München - Fernando Torres war gerade seit ein paar Wochen 17 Jahre alt, da trat Jesus Gil y Gil in die Kabine von Radomir Antic.
Antic war Trainer bei Atletico Madrid, die zweite Kraft in Spaniens Hauptstadt aber war nach dem desaströsen Abstieg 10 Monate zuvor nur noch zweitklassig.
Atletico-Präsdient Gil y Gil, der in den Monaten des sportlichen Niedergangs wegen zweifelhafter Geschäftspraktiken zeitweise sogar in Untersuchungshaft saß, hatte sich ausrichten lassen, dass in Atleticos Jugendmannschaft ein Knabe spielen würde, der entscheidend mithelfen könne beim Wiederaufstieg.
Ikone bei Atletico
Torres war kein unbeschriebenes Blatt, er wurde zum besten Spieler der abgelaufenen U-16-EM gewählt, wurde Torschützenkönig und mit Spanien auch Europameister. Aber er war erst 17 Jahre alt.
Gil marschierte also zu Antic. Atletico war kurz vor Ende der Saison plötzlich wieder an die Aufstiegsränge gerutscht und hatte wieder Chancen auf den Wiederaufstieg. Die zehnminütige Sitzung wurde zu einem Monolog. Der Befehl kam von höchster Stelle, Antic führte ihn brav aus.
Einen Tag später machte Torres sein erstes Profispiel, gegen Albacete eine Woche später sein erstes Profitor. Den Aufstieg verpasste Atletico zwar, die neue Ikone der Rojiblancos aber war geboren.
Torres als Sinnbild
Torres erzielte in Segunda und Primera Division insgesamt 82 Tore bei 214 Ligaspielen für Atletico, ehe er im Sommer 2007 seiner Heimatstadt plötzlich den Rücken kehrte. Madrid wurde mit 39 Millionen Euro entschädigt, Torres befand den Schritt ins Ausland im zarten Alter von 24 Jahren für richtig.
Wie sich herausstellen sollte, war es für beide Seiten die richtige Entscheidung. Kun Aguero trat endlich aus Torres' Schatten und schoss Atletico zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder in die Champions League, Torres legte mit 33 Pflichtspieltoren bei den Reds das beste Debüt eines Ausländers in der Geschichte der Premier League hin.
Torres' Entwicklung war auch abgesehen von seinen vielen Toren phänomenal. Der Spanier lebte sich im rauen Liverpool schnell ein, adaptierte die englische Mentalität auf und außerhalb des Platzes. Sein Spiel wurde noch wuchtiger, präziser, geradliniger.
Torres hat die Härte der Premier League gestählt - und sie hat ihn zu einem der wertvollsten Spieler des EM-Turniers werden lassen.
"Erst jetzt, da ich weggegangen bin, begreife ich, was ich für ein Leben in Madrid führte", sagte Torres der "Süddeutschen Zeitung". "Der Umzug war eine Befreiung."
Nur Ballack Stammspieler im Ausland
Im deutschen Kader verdienen von 23 Spielern 19 ihr Geld in der heimischen Bundesliga. Es ist ein warmes Nest, man kennt sich, ist firm mit Sprache, Mentalität, Arbeitsauffassung. In wenigen Klubs gilt der Beruf des Fußballprofis als Full-Time-Job - bei den Topklubs in Italien, Spanien oder England undenkbar.
Von den potenziellen Stars steht nur Michael Ballack bei einem europäischen Topklub in der Stammelf. Jens Lehmann (FC Arsenal) war nur noch zweite Wahl, Christoph Metzelder bei Real Madrid lange Zeit verletzt. David Odonkor ist bei Real Betis und in der Nationalmannschaft lediglich ein schneller Mitläufer.
"Absolute Bereicherung"
Philipp Lahm schäkerte lange mit einem Wechsel zum FC Barcelona, Bastian Schweinsteiger träumt von der Premier League, Lukas Podolski wird von Manchester City umworben - einen gültigen Vertrag haben alle drei aber beim FC Bayern München.
"Wenn man die Möglichkeit hat ins Ausland zu gehen, sollte man es machen. Früher hat man gesagt: 'Mit 25, 27 reicht es, davor ist es zu früh'. Der Meinung bin ich nicht, das hat sich alles im Zuge der Globalisierung geändert", meint Hansi Müller im Gespräch mit SPOX.com.
Es gibt zwar auch kritische Stimmen, wie etwa Oliver Kahn. Der Ex-Bayern-Keeper hat seinem ehemaligen Teamkollegen Bastian Schweinsteiger abgeraten, jetzt Angebote aus Italien oder England anzunehmen: "Er sollte versuchen, beim FCB erfolgreich zu sein", sagte Kahn gegenüber SPOX.com. "Wenn eine bestimmte Reife eingekehrt ist, wenn er 27 oder 28 ist, kann er immer noch gehen. Für einen jungen Spieler ist es die bessere Lösung zu bleiben."
