Es ist erst ein paar Wochen her, da erhob sich ein Gemurmel, als sein Name vom Stadionsprecher gerufen wurde und es gab Pfiffe. Ein wenig Beifall auch, immerhin schoss er ein Tor.
Unüberhörbare Buhrufe, als er ausgewechselt wurde. Beim nächsten Mal das gleiche Spiel. Unruhe im Publikum schon beim Aufwärmen. Er schoss zwei Tore, aber die Skepsis blieb.
Die Mehrheit der französischen Öffentlichkeit ging d'accord mit der Entscheidung von Trainer Didier Deschamps, bei der EM im eigenen Land auf seinen besten Stürmer zu verzichten.
Zu schwer wog der Verdacht gegen Karim Benzema, in die unschöne Erpressungsaffäre um ein Sex-Video seines Equipe-Kollegen Mathieu Valbuena tatkräftig verwickelt gewesen zu sein. Eine nicht unerhebliche Minderheit hätte Benzema aber trotzdem gerne beim Turnier gesehen, denn die Alternative hieß: Olivier Giroud.
Applaus, Applaus
Und mit Olivier Giroud tut sich der französische Fußball-Fan schwer. Absolute Rückendeckung hat der 30-Jährige in seinem Heimatland nie erfahren, er war nie ein Liebling der Massen. Der Liebling der Nation ist Benzema freilich auch nicht, aber eben unbestritten ein Stürmer von Weltklasse-Format.
Weltklasse ist sein Vertreter wohl nicht, doch es gibt sicher schlechtere Ausgangspositionen, als einen Benzema ersetzen zu müssen und auf einen Giroud zurückgreifen zu können.
Aus skeptisch-hektischem Getuschel oder unverhohlener Abneigung ist ohnehin Bewunderung und Applaus geworden. Fürs erste zumindest. Frankreich steht im Halbfinale der EM gegen Deutschland, und der ungeliebte Mittelstürmer hat durchaus seinen Anteil daran.
"Es ist schön, bejubelt zu werden", sagte Giroud dieser Tage. Beseelt gestrahlt hat er dabei nicht - und er schickte nach: "Aber ich habe immer eine positive Einstellung auf dem Platz. Ich habe nie Rachegelüste gehabt oder das Gefühl, den Leuten beweisen zu müssen, dass sie falsch gelegen haben. Nie."
Umweg dritte Liga
Skepsis an seinen Fähigkeiten begleiten Giroud schon lange. Schon immer. Knapp 20-jährig, er spielte in Grenoble, wurde ihm beschieden, er habe nicht das Talent für die Ligue 1 und selbst in der 2. Liga würde er es schwer haben.
Giroud hatte sein Abi in der Tasche und begann zu studieren, um ein zweites Standbein zu haben, falls es mit der Fußball-Karriere nichts würde. Doch es wurde.
Über den Drittligisten FC Istres ging es nach Tours, wo ihm 2009/2010 der Durchbruch gelang. Er wurde Torschützenkönig in der 2. Liga und wechselte anschließend nach Montpellier. Dort gewann er im zweiten Jahr die Meisterschaft und avancierte mit 21 Treffern zum besten Torjäger der Ligue 1.
Es folgte der Wechsel in die Premier League, zum großen FC Arsenal.
Zu wenige Tore
"Ich habe immer fest daran geglaubt, dass ich es schaffen würde", sagte er damals im Sommer 2012. Die Tinte unter seinem Vertrag bei den Gunners war gerade erst getrocknet. "Aber wenn man mir vor fünf Jahren gesagt hätte, dass ich heute hier bin, dann hätte ich es wahrscheinlich nicht geglaubt."
Aber auch in London polarisiert er. 82 Tore und 34 Vorlagen in 187 Pflichtspielen für die Gunners sind beileibe keine verheerende Bilanz, doch sie machen ihn auch nicht über Kritik erhaben. Und mit Kritik an Olivier Giroud ist die englische Presse, da steht sie der französischen freilich nicht nach, immer schnell zur Hand.
Giroud schießt eben immer noch zu wenige Tore, um Arsenal in der Premier League zum Meister zu machen und in der Champions League bis ins Viertelfinale oder noch weiter zu bringen. Er missfällt durch Körpersprache oder Unbeständigkeit in seinen Leistungen.
Intelligent und sturköpfig
Und dann wäre da noch sein Image. Auch der Typ Giroud polarisiert. Man muss schon in Messi-Suarez-Ronaldo-Sphären Tore schießen, um Immunitätsstatus zu besitzen. Giroud gibt unumwunden zu, Profit schlagen zu wollen aus seinem Aussehen, seinem Style. Es ist ihm wichtig, und David Beckham seine Ikone. Ein Lebemann und Schwerenöter sei er deshalb nicht.
Den Ruf hat er dennoch weg. Anfang 2014 tauchten Bilder von ihm in Unterhosen in einem Hotelzimmer auf. Das nicht unbekannte Model Celia Kay hatte sie geschossen. The Sun gab Giroud anschließend öffentlich zum Abschuss frei. Er selbst gab zu, einen gewaltigen Fehler gemacht zu haben, beteuerte aber flehentlich, zum Ehebruch sei es nicht gekommen.
Eitel mag er sein, aber kein Narzisst. Selbstbewusst, aber nicht größenwahnsinnig. Und weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen.
Als er sich bei Arsenal vorstellte, beschrieb er sich mit folgenden Attributen: "Ehrgeizig. Großzügig. Natürlich. Intelligent. Sturköpfig."
Er hat einen Panzer
Sein steiniger, über viele Umwege führender Weg nach oben hat ihn geprägt, genauso wie seine sehr ambivalente Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Er versucht, das Beste daraus zu machen.
"Ich habe mir einen Panzer zugelegt. Für die guten, aber auch die schlechten Zeiten", sagte er mal. "Ich weiß genau, wenn ich gut bin und wenn ich es nicht bin. Ich brauche keinen, der mir das sagt."
Im Augenblick ist alles gut, denn Olivier Giroud ist gut. Bei der EM hat er sich nicht die bedingungslose Hingabe des französischen Publikums erarbeitet, aber doch zumindest dessen Wohlwollen.
"Wir wissen, wie wichtig Olivier ist"
In der Mannschaft ist er unumstritten und genießt großen Rückhalt.
"Wir stehen von Beginn an voll hinter ihm", sagte Frankreichs Kapitän Hugo Lloris. Und an die Journalisten gerichtet: "Ihr habt eure Statistiken, um die sich alles dreht, wir Spieler haben eine ganz andere Sichtweise. Wir wissen, wie wichtig Olivier ist."
Er ist ein komischer Typ dieser Olivier Giroud. Die Franzosen hassen und lieben ihn. Die Arsenal-Fans besingen ihn mit dem Beatles-Klassiker Hey Jude (Nananana, Giii - rOUUUUUD!) und sie verzweifeln regelmäßig an ihm und wünschen ihn zum Teufel. Er ist belesen, intelligent, reflektiert und gläubiger Katholik und - siehe Unterhosengate - gleichzeitig impulsiv und naiv.
Er ist ein verdammt guter Fußballer, aber wohl nicht Weltklasse - und dennoch der Mann, der Frankreich zum Europameistertitel schießen könnte.
Dann gäbe es keine Pfiffe und kein Getuschel mehr. Zumindest für ein paar Wochen.
Olivier Giroud im Steckbrief