EM

Das Charaktertestspiel

Von Für SPOX in Netanja: Jochen Tittmar
Aus zwei Spielen null Punkte. Ohne Sieg will sich die U 21 aber nicht aus Israel verabschieden
© getty

Spiel um die goldene Ananas? Mitnichten. Wenn die bereits ausgeschiedene U 21 Deutschlands am Mittwoch auf das ebenfalls punktlose Russland trifft (18 Uhr im LIVE-TICKER), geht es neben der Ehre auch um die Vermeidung eines historischen Negativ-Rekordes. Der ganz große Druck ist raus, doch für viele Spieler steht die finale Partie in diesem Jahrgang an - und der letzte Eindruck bleibt.

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Ein schriller Pfiff ertönte über den Hodorov Training Ground am Dienstagabend. U-21-Coach Rainer Adrion hatte ihn abgegeben und somit das Signal gesendet, dass sich seine Spieler am Mittelkreis einzufinden haben. Und dann geschah etwas, was man in den Trainingseinheiten zuvor nie sah: Der gesamte Kader bildete einen Kreis, steckte die Köpfe zusammen und stieß nach ein paar Sekunden einen lauten Schrei aus.

Die deutsche Auswahl scheint durch die seit dem Ausscheiden bei der EM in Israel auch berechtigte Kritik im wahrsten Sinne des Wortes nochmal ein Stückchen enger zusammengerückt zu sein. Im Abschlussspiel gegen die ebenfalls punktlose Mannschaft aus Russland muss nun ein Erfolg her - für das Image des Verbandes und das eigene Selbstvertrauen.

Schon bevor Adrion in seine Pfeife blies, standen die Spieler grüppchenweise zusammen und hielten den Ball zur ersten Auflockerung hoch. Man merkte ihnen dabei deutlich an, dass die Anspannung und der ganz große Leistungsdruck ein wenig abgefallen sind. Unmittelbar nach dem Rückflug in die Heimat am Donnerstag steht für alle der lang ersehnte Urlaub an.

Bloß kein Negativrekord

Zuvor muss aber noch ein letztes Mal in dieser Saison Schwerstarbeit verrichtet werden, zumal am Mittwoch der heißeste Tag des Turniers erwartet und der Anstoß bereits um 19 Uhr Ortszeit erfolgen wird. Dann sollte vielmehr ein historischer Negativ-Rekord vermieden werden: Es kam nämlich noch nie vor, dass eine deutsche U 21 bei einer EM-Endrunde punktlos nach Hause fuhr. Das Minimum an Zählern liegt bei dreien.

"Wir können nun ein Stück weit befreiter aufspielen", bestätigte Matthias Ginter den Eindruck vom Trainingsplatz. Adrion, sein Nebensitzer auf der Abschlusspressekonferenz im Inneren des Netanja-Stadions, sieht die Mannschaft dagegen in einem anderen Spannungsfeld als zuletzt: "Wir sind insofern unter Druck, als dass wir für uns jetzt selbst Druck erzeugen, um dieses Spiel mit voller Motivation anzugehen."

Denn: Für die immerhin 14 Spieler der Jahrgänge 1990 und 1991 gilt es nicht nur, die größte Schmach in der U-21-EM-Geschichte des Verbandes zu umgehen. Lewis Holtby, Sebastian Rudy, Sebastian Rode und Co. wollen ihr finales Länderspiel mit dieser Auswahl, das zum Charaktertestspiel verkommt, unbedingt gewinnen. Trotz des Ausscheidens bleibt ja immer der letzte Eindruck, wie auch Hansi Flick, der in Israel anwesende Co-Trainer der A-Nationalmannschaft, in seinem Blog auf der DFB-Homepage schreibt.

Fehler in den spielentscheidenden Situationen

"Es ist schon ein bisschen Wehmut und auch Traurigkeit dabei. Wir sind über zwei Jahre lang durch Höhen und Tiefen gegangen", erläuterte Tony Jantschke, Baujahr 1990.

Lewis Holtby im SPOX-Interview: "Wir sollten jetzt nicht rumjammern"

Doch in diesen Tagen, das ist klar, steht selbst unmittelbar vor einem anstehenden Match weiterhin das triste Abschneiden im Vordergrund. Adrion wurde vor der Fragerunde in Netanja auf der Dachterrasse des Tel Aviver Marina Hotels von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach der Rücken gestärkt. Das nahm der Coach freudig hin, musste sich aber freilich dennoch erneut erklären.

"Wir haben uns alle mehr vorgestellt. Inwieweit die Spieler ihre Qualität auf den Platz gebracht haben, kann man im Nachhinein sicherlich analysieren. In verschiedenen Situationen, die dann auch spielentscheidend waren, haben wir Fehler gemacht. Das ist gar keine Frage", meinte Adrion.

Ihm war anzumerken, dass er zwar Verständnis für die kritischen Beobachtungen der letzten Zeit aufbringt, er aber auch müde ist, seine Meinung dazu mehrfach wiederholen zu müssen: "Die Niederlagen gegen zwei Top-Teams bringen Kritik mit sich. Wir haben ja auch versucht, die Dinge zu erklären. Alles was man dazu sagt, klingt nach einer Entschuldigung. Das ist gar nicht meine Absicht. Wir haben gedacht und gehofft, dass wir mit diesem Team besser abschneiden."

Keine totale Rotation

Damit die Truppe zumindest nach dem letzten Gruppenspiel mit einer erfreulichen Meldung nach Hause fahren kann, wird Adrion am Mittwoch Änderungen an der Mannschaft vornehmen.

Peniel Mlapa, Christoph Moritz und Sead Kolasinac fallen weiterhin verletzt aus. Zu diesem Trio gesellt sich Angreifer Pierre-Michel Lasogga, der gegen Spanien die zweite Gelbe Karte sah.

"Es wird den einen oder anderen Wechsel geben, aber nicht die totale Rotation", so Adrion. Doch Geschenke an diejenigen Spieler, die bislang nur wenig oder gar nicht aufliefen, werden keine verteilt. Denn: "Die Russen sind in der Lage, vor allem offensiv zu glänzen. Sie haben sehr schnelle Spieler, die häufig in den Strafraum stoßen. Da müssen wir schon voll konzentriert sein und unsere Form weiter verbessern, damit wir uns möglichst mit einem Sieg aus dem Turnier verabschieden."

Dass ein Abschlusserfolg die negativen Schwingungen beendet, mag ein frommer Wunsch bleiben. Da eine Mannschaft mit dem Bundesadler auf der Brust jedoch eine hohe Verpflichtung mit sich bringt, schloss Freiburgs Ginter mit den zwei in dieser Situation einzig richtigen Sätzen: "Wir werden von Anfang an alles geben. Das sind wir Deutschland schuldig."

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

Russland: Zabotini - Bryzgalov, Burlak, Belyaev, Schennikov - Tsallagov, Petrov - Yakovlev, Dzagoev, Shatov - Smolov

Deutschland: Baumann - Jantschke, Ginter, Mustafi, Thesker - Rode (Funk), Rudy - Clemens, Holtby, Volland - Polter

Schiedsrichter: Matej Jug (Slowenien)

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