EM

Der jährliche Scherbenhaufen

Englands Spieler liegen nach dem Achtelfinal-Aus gegen Island am Boden
© getty

England steht nach dem Aus im EM-Achtelfinale erneut mit leeren Händen da und wird auf der Insel mit Hohn und Spott überschüttet. Dabei sah nach dem Umbruch zunächst alles vielversprechend aus. Der unglückliche Auftritt des Trainers passt allerdings ins Bild.

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Nur zwei Tage nach dem Einzug ins EM-Achtelfinale weilte Englands Coach Roy Hodgson mit seinem Co-Trainer Ray Lewington in Paris. Aufgrund eines schnöden 0:0 ließen sich die Three Lions die Spitzenposition in Gruppe B von Wales wegschnappen. Es war klar, dass es gegen den Zweitplatzierten der Gruppe F gehen wird. Da kam es gelegen, dass sich mit Island und Österreich zwei heiße Anwärter auf diesen Rang ausgerechnet in der französischen Hauptstadt gegenüber standen.

Doch Hodgson und Lewington schienen nicht viel von Gegnerscouting zu halten. Statt den möglichen Gegner im Stadion zu beobachten, zogen es die beiden sportlich Verantwortlichen vor, zunächst eine Bootsfahrt auf der Seine zu machen und anschließend die beeindruckende Kathedrale Notre-Dame zu besichtigen. Schließlich sei Lewington noch nie in Paris gewesen.

Schlimmste Pleite der Verbandsgeschichte

Wäre nur fünf Tage nach der Sightseeing-Tour alles nach Plan gelaufen, hätte das auf der Insel wohl niemand interessiert. Schließlich gibt es Video-Aufzeichnungen, auf denen jeder Trainer die Taktik des Gegners bis ins kleinste Detail analysieren kann. Doch jetzt bekommen Hodgson und sein Assistent die Szenen um die Ohren gefeuert.

Mit 1:2 unterlagen die Engländer eben diesen Isländern, die an besagtem Abend in Paris aufliefen. Der Aufschrei auf der Insel nach der Pleite gegen den krassen Underdog war riesig. Von der "schlimmsten Niederlage" und der "schwärzesten Nacht der Verbandsgeschichte" war zu lesen. Obwohl die Three Lions mit zehn Siegen durch die Quali pflügten, stehen sie (mal wieder) vor einem Scherbenhaufen.

Mit großen Erwartungen waren die Engländer ins Turnier gestartet. Nach dem peinlichen Vorrundenaus bei der WM 2014 in Brasilien unterzog der 2012 ins Amt berufene Hodgson dem Team eine Verjüngungskur. Die lange gehypte und unantastbare Mittelfeld-Phalanx um Steven Gerrard und Frank Lampard, die nie wirklich funktionierte, wurde endlich aufgebrochen.

Gerrard und Lampard hinterlassen Lücken

Beide traten von der Nationalmannschaft zurück und schufen damit sowohl auf dem Rasen als auch in der Hierarchie Platz für einen Neuanfang. Mit Dele Alli und Eric Dier stießen zumindest auf dem Feld neue Gesichter in diese Position. Die Versetzung des ehemaligen Torjägers Wayne Rooney ins Mittelfeld tat dem englischen Spiel zudem sichtlich gut. Schlau verlagerte er ein ums andere Mal das Spiel und brachte Struktur in den Aufbau.

Auch die Offensiv-Abteilung der Engländer war zuletzt so gut besetzt wie lange nicht. Jamie Vardy, Harry Kane, Raheem Sterling, Adam Lallana und Daniel Sturridge haben den Talent-Status weit überschritten und sind gestandene Profis in der viel zitierten "besten Liga der Welt".