Müller, ehemaliger Nationalspieler und Profi unter anderem beim VfB Stuttgart, Inter Mailand und Wacker Innsbruck würde sich aber durchaus mehr deutsche Nationalspieler im Ausland wünschen.
"Wenn heutzutage einer ein Top-Angebot hat und sagt: 'Es reizt mich ins Ausland zu gehen, ich habe jetzt ein paar Bundesliga-Jahre hinter mir', dann sollte man es machen. Es ist eine Erfahrung, die primär die Weiterentwicklung des Menschen fördert, durch die man eine andere Umgebung, Sprache und Mentalität kennen lernt. Das ist eine absolute Bereicherung." Auch das Kennenlernen von neuen taktischen und spieltechnischen Ansätze und das nötige Durchsetzungsvermögen in einem fremden Land können die Entwicklung eines Spielers nur fördern.
Entwicklung als Fußballer und Mensch
Die deutsche Mannschaft funktionierte als Team bei der EM ziemlich gut. Vor allem das Finale gegen die Spanier hat aber deutlich gezeigt, dass bei fast jedem Einzelnen noch ein Stück individuelle Qualität fehlt. Qualität, die man unter anderem mit einer Luftveränderung erwerben kann.
"Mich persönlich hat es unheimlich weitergebracht, zuerst nach Deutschland und dann nach England zu wechseln. Eine andere Mentalität kennen zu lernen und sich weit weg von der vertrauten Umgebung auf eigene Faust durchsetzen zu müssen, sind Dinge, die einen Spieler prägen und ihn schneller reifen lassen - als Fußballer und als Mensch", sagt SPOX-Kolumnist Alexander Hleb.
Korsettstangen ins Ausland
Der letzte Große, der den Schritt wagte, war Ballack. Nach einem Jahr Anlaufzeit und einer langwierigen Verletzung zu Beginn seiner zweiten Saison schaffte Ballack in der Rückrunde der abgelaufenen Saison beim FC Chelsea den Durchbruch.
"Michael hat der Wechsel nach England sehr gut getan. Er hat in den letzten zwei Jahren noch mal einen Schritt nach vorne gemacht", sagt Premiere-Experte Didi Hamann zu SPOX.com.
Das Problem ist nur, dass Ballack Ende September schon 32 Jahre alt wird, er wird von seiner angeeigneten Erfahrung nicht mehr lange zehren können. Die zukünftigen Korsettstangen der DFB-Elf wie Lahm, Podolski und Schweinsteiger brauchen früher oder später auch die Weiterentwicklung im Ausland.
Auch Christoph Metzelder sieht das so: "Es ist eine schwere Entscheidung. Man muss sich in einer neuen Mannschaft behaupten und lernt eine neue Sprache. Als Leistungssportler will man immer neue Ziele angehen und auch schwere Aufgaben anpacken. Wer die Möglichkeit hat, sollte ins Ausland gehen. Ich bereue den Schritt nicht", sagte der 27-Jährige in einem Interview mit der "Welt".
Es fehlt in der Breite
Andernfalls müssten die kommenden Führungsspieler zumindest regelmäßig auf hohem Niveau in Liga und Champions League vertreten sein. Von der deutschen Startelf im Finale spielten nur Ballack, Jens Lehmann, Per Mertesacker, Torsten Frings und Thomas Hitzlsperger in der Königsklasse. Einzig Ballack und Lehmann überstanden mit dem FC Chelsea und dem FC Arsenal die Gruppenphase. Lehmann machte insgesamt allerdings nur zwei Spiele. Dagegen standen sieben spanische Starter sogar in der K.o.-Runde des Wettbewerbs.
Auf absolutem Topniveau, an der Spitze, fehlt es Deutschland in der Breite. Nur ein oder mit Abstrichen zwei Spieler von Weltklasseformat reichen offenbar nicht.
Wer während des Turniers wie kein anderer im Rampenlicht stand, ist Mario Gomez. Die Bayern wollen den 22-Jährigen, und der FC Barcelona hängt wie ein Damoklesschwert über dem Stuttgarter.
"Er würde auch ganz gut in den englischen Fußball passen aufgrund seiner Spielart. Aber in Spanien hätte er auf jeden Fall den Vorteil, dass er schon mal die Sprache spricht", sagt Hansi Müller. "Nur: Ich vermute, dass er bei den Bayern landen wird. Denn ein Schwabe versteht ja auch ganz gut bayerisch."