2016, 2018 und nun auch 2021: Vladimir Petkovic führte die Schweizer nach den letzten Europa- und Weltmeisterschaften auch in seinem dritten Großturnier an der Seitenlinie ins Achtelfinale.
Seit seiner Amtsübernahme von Ottmar Hitzfeld im Sommer 2014 hat der 57-Jährige damit vorzeigbare Erfolge vorzuweisen. Der ehemalige Bayern-Coach führte die Schweizer zwar bei der WM 2014 ebenfalls in die Runde der letzten 16, scheiterte jedoch 2010 in der Gruppenphase und bei der EM 2012 bereits in der Qualifikation.
Zudem ist Petkovic mit einem Punktedurchschnitt von 1,80 aus bislang 76 Länderspielen der erfolgreichste Nationaltrainer der Schweizer Verbandshistorie, während Hitzfeld auf 1,77 Punkte kommt.
Gegen Frankreich könnte Petkovic noch mehr Geschichte schreiben. Gelingt seiner Elf in der Runde der letzten 16 gegen den Turnier-Mitfavoriten die Sensation, stünde die Nati erstmals in einem EM-Viertelfinale.
Trotz der blanken Zahlen sucht der gebürtige Jugoslawe bei den Schweizern allerdings vergeblich nach Akzeptanz und man wird das Gefühl nicht los, dass sich dies selbst im Falle eines historischen Weiterkommens nicht ändern würde.
Seit seinem ersten Tag steht Petkovic unter Beobachtung. Die Gründe hierfür sind allerdings weniger sportlicher Natur.
Petkovics erfolglose Suche nach Anerkennung
"Vladimir ist ein höflicher und intelligenter Mensch", beschreibt ihn Lazio-Sportdirektor Igli Tare, der Petkovic 2012 als Cheftrainer für die Römer holte, im Gespräch mit SPOX und Goal: "Gleichzeitig ist er ist sehr ruhig und zurückhaltend."
Ebenjene Zurückhaltung wurde Petkovic in der Vergangenheit vor allem mit Blick auf seine Medienpräsenz bei der Bewertung zum Verhängnis. Zu unnahbar sei er in seinen Auftritten, zu wortkarg in seinen Aussagen. Der Schweizer Blick titelte hinsichtlich der fehlenden Einblicke in Petkovics Privatsphäre einst: "Vlado, mach das Fenster auf!".
Dabei scheint seine Punkteausbeute nicht von großer Bedeutung zu sein. Petkovic sieht sich stets den Vergleichen mit seinen allseits beliebten Vorgängern Hitzfeld und Jakob "Köbi" Kuhn ausgesetzt.
Vergleiche mit Hitzfeld seien zwar legitim, allerdings "nur auf der Nationalmannschaftsebene. Auf Klubebene ist das nicht möglich. Hitzfeld ist eine Legende, das kann man nicht vergleichen", ergänzt Tare.
Als Xherdan Shaqiri 2019 aufgrund von Motivationsproblemen von einer Länderspielreise absah und Nati-Liebling Valon Behrami zurücktrat, weil er sich von Petkovic ausgemustert fühlte, war der Trainer stets das erste und einzige Zielobjekt der medialen Kritik.
"Es ist normal, dass die Fans immer mehr verlangen, wenn ein Trainer so lange im Amt ist", betont Tare, springt Petkovic jedoch zur Seite: "Man darf ihn aber ausschließlich an den Ergebnissen messen - und die waren für Schweizer Verhältnisse bislang sehr gut." Jeder Trainer habe "seine Art und Weise des Umgangs mit der Öffentlichkeit. Wenn es hart auf hart kommt, muss er sich natürlich als Protagonisten darstellen. Das Wichtigste ist jedoch, dass die Kommunikation mit der Mannschaft stimmt."
"Wird nicht bezahlt, um gutes Deutsch zu sprechen"
Es sind nicht nur die Auftritte in der Öffentlichkeit, die zahlreichen Anhängern missfallen, gerade der deutschsprachige Teil der Schweiz kritisiert Petkovics unverkennbaren Balkanakzent.
