Thesen zu Niederlande - Österreich: Denzel Dumfries ist der heimliche Star des Turniers

Nino Duit
18. Juni 202110:59
Denzel Dumfries ist der heimliche Star des Turniersgetty
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Die Niederlande haben in Amsterdam völlig verdient mit 2:0 gegen Österreich gewonnen und sich vorzeitig für das Achtelfinale qualifiziert. Entscheidend waren der heimliche Star des Turniers, ein defensiver Stabilisator und Österreichs Offensivprobleme. Drei Thesen zum Spiel.

Dumfries ist bisher der heimliche Star des Turniers

Für Denzel Dumfries war das Prozedere nichts Neues: Erst die Durchsage über die Stadionlautsprecher, dann die bläu- und grünlich schimmernde Trophäe mit rotem Stern, gestiftet von einer lokalen Brauerei aus Amsterdam. Wie schon nach dem 3:2-Auftaktsieg gegen die Ukraine wurde Dumfries auch nach dem 2:0 gegen Österreich zum offiziellen Spieler des Spiels gekürt.

Er hat also 100 Prozent aller verfügbaren Brauerei-Preise abgeräumt und war passend dazu auch an 100 Prozent aller Treffer seiner Mannschaft beteiligt. Gegen die Ukraine leitete er die ersten beiden ein, ehe er das entscheidende selbst erzielte. Gegen Österreich holte Dumfries im Zweikampf mit David Alaba den Elfmeter heraus, den Memphis Depay zum 1:0 verwandelte (11.), und schob später zum 2:0 ein (67.).

Nach zwei Spielen lässt sich festhalten: Der international eher unbekannte Dumfries ist bisher der heimliche Star des Turniers. "Wir sind wirklich überrascht, dass er so gut spielt", sagte Kapitän Georginio Wijnaldum und erklärte: "In unserem System hat er mehr Freiheiten, nach vorne zu gehen."

Bei der PSV Eindhoven spielt Dumfries unter Roger Schmidt in einem 4-4-2-System als Rechtsverteidiger, in der Nationalmannschaft ist er wohl größter Profiteur der umstrittenen Taktik-Umstellung von Trainer Frank de Boer. Er hatte vor dem Turnierstart bekanntlich das in den Niederlanden fast schon heilige 4-3-3 durch ein 3-5-2 ersetzt, wodurch Dumfries auf der rechten Seite mehr defensive Absicherung hinter und keinen Flügelstürmer vor sich hat. Kurzerhand nutzte er die Chance und machte sich selbst zu einem Flügelstürmer.

Mit einer Mischung aus Bestätigung und Sorge dürfte Dumfries' Entwicklung Sportvorstand Hasan Salihamidzic vom FC Bayern München verfolgen. Angeblich hinterlegte er bereits vor Turnierstart bei dessen Berater Mino Raiola sein Interesse, muss sich jetzt aber wohl auf den einen oder anderen Mitbieter einstellen. Verhandlungen mit PSV werden Salihamidzic offenbar immerhin erspart bleiben: Dem Vernehmen nach hat Dumfries eine Ausstiegsklausel in Höhe von 15 Millionen Euro.

De Ligt macht aus den Niederlanden einen Mitfavoriten

Nach dem Sieg gegen Österreich ist klar: Die Niederlande können beides. Sie können nicht nur kreativ angreifen, sondern auch konzentriert verteidigen. Zum Auftakt gegen die Ukraine glänzte die Mannschaft von Trainer Frank de Boer vor allem im Offensivspiel, ließ aber gleichzeitig zu viele gegnerische Chancen zu. Gegen Österreich war es genau umgekehrt: defensiv tadellos, offensiv ausbaufähig. Treffend sprach Trainer de Boer von einem "gegenteiligen Spiel".

