Zum Rücktritt von Toni Kroos: Der wichtigste DFB-Spieler seit Lothar Matthäus

Filippo Cataldo
02. Juli 202119:36
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Toni Kroos ist seit mehr als einem Jahrzehnt weltklasse, das Image des "Querpass-Toni" konnte er in Deutschland dennoch nie ablegen. Das liegt mehr an uns Zuschauern als an ihm. Eine Verneigung zum Rücktritt des letzten großen Strategen.

Die Einschätzung war so präzise wie eigentlich jeder Pass von Toni Kroos. Der sei ein "Mentalitätsmonster. Denn egal, wie es steht, er spielt immer gleich", sagte Christoph Kramer, als schlagfertiger und sachkenntlicher Fußballerklärer im ZDF neben der großartigen ARD-Expertin Almuth Schult die TV-Entdeckung dieser EM, also am Tag vor dem 106. und letzten Länderspiel seines 2014er-Weltmeister-Kameraden.

Eine Aussage, die für Schnappatmung gesorgt haben dürfte bei Kroos' Hatern und Fanboys gleichermaßen. "Spielt immer gleich" kann ja, wenn man das von Kramer vorangestellte, sehr fußballdeutsche Wort "Mentalitätsmonster" partout ignorieren wollte, als etwas vornehmere und weniger griffige Variante von "Querpass-Toni" interpretiert werden.

Das Verhältnis großer Teile der deutschen Fußball-Öffentlichkeit zu Toni Kroos ist seit jeher ähnlich unterkühlt wie sich Kroos bisweilen in den immer gleichen Vor-Spiel-Interviews gibt. Kroos sei ein Stehgeiger, laufe zu wenig, wage kein Risiko, seine Pässe gingen zu oft zur Seite, statt steil nach vorne. Spielt immer gleich, "Querpass-Toni" eben.

Das ist alles natürlich grandioser Unsinn.

Toni Kroos: Wer wurde sonst viermal CL-Sieger?

Toni Kroos ist einer der größten Strategen seiner Generation, seit Xavi und Andrea Pirlo sich als Trainer versuchen, ist er vielleicht sogar der letzte echte Metronom im Weltfußball. Sieben Jahre als Protagonist bei Real Madrid und davor sieben Jahre beim FC Bayern sind Argumente genug. Die nur positiven Urteile von Groß-Trainern wie Jupp Heynckes, Pep Guardiola, Carlo Ancelotti, Zinedine Zidane und Joachim Löw tun ihr Übriges. Es ist ja nicht so, dass die Maestros Kroos nur deswegen immer aufgestellt hätten, weil sie keine Alternative gehabt hätten, sie von Kroos erpresst worden wären oder sie generell ein Fetisch für Sicherheitspässe haben würden.

Weltmeister und viermal Champions-League-Sieger als Spieler wurden auch nicht Franz Beckenbauer, Günter Netzer, Bernd Schuster, Matthias Sammer, Mario Basler, Thomas Häßler, Andreas Möller, Bastian Schweinsteiger und schon gar nicht Stefan Effenberg, Michael Ballack, Mehmet Scholl oder Lothar Matthäus.

Mehr geliebt oder mindestens mehr respektiert als Kroos wurden sie aber alle. Und das liegt nicht daran, dass in Deutschland nur Grätscher, Malocher, Auf-den-Ball-Treter, Dazwischenhauer und Cheffes respektiert werden würden; Bastian Schweinsteiger musste zwar auch erst unter dem Auge bluten, um auch außerhalb seines langjährigen Allianz-Arena-Gärtnerplatz-Kosmos zum Fußball-Gott zu werden. Aber natürliche Lichtgestalten und geniale Dribbler und dynamische Torjäger werden schon auch geliebt in Deutschland.

Mit Strategen, die den Fußball vor allem spielen und das Spiel und sich selbst ansonsten nicht allzu wichtig zu nehmen scheinen, kann sich die breite Öffentlichkeit nicht so recht anfreunden.

Toni Kroos: Er macht Platz für eine andere Art des Mittelfeldchefs

Während des WM-Halbfinals 2006 stellte etwa Bela Rethy, wahrlich kein Ahnungsloser, Andrea Pirlo, schon damals ein Genie der Beiläufigkeit, dem ZDF-Publikum als "langweiligen Spieler" vor. In Italien und Spanien würde niemand auf die Idee kommen, Kroos als langweilig zu bezeichnen. Da schaut man ihm zu und genießt.

Toni Kroos hat das Spiel der DFB-Elf in den vergangenen elf Jahren mehr geprägt als jeder andere Spieler in dieser Zeit. Seit Lothar Matthäus war kein Spieler für die deutsche Nationalmannschaft so wertvoll und stilprägend wie er.

Bei der EM entdeckte Kroos sogar den Balldieb in sich. Sein letztes Turnier war natürlich trotzdem maximal mittelmäßig, sein vorletztes war natürlich maximal enttäuschend. Doch das ändert nichts an dieser Einschätzung. Würde nur der letzte Eindruck zählen, was müsste man erst über DFB-und Kroos-Chefkritiker Lothar Matthäus (EM 2000!) sagen?

Kroos' Rücktritt erfolgte freiwillig und ohne Druck, man darf ihm uneingeschränkt glauben, dass er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen möchte. Kroos hätte auch in den kommenden Jahren noch eine wichtige Rolle in der DFB-Elf spielen können, auch der neue Bundestrainer Hansi Flick hätte seine Mannschaft wohl mit Kusshand um den Metronomen Kroos herum aufgebaut.

Aber natürlich macht Kroos, wie er in der Bild selbst ankündigt, nun auch den Weg frei für einen anderen Mittelfeldchef und eine andere Art des Leaders: "Dennoch sind jetzt genug andere Spieler, wie eben zum Beispiel Jo Kimmich da, die die Führung im Mittelfeld für die Zukunft übernehmen können."

Toni Kroos: Leistungsdaten im Verein

VereinPflichtspieleToreVorlagen
Bayer Leverkusen481013
FC Bayern München2052449
Real Madrid3202280