EM

Skandinavisch, praktisch, gut

Von Daniel Reimann
Gegen Dänemark gewann Schweden im Halbfinale mit 4:1
© getty

Urtugenden, Teamgeist und die "Putzfrau" führten Schweden ins Finale der U21-EM. Als Außenseiter marschierten sie mit einfachstem Fußball durchs Turnier - und wollen im Finale gegen Portugal (20.45 Uhr im LIVE-TICKER) mit einer Tradition brechen.

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Andrea Belotti wusste genau, was er zu tun hat. Im Augenwinkel erkannte er, dass Gegenspieler Alexander Milosevic zur Verzweiflungsgrätsche ausholte. Belotti hatte den Ball, ein wenig Vorsprung und ein Fünkchen Cleverness.

Er brachte sein linkes Bein zwischen Ball und Gegner, nahm die Einladung von Milosevic dankend an und landete unsanft auf dem Rasen. Elfmeter für Italien, glatt Rot für Milosevic. Domenico Berardi trat an, um der Squadra Azzurra die Führung zu schenken. Für Schweden hingegen schien das Desaster seinen Lauf zu nehmen.

Schon vor dem Turnier war die Rollenverteilung klar. In der Gruppe B wimmelte es von Titelfavoriten. Einzig ein Team fiel aus dem Raster: Schweden. Mit Italiens Treffer zum 1:0 schien alles seinen erwarteten Lauf zu machen. Doch die Italiener hatten die wichtigste schwedische Qualität offenbar unterschätzt: Teamgeist.

"Taktisch macht uns keiner was vor"

Die Jungs in Gelb fighteten sich trotz Unterzahl zurück ins Spiel und drehten schließlich die Partie. "Wir genießen es, zusammen zu spielen und füreinander zu kämpfen", schwärmt Verteidiger Filip Helander. Und Coach Hacan Ericsson ergänzt: "Meine Spieler glauben daran, dass alles möglich ist und haben einen großartigen Teamgeist. Mit diesen Qualitäten kann man jedes Fußballspiel gewinnen."

Es sind die scheinbar einfachen Methoden, die Schweden bei diesem Turnier bis ins Finale gespült haben. Unter Ericsson konzentriert sich das Team auf das Wesentliche, auf klassisch skandinavische Tugenden. Keine individuelle Fußballkunst, kein Ballzauber zum Zungeschnalzen.

Stattdessen prägen Kampf, Teamgeist und absolute Disziplin den bisherigen Turnierverlauf der Schweden. "Es gibt sicher schnellere und technisch bessere Teams als uns, aber taktisch macht uns so schnell keiner was vor", sagt Ericsson stolz.

Physis, Disziplin, Standards

Auf dem Platz sieht es tatsächlich bisweilen hölzern aus, was die Schweden abliefern. Die Defensive besticht durch eine unheimliche Physis, die vor allem die Innenverteidiger Milosevic (1,91m) und Helander (1,92m) verkörpern.

Auch im Aufbau setzen die Schweden auf das einfache Fußball-ABC. Eine klar strukturierte Spieleröffnung, ohne großes Risiko. Im Spiel nach vorne gibt sich das Team ebenso wenig variabel, fokussiert meist das Flügelspiel und hat Flanken sowie Standards zu seinem Erfolgsrezept auserkoren.

Gegen Italien reichten ein Eckball und ein Elfmeter zum Sieg. Im dritten Gruppenspiel gegen Portugal entsprangen die beiden besten Chance einer Freistoßflanke beziehungsweise einer Hereingabe von rechts, ehe der Ausgleich in letzter Minute fiel. Und auch gegen Dänemark war es ein Elfmeter, die die Schweden auf die Siegerstraße brachte. Einfach, effektiv, erfolgreich.

Die "Putzfrau" als Schlüssel

Doch trotz aller Kollektivleistung, die das schwedische Team so stark macht, stechen ein paar Akteure heraus. Allen voran John Guidetti, der mit seiner internationalen Erfahrung voran geht und im Sturm eine enorm wichtige Rolle spielt. Seine Coolness vom Punkt ebnete den Weg zu den Siegen gegen Italien und Dänemark.

Der bisher beste Schwede des Turniers ist dennoch ein anderer: Oscar Lewicki. Neben Kapitän Oscar Hiljemark ist er der Taktgeber im Zentrum. Seine Abräumerqualitäten haben ihm in seinem Heimatland bereits den klangvollen Spitznamen "stadgumma" eingebracht - Putzfrau.

Dabei ist er mehr als nur der Mann, der pausenlos Räume zuläuft. Lewicki hat ein hohes taktisches Grundverständnis und kann so das disziplinierte Spiel von Ericsson besonders wie gewünscht umsetzen. Dazu zeichnet ihn eine hohe Spielintelligenz aus.

"Außenseiter? Wir lieben das"

Auf ihn wird gegen Portugal eine wichtige Rolle zukommen. Denn die Iberer verfügen über eine gewaltige individuelle Qualität in der Offensive, die sie gegen Deutschland spektakulär zur Schau trugen. Jeder Einzelne weiß mit dem Ball umzugehen, gleichzeitig funktioniert das Zusammenspiel gut.

Nur wenn sich Schweden auf seine Lieblingstugenden - zermürbende Disziplin, Härte und aufopferungsvoller Kampf - besinnt, scheint ein Sieg gegen die favorisierten Portugiesen möglich. Angst vor dem Team, das den ultimativen Titelfavoriten mit 5:0 deklassierte, verspüren die Skandinavier jedoch nicht.

"Wir hatten nie Angst. Wir haben gegen Teams gespielt, die besser waren als wir, individuell und technisch gesehen, aber als Team konnten wir jeden schlagen", sagte Hakan Mild, der 1992 selbst im U21-EM-Finale stand.

Ein Sieg im Finale würde zudem eine alte Tradition vergessen machen. Schweden hat noch nie in seiner Geschichte ein UEFA-Turnier gewonnen, während Portugal 1994 und 1999 immerhin den Titel bei der U18-EM holte. Damit soll nun Schluss sein: "Es gibt immer ein erstes Mal", sagt Guidetti grinsend. Schließlich haben er und seine Schweden es sich längst in ihrer Rolle bequem gemacht. "Vielleicht sind wird Außenseiter - aber wir lieben das."

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