"Ich habe schon gemerkt, dass es einige Leute stört, dass ich nicht perfekt Deutsch spreche. Gerade in den Leserkommentaren. Aber solche Leute sind rassistisch mit sich selbst und haben vielleicht keine gute Erziehung genossen", sagte Petkovic, der Ende der 1980er-Jahre in die Schweiz kam und vor allem im italienischsprachigen Teil der Alpenrepublik lebte, einst im Gespräch mit dem Blick. Dabei spricht der frühere Mittelfeldspieler neben Kroatisch, seiner Muttersprache, auch Italienisch, Französisch, Deutsch sowie ein wenig Russisch und Spanisch.
"Er wird nicht bezahlt, um gutes Deutsch zu sprechen, sondern um ein guter Trainer zu sein", betont Tare. Ohnehin sei das Vertrauen des Verbandes und der Mannschaft wesentlich wichtiger. "Wenn man sieben Jahre Trainer der Schweiz ist, zeigt es, dass das Vertrauen da ist", erklärt der 47-Jährige, der einst für den Karlsruher SC und den 1. FC Kaiserslautern in der Bundesliga spielte: "Er hat sich für alle großen Turniere qualifiziert, er steht also nicht umsonst an der Seitenlinie."
"Sobald ich einen Neuen habe, muss der Jugoslawe weg"
Die Beziehung zwischen Petkovic und er Schweiz ist eine, die schon mit seinen ersten Schritten auf Schweizer Boden von zahlreichen Hindernissen geprägt war. Sein Pfad zum Nationaltrainer gleicht einer Achterbahnfahrt, auf der Petkovic ungewöhnliche Umwege nahm.
In St. Gallen erhielt der frühere Offensivspieler einst nach einem Probetraining aufgrund von großer Konkurrenz keinen Vertrag, beim FC Chur war der Verbandspräsident mit der Verpflichtung des Rechtsfußes alles andere als begeistert.
"Sobald ich einen Neuen habe, muss der Jugoslawe weichen! Er ist nicht der angepriesene Goalgetter - leider hat mich sein Spielervermittler gehörig reingelegt", zitierte ihn damals die Bündner Zeitung.
Petkovic: Vom Sozialarbeiter zum Aufstiegstrainer
Als Profi konnte Petkovic in der Schweiz nie richtig Fuß fassen, um sich und seine Familie über Wasser zu halten, hielt er Ausschau nach einem zweiten Standbein.
Ende der 1990er-Jahre wurde er in einem Reinigungsinstitut parallel Teamleiter, später arbeitete er als Lehrer für Arbeitssuchende. Zwischenzeitlich stand Petkovic mehrmals ohne Zweitbeschäftigung da, ehe er als Sozialarbeiter bei der Caritas einstieg. Nebenbei fungierte er als Spielertrainer bei der AC Bellinzona, die er nach seinem Karriereende 1999 im Sommer 2008 in die Schweizer Super League führte.
Über die Young Boys Bern, Samsunspor, den FC Sion und Lazio kam Petkovic 2014 zum Schweizer Verband.
Lässt Petkovic seine Kritiker verstummen?
Gerade als nach dem Unentschieden gegen Wales (1:1) und der Niederlage gegen Italien (0:3) das EM-Aus in der Gruppenphase drohte, kamen sie wieder auf, die Stimmen gegen Petkovic. "Petkovic raus", "die Schweiz braucht neuen Wind", hieß es teils auf Twitter.
Auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Frankreich gab sich Petkovic ob der scharfen Kritik gelassen. "Ich bin das seit sieben Jahren gewohnt", erklärte er: "Ich habe mir ein bisschen Vaseline auf den Kopf gestrichen, so konnte das Wasser ablaufen. Ich spüre nichts."
Der Schweizer Verband setzte bereits Anfang vergangenen Jahres ein Zeichen und verlängerte Petkovics ursprünglich bis zum Ende der EM laufenden Vertrag vorzeitig bis Dezember 2022.
Heute Abend werden die Kritiker jedoch wieder ganz genau hinsehen. Man darf gespannt sein, wie die Reaktionen ausfallen, sollte Petkovic Historisches erreichen.