Patrice Evra verbrachte einen recht entspannten Abend. Zu überlegen war Frankreichs Offensive gegen Island, zu wenig kam vom Gegner, sodass sich der Linksverteidiger der Equipe Tricolore schonen konnte für das große Halbfinale gegen Deutschland.
Evra war an diesem rauschenden französischen Abend trotzdem wichtig für Les Bleus. Vielleicht sogar wichtiger als Antonie Griezmann oder Dimitri Payet. Beim Aufwärmen redete er gestenreich auf jeden Mitspieler ein, immer wieder ballte er dabei die Faust und streckte den Arm vom Körper weg. Heißmacher Evra.
Im Spiel war er der erste Gratulant des medial viel kritisierten Paul Pogba nach dessen Treffer zum 2:0. Er legte beide Hände um Pogbas Kopf und drückte seine Stirn an die des Torschützen.
Während der WM 2010 war Evra einer der Hauptfiguren im albernen Schmierentheater der französischen Nationalmannschaft. Rauswürfe, üble Beleidigungen, Trainingsboykott - die Equipe ließ in Südafrika nicht aus.
Heim-Titel Nummer drei?
Sechs Jahre später erlebt Frankreich einen komplett anderen Evra. Einen, der Einheit demonstriert und nicht Spieler und Trainer gegeneinander aufhetzt.
Frankreich kann kein noch so kleines Skandälchen gebrauchen, erst recht nicht jetzt, wo nur noch zwei Schritte fehlen auf dem Weg zum dritten großen Titel im dritten Heim-Turnier nach der EM 1984 und der WM 1998.
In den ersten vier Spielen musste die Equipe viermal beißen. Späte Tore gegen Rumänien und Albanien, ein müdes 0:0 gegen die Schweiz und ein Comeback gegen Irland standen bis zum Viertelfinale zu Buche. Ausgerechnet gegen die unbequemen Isländer, die Lieblinge des Turniers, lief alles wie am Schnürchen: frühes Tor, frühes zweites Tor, eine erste Halbzeit wie im Rausch.
Endlich kein Zittern
"Im Gegensatz zu den anderen Spielen waren wir diesmal sehr effektiv", sagte Nationaltrainer Didier Deschamps anschließend. Vier der ersten fünf Torschüsse waren drin - von vier verschiedenen Schützen. "Endlich ein Spiel ohne Zittern", schrieb L'Equipe.
Frankreich scheint endgültig angekommen im Turnier. Gerade noch rechtzeitig, denn im Halbfinale wartet mit Deutschland die laut Deschamps "beste Mannschaft des Turniers, Europas und der Welt."
Ohne das Spiel gegen an diesem Abend schwachen Isländer überzubewerten, hat auch Deschamps Mannschaft gezeigt, dass sie einiges drauf hat, vor allem in der Offensive. Dimitri Payet treibt unermüdlich an, war erneut Torschütze und Vorbereiter. Antoine Griezmann erledigte erst Irland und führt jetzt die Torschützenliste der EM mit vier Treffern an.
Auch Olivier Giroud knipst plötzlich nach Belieben, Pogba taut auf und Moussa Sissoko war ein starker Ersatz für den gesperrten N'Golo Kante. Die Konzentrationsschwächen in der Defensive angesichts der hohen Führung und nach zwei frühen Wechseln - geschenkt.
Schlechte Bilanz gegen Deutschland
"Dieser Sieg gibt uns viel Selbstvertrauen für das Halbfinale. Deutschland ist der Favorit, aber mit den Fans im Rücken und dem Glauben an unsere eigene Stärke können wir es schaffen", sagte Payet.
Noch nie standen sich Deutschland und Frankreich bei einer EM gegenüber, dafür aber viermal bei Weltmeisterschaften. 1958 eroberte Frankreich den dritten Platz mit einem 6:3. Wenn es wirklich wichtig war, hatte das DFB-Team stets das bessere Ende für sich, zuletzt vor zwei Jahren im WM-Viertelfinale in Brasilien.
Deutschland hat im Viertelfinale den Fluch gegen Italien besiegt. Frankreich hat das gegen Deutschland noch vor sich. Der Sonntagabend im verregneten Paris hat die Hoffnungen der Equipe Tricolore vergrößert, dass dies am Donnerstag in Marseille gelingen wird.
Frankreich - Island: Die Statistik zum Spiel