Das englische Verb "to boss" lässt sich nicht ideal ins Deutsche übersetzen. Es findet seine Bedeutung irgendwo zwischen kommandieren und anführen, leiten und dominieren. Am besten, man übersetzt es erst gar nicht. Denn im Englischen sehen Sätze mit "to boss" ohnehin viel erhabener aus.
So wie der eines verblüfften Twitter-Users und Manchester-United-Fans. Der hatte offensichtlich die Auftaktpartie der Engländer gegen Portugal verfolgt und musste mit ansehen, wie seine Three Lions 0:1 unterlagen. Vor allem aber sah er eins: "William Carvalho has bossed this game." Wie gesagt: Es ist liest sich im Englischen viel schöner.
Vor allem aber bringt der Satz die Leistung Carvalhos gegen England auf den Punkt. Auch SPOX kürte ihn zum Star des Spiels. Das Fazit der Huldigung: "Ein toller Hybrid aus Zerstörer und Techniker, der Chef im Mittelfeld war." Boss eben.
Hybrid-Phänomen Carvalho
Carvalho vereint jene zwei Rollen wie nur wenige seines Alters. Die Beschreibung "robust" wird der Gestalt des 23-Jährigen wohl noch nicht einmal gerecht. Sein Körperbau ist gewaltig, 87 Kilogramm Kampfgewicht verteilen sich auf 1,87 Meter. Und der Portugiese weiß seine Kraft zum Übel seiner Gegner auch noch clever einzusetzen.
Das ist der eine Carvalho. Der abräumt, antizipiert, zerstört, umgrätscht. Der dem gegnerischen Spielmacher die Freude und den Raum nimmt, während er seinen eigenen Offensivkollegen den Rücken frei hält. Die Präsenz in Person.
Doch Carvalho füllt eben auch eine zweite Rolle hervorragend aus. Die des technisch versierten Antreibers. Einer, der im Spielaufbau wenige Bälle verliert, weil er sich aus Drucksituationen spielerisch befreien kann und die Pässe mit einer konsequenten Genauigkeit an den Mann bringt.
Darüber hinaus hat er einen gewaltigen Antritt, der ihn als Box-to-Box-Player auszeichnet, weshalb bereits so manch ehrenhafter Vergleich gezogen wurde. Schon sein ehemaliger Sportdirektor bei Cercle Brügge sah in ihm die "Qualitäten, die denen eines Yaya Toure ähneln."
Carvalho vs. Can: Duell der Bosse
Auch Deutschlands Co-Trainer Thomas Nörenberg schwärmte im Vorfeld der Partie gegen Portugal von Carvalhos Fähigkeiten: "Er hat eine überragende Technik, ein überragendes Tempodribbling. Er kann den entscheidenden Pass spielen."
Wenn es am Samstag gegen das DFB-Team geht, trifft Carvalho auch auf sein deutsches Pendant. Was Carvalho bei der bisherigen EM für Portugal war, war Emre Can für Deutschland. Can strahlt eine ungeheure Präsenz im Zentrum aus. Er glänzt einerseits durch eine Physis, die im DFB-Team kein anderer Sechser hat, gleichzeitig auch durch zielstrebige Offensivläufe und kluge Pässe.
Das Duell Deutschland - Portugal wird auch ein Duell der Bosse. Beide haben ihr Anführer-Gen im Blut. Gegenüber SPOX erklärte Can, er habe "schon immer Verantwortung übernommen. Ich will einfach vorangehen, das ist mein Typus."
Unverzichtbar für Portugal
Ähnlich verhält es sich bei Carvalho, wie sein ehemaliger Coach, Bruno Rodrigues, erzählte: "Bei Mira Sintra war er immer zwei Jahre jünger als die Anderen. Trotzdem war er Kapitän und Wortführer in der Kabine. Er hat immer die Probleme von Jungs aus rivalisierenden Stadtvierteln geklärt, die oft Streitereien starteten."
Für Portugals U21 ist er aber nicht nur als Antreiber unheimlich wichtig. Seine Robustheit und Härte sind unverzichtbar hinter einer Offensivabteilung, die aus Leichtfüßen besteht. Ivan Cavaleiro, Bernardo Silva, Ricardo Pereira, Joao Mario - keiner von ihnen ist größer als 1,75 Meter.
Darüber verfügt Carvalho über mehr Wettkampfhärte und Turniererfahrung als jeder andere seines Teams. Er spielte mit Sporting Champions League, war letztes Jahr bereits bei der Weltmeisterschaft dabei. Sein Debüt für die A-Nationalmannschaft Portugals gab er bereits 2013. An ihm können sich die Youngster orientieren.
Welcher Top-Klubs darf's denn sein?
Auch gegen das mit erfahrenen Bundesliga-Leistungsträgern gespickte DFB-Team werden diese Qualitäten gefragt sein, wenn Portugal ins Finale kommen will. Doch für Carvalho ist die Partie nicht nur ein möglicher Schritt zu einem großen Mannschaftstitel. Der Rasen wird auch sein ganz individuelles Schaufenster sein.
Schon vergangene Sommerpause war er heiß begehrt. Angeblich hat er eine Ausstiegsklausel bei Sporting über 42 Millionen Euro. Er ist ein Spieler von Jorge Mendez, der seine Klienten überall in der Welt gut anzubieten und für horrende Summen zu verkaufen weiß.
Carvalho kann seine Auswahl Interessenten im Sommer weiter vergrößern und seine eigenen Gehaltsvorstellungen in die Höhe treiben. Vor allem englische Top-Klubs sollen schon seit längerem Schlange stehen. Und das wird sich durch seinen bosshaften Auftritt gegen die Three Lions bestimmt nicht geändert haben.
William Carvalho im Steckbrief