Christian Günter wirkt geknickt. "Die erste Gelbe Karte war überhaupt keine", schimpft er trotzig: "Da spiele ich nur den Ball." Doch er weiß auch um sein Missgeschick, das ihm danach unterlaufen ist. Ein Missgeschick, das ihn und die Mannschaft schwer getroffen hat. "Er berührt mich leicht und dann fliege ich", erzählt Günter und zuckt mit den Schultern.
Es war die Szene, die dem Freiburger Gelb-Rot und Deutschland damit die Unterzahl einbrachte. Ein Platzverweis wegen einer Schwalbe. Günter protestierte noch auf dem Platz lautstark, auch Kapitän Volland echauffierte sich. Trainer Horst Hrubesch motzte hinterher: "Das war ein Witz! Ich war erschrocken, als ich Gelb-Rot gesehen habe."
Nur einer dürfte über die Schiedsrichterentscheidung nicht ganz so erbost sein: Nico Schulz. Der Herthaner lieferte sich schon über die Qualifikation einen Zweikampf mit Günter, am Ende behielt der Freiburger die Nase vorn. Dessen Sperre gegen Dänemark beschert Schulz die Bewährungschance schlechthin. Urplötzlich steht er auf der ganz großen Bühne.
Nie ein Thema im A-Nationalteam
Es kommt ein wenig aus dem Nichts für Schulz, der oft als Schattenmann wahrgenommen wird. Sein Profi-Debüt liegt bereits knapp fünf Jahre zurück. Fünf Jahre, in denen sich Schulz bei der Hertha einen Stammplatz erkämpft hat, aber nichtsdestotrotz für die Öffentlichkeit meist unter dem Radar flog.
Kimmich vs. Höjbjerg: Nächste Generation im Bayern-Zentrum
Von ihm war nie die Rede, als es in den letzten Jahren darum ging, die noch immer vakante Linksverteidiger-Position im Nationalteam zu füllen. Benedikt Höwedes, Erik Durm, Jonas Hector und sogar Günter wurden eingesetzt, doch keiner hat sich nachhaltig als Premium-Lösung für die Zukunft erwiesen.
Über Schulz sprach niemand, obwohl er alle Jugend-Nationalmannschaften durchlaufen hatte und schon seit Kindesjahren gelernter Linksverteidiger ist. "Ich habe meine ganze Jugend hinten links gespielt - ich bin damit aufgewachsen", sagt er.
Arne Friedrich, Malik Fathi - Nico Schulz?
Bereits vergangenes Jahr hörte man leise die Hoffnung aus seinen Worten heraus: "Perspektivisch betrachtet, passt diese Position besser für mich. Es gibt nicht viele gute Linksverteidiger in Deutschland." Auch sein Manager Michael Preetz schlug in diese Kerbe: "Es ist bekannt, dass der Bundestrainer auf der Position einiges testen will."
Allerdings war die Hertha in den letzten Jahren nie eine sprudelnde Quelle, was deutsche Nationalspieler anbetraf. Die letzten Kandidaten, die zu ihrer Hertha-Zeit im DFB-Team kickten, hießen Malik Fathi und Arne Friedrich.
Dennoch hält der 22-Jährige an seinem Traum fest: Ich hoffe es und gebe mein Bestes, dass es irgendwann dazu kommt. Es wäre falsch von mir, als U21-Nationalspieler zu sagen, dass ich da oben nicht hin will."
Warnende Beispiele aus dem eigenen Klub
Die U21-Europameisterschaft soll ihm dazu nun als Bühne dienen, wie sie es schon für viele heranwachsende Talente war. So wie 2009, als die goldene Generation um Manuel Neuer, Mesut Özil, Mats Hummels und Co. den U21-Titel holte.
Sechs Spieler aus dem damaligen Kader standen fünf Jahre später im Maracana auf dem Platz und feierten den Sieg bei der Weltmeisterschaft. Doch es gab auch viele, die den Sprung nicht schafften. Wie es der Zufall so will, sind gleich drei Leute darunter, die wie Schulz einst der Hertha-Jugend entstammten.
Patrick Ebert beispielsweise, der sich durch einen unprofessionellen Lebensstil oft selbst Steine in den Weg legte und heute für Spartak Moskau kickt. Oder Chinedu Ede, derzeit von Mainz 05 an Anorthosis Famagusta ausgeliehen. Oder Ashkan Dejagah, der mittlerweile bei Al-Arabi unter Vertrag steht.
Sie alle sind warnende Beispiele dafür, dass ein Auftritt auf der Bühne U21-EM zwar ein Grundstein für eine vielversprechende Karriere sein kann - aber nicht sein muss.
Erstmals auf großer Bühne
Wenn es am Samstag in Prag gegen Dänemark geht, hat Schulz nun erstmals die Gelegenheit, sich auf einer Bühne dieser Größenordnung zu beweisen.
Immerhin: An die goldene Stadt hat der Berliner nur gute Erinnerungen: "Nach dem Aufstieg 2013 haben wir eine Abschlussfahrt nach Prag gemacht und mal richtig die Sau rausgelassen. Wir waren fast drei Tage am Stück wach - das war echt super und ich glaube, keiner wird diesen Trip vergessen!"
Nico Schulz im Steckbrief