SPOX: Noch während Ihrer Zeit in Manchester wurden Sie auch Co-Trainer der englischen Nationalmannschaft. Der Cheftrainer war Sven-Göran Eriksson. Wer hatte einen größeren Einfluss auf Ihre Karriere - er oder Ferguson?
McClaren: Ich hatte wieder großes Glück, mit Sven arbeiten zu können. Er ließ mir auf dem Platz große Freiheiten. Dahingehend war er sehr ähnlich wie Sir Alex, wenngleich er eine viel ruhigere Ausstrahlung hatte. Beide haben mir dieses Siegergen eingeimpft, beide waren sehr darauf bedacht, gut mit den Spielern umzugehen. Ich habe sowohl von Sir Alex als auch von Sven viel mitgenommen.
SPOX: 2006 wurden Sie sogar Nationaltrainer der Three Lions.
McClaren: Nachdem ich in Manchester gearbeitet habe, bin ich nach Middlesbrough gegangen, um dort Cheftrainer zu werden. Wenn United für mich der Durchbruch in der Trainingslehre war, dann war Middlesbrough sicherlich der Durchbruch in Sachen Anerkennung und Erfahrung. Wir haben dort den Carling Cup gewonnen und 2006 das Uefa-Cup-Finale erreicht. Ich glaube, dieser erste Titel führte dazu, dass ich in Europa ganz anders wahrgenommen wurde und letztlich auch zu meiner Tätigkeit als englischer Nationaltrainer kam.
SPOX: Dort standen Sie unter einem ganz anderen Druck. Am Ende schafften Sie es nicht, sich mit England für die EM 2008 zu qualifizieren. Was ist schiefgelaufen?
McClaren: Wir haben damals versucht, zu schnell einen Umbruch einzuleiten. Auf diesen Wechsel war die Mannschaft nicht vorbereitet. Hinzu kam, dass wir viele Probleme mit Verletzungen hatten, gerade gegen Ende der Qualifikationsphase. Ohne die besten Spieler ist es natürlich schwierig. Wenn der Modus damals schon wie der heutige gewesen wäre, also mit 24 Mannschaften, dann hätten wir es auch zum Turnier geschafft. Das war damals schwieriger. Insgesamt hat mir als Trainer auf diesem Niveau aber auch ein bisschen die Erfahrung gefehlt.
SPOX: Nachdem Sie die Three Lions übernahmen, sortierten Sie David Beckham erst aus und holten ihn später wieder zurück ins Team - weil sie merkten, dass die Mannschaft für den Umbruch noch nicht bereit war?
McClaren: Ja, genau. Er hat sich damals leider für den Wechsel nach LA entschieden, zeitgleich kamen bei uns einige neue Spieler durch. Ich dachte, es sei an der Zeit für eine neue Ära. Nach einigen Monaten merkte ich aber, dass ich mehr Führungsqualitäten in der Mannschaft brauchte. Und David machte in Los Angeles einen guten Eindruck. Also holte ich ihn zurück. Am Ende reichte es aber auch nicht mehr. Ich hätte mir damals einfach etwas mehr Zeit gewünscht.
SPOX: Es gibt ein sehr bekanntes Foto von Ihnen, wie Sie im entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Kroatien an der Seitenlinie stehen und einen Regenschirm halten. Wieso wurde das so berühmt?
McClaren: Die Medien finden immer etwas. Es war ein Wortwitz, der daraus gemacht wurde. Hätte ich eine Mütze getragen, wäre ich vielleicht Mr. Beanie gewesen. Ich glaube, das ist sinnbildlich für die Medien der heutigen Zeit.
SPOX: Können Sie beschreiben, was es für die englischen Fans bedeutet, so ein großes Turnier zu verpassen?
