Spint-Nachbar. Als er zum ersten Mal vorsichtig und demütig seine Nase in die Kabine steckte, nahm ihn Ribery sofort unter seine Fittiche. Mit ihm hat David über die Vertragsverlängerung gesprochen, auf seine Meinung legt er großen Wert. Franck hat ihm geraten, zu bleiben. Ribery war zuvor ein absoluter Zugvogel, der erst in München sein Flügge-Sein ablegte und erkannte, dass es eine stabile Basis braucht. Genau diese Lebenserfahrung gab er weiter. David schätzt ihn als Antreiber. Beide sind nicht nur die Spaß-Fraktion, das unterstreicht er in der "Gold Edition".
SPOX: Eingangs haben Sie angesprochen, für ihn sei es ein Lernprozess gewesen, sich dem Hype in Österreich zu stellen. Wie bedeutend sind für ihn solche Bezugspersonen?
Huemer: Extrem wichtig. Ich konnte feststellen, welche Sponsoren-Verpflichtungen er hat, in welch enges Zeitraster er gequetscht ist. Um seine Freundschaften aufrechtzuerhalten, muss er jede Menge Energie aufwenden. Er nimmt sich die Zeit. Seine Familie ist mit ihm in das Profi-Geschäft gewachsen, sein engster Freundeskreis besteht größtenteils aus Fußballern. Dazu sein Glaube, der ihm unheimlich wichtig ist. Für ihn ist die Religion, wenn man so will, ein Schutzschild. Er betet sogar während der Begegnungen und holt sich neue Kraft. Und um sein stabiles Umfeld, dem er blind vertraut, kämpft er täglich.
David Alaba im Steckbrief