Für England schien nach dem zweiten EM-Spiel in Frankreich noch alles im grünen Bereich. Gegen Russland hatte das Hodgson-Team zwar spät den unglücklichen Ausgleich kassiert, doch im Duell mit Wales zeigten sie dem aufmüpfigen Nachbarn, wer Herr auf der Insel ist. Spielerisch überzeugen konnten die Engländer allerdings auch da nicht. Ein negativer Trend, der sich sowohl im Spiel gegen die Slowakei als auch beim blutleeren Auftritt gegen Island zeigte.

Vorgeschriebene Abschiedsrede

Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet der unverbrauchte Marcus Rashford beim peinlichen Achtelfinalaus mit Abstand am meisten Wirbel machte. Der erst 18-Jährige kam in der 86. Minute für Rooney und ging ein ums andere Mal auf der linken Seite unbekümmert ins Eins-gegen-eins. Dass ihm dabei nicht alles gelang, sei ihm verziehen. Doch im Gegensatz zu den anderen Spielern versprühte er eine gewisse Unbekümmertheit, die andere Spieler bei den Three Lions wohl auf Dauer automatisch verlieren.

Hodgson zog unmittelbar nach dem Spiel die Konsequenzen für die peinliche Pleite. Noch auf der Pressekonferenz legte der 68-Jährige sein Traineramt nieder. Wie er seinen Rücktritt kundtat, passte zu seiner verkorksten Zeit als England-Coach. Er las seinen Rücktritt von einem Zettel ab, den er sich wohl bereits vor dem Spiel bereit gelegt hatte. Das weckt den Eindruck, als wäre auch er nicht mit jeder Faser von einem Sieg überzeugt gewesen.

"Wir sind nicht so weit gekommen, wie ich es uns zugetraut hatte. Das ist nicht akzeptabel", sagte er auf der PK nach dem Spiel. Nun solle jemand anders die Entwicklung "dieser jungen und hungrigen Mannschaft" übernehmen. "Für Roy Hodgson war es ein schändliches Ende seines Postens als Teammanager", titelte der seriöse Guardian, der sich im Vergleich zu anderen Blättern noch milde äußerte.

Die Geschichte um die Bootstour stempelte Hodgson als "lächerlich" ab. Sie wird sich dennoch als weitere lustige Anekdote in die Historie des englischen Fußballs einreihen, die jeweils sinnbildlich für den Abschied standen. Da ist zum einen die Regenschirm-Anekdote um Steve McClaren, das Treffen von Sven-Göran Eriksson mit einem falschen Scheich und die Toiletten-Affäre um Kevin Keegan.

"Die Aussichten sind glänzend"

Die englischen Fans lechzen somit weiterhin nach einem ordentlichen Auftritt der Three Lions. Die letzte halbwegs vernünftige Leistung bei einem großen Turnier liegt inzwischen bereits 20 Jahre zurück. 1996 scheiterten die Engländer immerhin erst im EM-Halbfinale. Generell konnten sie nur zwei der letzten zehn K.o.-Spiele für sich entscheiden (gegen Dänemark bei der WM 2002 und gegen Ecuador bei der WM 2006).

Das Mutterland des Fußballs wird sich erneut selbst erfinden müssen. Ein neuer Trainer, der den englischen Fußball retten soll, ist bislang nicht mal ansatzweise in Sicht. Es gilt, eine ganze Ladung angehender Superstars in die richtige Bahn zu lenken und entsprechend einzusetzen. Denn das Potenzial ist ohne Frage vorhanden.

So fiel das Fazit der Spieler nach dem Aus hier und da weniger verheerend aus als zunächst gedacht. "Roy Hodgson hat vielen Spielern zu ihrem Debüt verholfen. Im Moment mag es nicht so aussehen, doch die Aussichten für die Zukunft sind glänzend", erklärte Rooney. Noch kann man nicht sagen, wie viel Wahrheit in den Aussagen steckt. Einen echten Gradmesser wird es erst in zwei Jahren geben: bei der WM 2018 in Russland.

England - Island: Die Statistik zum Spiel

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