McClaren: Das war sicher nicht gut damals. Es herrschte viel Frust. Und das machte mich auch nicht gerade zur beliebtesten Person Englands. Doch auch die beiden letzten Turniere waren für England nicht gut. Aber die FA hat einen guten Job gemacht, vor allem, dass sie Roy Hodgson behalten hat. Man hat aus der Vergangenheit gelernt und gibt dem Wandel eine Chance. Der englische Fußball ändert sich.
SPOX: England hat alle Qualifikationsspiele zur EM gewonnen. Was macht die Mannschaft so stark?
McClaren: In erster Linie die jugendliche Leichtigkeit und Unbekümmertheit. Was den jungen Spielern aber gut tut, ist, dass mit Rooney, Cahill oder Hart immer noch reichlich Erfahrung im Team ist. Die Mannschaft hat viel Energie und eine überragende Offensive. Roy Hodgson hat mindestens 16 sehr gute Spieler, von denen er sich sicherlich nicht auf eine beste Elf festlegen kann. Das ist ein großer Vorteil. Natürlich kann der junge Altersschnitt aktuell auch ein Stolperstein sein. Aber England hat eine glorreiche Zukunft vor sich.
SPOX: Bei den letzten großen Turnieren wurde England fast schon als Altherren-Mannschaft abgestempelt. 2014 spielten zum Beispiel noch Steven Gerrard und Frank Lampard. Ist das jetzt dieser Umbruch, den Sie damals auch schon einleiten wollten?
McClaren: Ja, das stimmt schon. Zu Beginn der 2000er Jahre wurde in England die "Golden Generation" angepriesen - mit Beckham, Lampard, Gerrard, Ferdinand, Owen und so weiter. Diese Mannschaft war großartig und hätte auf jeden Fall besser abschneiden müssen, als sie es in den Turnieren getan hat. Nach diesen Spielern dauerte es eine Zeit lang, bis wieder gute junge Spieler nachkamen. Das ist jetzt gelungen, sodass man die aktuelle Mannschaft wohl "The next Golden Generation" nennen kann. Es ist ein aufregender Haufen.
SPOX: Sie haben eben auch Rooney angesprochen. Welche Rolle spielt er noch in der Mannschaft?
McClaren: Er ist ein absoluter Führungsspieler, auf und neben dem Platz. Er macht das nicht immer verbal, sondern geht vielmehr durch seine Präsenz und Energie voran. Er ist der Einzige, der über so eine große Erfahrung verfügt. Wayne hat sich entwickelt und ist reifer geworden. Er lässt sich durch nichts von seinem Weg abbringen und ist niemals nervös. Das gibt er auch an die Mannschaft weiter.
SPOX: Ist die Defensive aber die große Schwäche des Teams?
McClaren: Das würde ich nicht sagen. Ich habe lange kein England-Team mehr gesehen, das das Tempo so lange so hoch halten konnte und den Gegner so offensiv und früh gepresst hat. Das ist auch eine Qualität. Wichtig ist, dass sie die Kräfte richtig einteilen.
SPOX: Von allen EM-Trainern verdient Hodgson am meisten. Muss er das mit dem Titel zurückzahlen?
McClaren: Nein, überhaupt nicht. In England hat ein Umdenken stattgefunden, verglichen mit der Zeit, als ich noch Nationaltrainer war. Damals waren die Erwartungen immens. Der Aufschrei war schon groß, wenn England auch nur einen Eckball zuließ. Das war ein Verbrechen. Es wurde erwartet, dass wir jedes Spiel gewinnen und zu jedem Turnier als Favorit reisen. Mittlerweile gibt es fast keine Erwartungshaltung mehr, speziell nach dem Abschneiden in Brasilien, als man in der Vorrunde ausschied. Dieses Jahr wollen die englischen Fans einfach ein gutes Turnier spielen, mit schönem Fußball und zumindest einer Chance gegen die großen Nationen. Ich bin mir aber sicher, dass sie jeden schlagen und dann auch das Turnier gewinnen können.
Steve McClaren im Steckbrief