Nach EM-Aus: Die DFB-Elf braucht einen echten Neuanfang - das Pro und Contra

Martin VolkmarFilippo Cataldo
30. Juni 202115:21
Hansi Flick ist neuer Bundestrainer.imago images
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Hansi Flick übernimmt von Joachim Löw eine DFB-Elf, die sich nach dem Achtelfinalaus bei der EM gegen England am Boden befindet und im Mittelmaß angelangt ist. Muss Flick das DFB-Team nun radikal umbauen? Das Pro und Contra.

PRO: Neustart unter Flick nur mit neuen Köpfen

Von Martin Volkmar

Nach der EM-Pleite der deutschen Nationalmannschaft sind sich alle einig: Jogi Löw hätte schon vor drei Jahren nach der verpatzten WM 2018 gehen müssen.

Den Subtext dahinter, dass dann alles besser geworden wäre, muss man aber nicht teilen. Denn der Glaube, dass der Trainerwechsel zu Bayerns Erfolgscoach Hansi Flick alleine die DFB-Auswahl bis zur WM Ende 2022 in Katar wieder in die Weltspitze bringen wird, ist blauäugig.

Sicher liegt die Hauptverantwortung für die mutlosen Vorstellungen beim Turnier bei Löw, der für Einstellung und Aufstellung zuständig war. Aber auf dem Platz standen dennoch die Spieler, und die haben bei der Endrunde ebenfalls maßlos enttäuscht.

Im Aufgebot standen alleine acht Profis vom letztjährigen Champions-League-Sieger FC Bayern und drei vom aktuellen Titelträger FC Chelsea plus weiterer Akteure von internationalen Topklubs - doch keiner davon konnte überzeugen.

DFB-Team: Nur Bundestrainer auszuwechseln, ist zu wenig

Nur den Bundestrainer auszuwechseln und ansonsten alles gleich zu lassen, wäre daher ein fataler Fehler. Nach der Abwärtsspirale der vergangenen Jahre ist es Zeit für einen echten Neuanfang. Spieler mit großen Namen, die dann aber in den entscheidenden Spielen nicht ihr Leistung abrufen, dürfen nicht mehr gesetzt sein.

Nimmt man dafür die Auftritte bei der EM, könnte man aktuell auf einen Großteil des Kaders relativ problemlos verzichten: Von den Altstars wie Manuel Neuer, Toni Kroos und Thomas Müller über bislang meist nur im Verein überzeugende Akteure wie Antonio Rüdiger, Ilkay Gündogan, Leroy Sane oder Serge Gnabry.

Deshalb muss man sie keineswegs komplett aussortieren, wie es Löw fälschlicherweise mit Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng gemacht hat. Sondern allein die Leistung muss für eine Berufung ins Nationalteam zählen anstelle des (vermeintlich) großen Namens.

DFB-Team: Leistung statt Namen muss zählen

Löw ist unter anderem zum Verhängnis geworden, dass er die vergangenen Monate nie konsequent getestet hat. Deshalb mangelte es ihm bei der Endrunde taktisch und individuell an Alternativen. Dieses Versäumnis sollte Flick nicht wiederholen.

Jetzt ist die Zeit, frischen Gesichtern wie etwa den U-21-Europameistern oder Bundesliga-Leistungsträgern wie Maxi Arnold, Marvin Friedrich oder (wieder) Lars Stindl eine echte Chance zu geben.

Es spricht ja für sich, dass viele Nationen mit großen Namen wie Frankreich, die Niederlande oder Portugal bei der EM bereits ausgeschieden sind. Im Wettbewerb sind dagegen Teams, die aufs Kollektiv setzen wie Tschechien, Dänemark oder die Schweiz.

Daran muss sich Flick ein Beispiel nehmen und mehr Risiko wagen. Wobei: Weniger als unter Löw geht ja auch nicht mehr.

Contra: Es braucht keinen Umbruch, sondern eine richtige Anleitung

Von Filippo Cataldo

Man kann, man muss sogar Joachim Löw und der Nationalmannschaft bei dieser EM viel vorwerfen. Aber sicher nicht, dass der Bundestrainer die falschen Spieler nominiert und dass die Chemie innerhalb der Mannschaft nicht gestimmt hätte.

Außer Jerome Boateng und Max Kruse hat Löw die besten deutschen Spieler zu seinem letzten Abenteuer mitgenommen. Ein richtiger offensiv denkender Rechtsverteidiger wie Ridle Baku und ein kreativer Dribbler wie Florian Wirtz hätten dem Team sicher auch gut zu Gesicht gestanden, aber pandemiebedingt mussten sie beinahe gleichzeitig die U21 zum Titel führen (und hätten auch sonst erst einmal aufgestellt werden müssen von Löw - frag nach bei Jamal Musiala).

Diese Mannschaft braucht also keinen personellen Umbruch, sondern eine Idee und die richtige Anleitung.

Die DFB-Elf ist nach dem zweiten enttäuschenden Turnier hintereinander nicht im Mittelmaß angelangt, weil die Spieler mittelmäßig wären, das Team nicht "erwachsen" genug (da irrt Löw gewaltig), Deutschland nicht genügend Talente hätte (da liegt Bierhoff falsch) oder die Gegner in diesem Turnier stärker waren.

DFB-Team: Es mangelte nicht am Talent

In der Summe ihrer Einzelteile sind (waren) nur die Kader von Frankreich und vielleicht noch Spanien sowohl in der Breite, als auch in der Spitze qualitativ noch etwas besser aufgestellt als das DFB-Team. Und viel hat nicht viel gefehlt, dass sich auch Spanien dem Klub der vorzeitig Gescheiterten angeschlossen hätte.

Frankreich, Portugal und Deutschland sind draußen, weil sie von ihren Trainern in Ketten gelegt wurden, weil sie generell uninspiriert und ideenlos spielten, weil sie zu passiv waren, ihre Außenverteidiger nicht ordentlich zurück rückten, weil sie keine Offensivstrategie hatten und sich durchmogeln wollten.

Doch darauf zu hoffen, dass der Turniermannschaftsgeist einen schon umarmen wird, das funktioniert in diesem Turnier nicht (außer vielleicht für einen krassen Außenseiter wie die Ukraine) - und das ist auch gut so.

Dänemark etwa steht sicher nicht nur im Viertelfinale, weil das Team nach der tragischen Herzattacke von Christian Eriksen noch enger zusammengerückt ist. Sondern, weil da Könner am Werk sind, die von einem für sie passenden Könner angeleitet werden und weil sie alle genau wissen, was sie tun.

Hansi Flick hat schon beim FC Bayern München bewiesen, dass er sehr guten Könnern sofort dabei helfen kann, ihre PS auch auf die Straße zu bringen. Ähnliches muss ihm demnächst auch als Bundestrainer gelingen. Als Kopf einer Mannschaft, die im Wesentlichen aus den gleichen Bestandteilen bestehen wird, aber ein anderes Gesicht zeigen muss.

Das EM-Viertelfinale im Überblick:

DatumUhrzeitTeam 1Team 2Spielort
02.07.202118:00SchweizSpanienSt. Petersburg
02.07.202121:00BelgienItalienMünchen
03.07.202118:00TschechienDänemarkBaku
03.07.202121:00Sieger AF 8Sieger AF 7Rom