Auf wen die neue defensive Stabilität zurückzuführen war, ist recht einfach zu beantworten: Matthijs de Ligt. Der 21-jährige Innenverteidiger von Juventus Turin hatte das erste Spiel wegen Leistenproblemen verpasst, kehrte gegen Österreich aber für das Ajax-Talent Jurrien Timber in die Startelf zurück und lieferte zwischen Stefan de Vrij und Daley Blind direkt eine Abwehrchef-würdige Leistung ab.

"Ich hatte nicht das Gefühl, dass Österreich viele Chancen hatte", analysierte de Ligt. Getäuscht hat ihn das Gefühl nicht, hauptverantwortlich dafür war er selbst, denn wenn es mal gefährlich zu werden drohte, dann blockte oder grätschte er die Gefahr einfach weg. Die Zahlen zur Gala: kein Fehlpass, kein Ballverlust, 80 Prozent Zweikampfquote, meiste klärende Aktionen. Mit einer Mischung aus Rechtfertigung und Verzweiflung sagte Österreichs Offensivmann Christoph Baumgartner: "Wir haben nicht gegen irgendwen gespielt. Matthijs de Ligt ist einfach ein Weltklasse-Verteidiger." Mit Virgil van Dijk verfügen die Niederlande übrigens über einen weiteren Abwehrspieler von diesem Kaliber, er fehlt aber verletzt gänzlich im Kader.

De Ligts Rückkehr verzückte unterdessen vor allem Trainer de Boer, der ihm ein "großartiges Spiel" attestierte: "Defensiv waren wir viel besser als gegen die Ukraine. Ich bin sehr froh, wie wir uns da gesteigert haben." Mit der Erinnerung an die Offensiv-Gala gegen die Ukraine im Hinterkopf, macht der neue Stabilisator de Ligt die Niederlande zu einem Mitfavoriten. Nun kommt es auf die richtige Mischung an.

Österreichs Offensivprobleme kann nur Arnautovic kaschieren

Hörte man Christoph Baumgartner und Trainer Franco Foda nach dem enttäuschenden Auftritt gegen die Niederlande über die Offensivprobleme Österreichs sprechen, dann konnte man erahnen, warum Österreich Offensivprobleme hat. Es wirkte nämlich ein bisschen so, als wären die Ideen wahlweise nicht präzise genug ausgearbeitet und vorgetragen, mangelhaft einstudiert oder falsch ausgeführt worden.

Vorneweg: Im Vergleich zum 3:1-Sieg gegen Nordmazedonien ersetzte Michael Gregoritsch, der das so wichtige Jokertor zum 2:1 geschossen hatte, den eher blassen Sasa Kalajdzic. "Wir wollten mit Marcel (Sabitzer) und Christoph (Baumgartner) mit zwei Zehnern agieren. Michael (Gregoritsch) sollte die Tiefe halten, ist aber leider zu oft ins Mittelfeld gekommen", sagte Foda.

Auf dem Platz war die geplante Raumaufteilung tatsächlich nur teilweise zu erkennen. Immer wieder agierten Baumgartner und Gregoritsch auch nebeneinander an vorderster Front und ließen sich auf der verzweifelten Suche nach Spielanteilen von dort aus fallen - unpassenderweise gerne synchron. "Es war oft so, dass der Gregerl und ich gleichzeitig auf die Zehnerposition gekommen sind", klagte Baumgartner. Geplant war das nicht, phasenweise hieß es deshalb aber: drei Zehner, kein Neuner.

Wie bei etlichen Spielen unter dem eher defensivorientierten und deshalb auch vielkritisierten Foda war ein schlüssiges Offensivkonzept kaum zu erkennen. Abgesehen von einigen Minuten in der zweiten Halbzeit wirkte Österreich ungefährlich, 100-prozentige Torchancen gab es keine. Lauschte man den Ausführungen der Beteiligten, fehlte wahlweise "der letzte Pass" (Aleksandar Dragovic), "die Entschlossenheit" (Foda) oder "die Tiefe" (Baumgartner, Foda). "Wir haben es nicht gut zu Ende gespielt", sagte Foda.

In der kurzen Zeit bis zum entscheidenden letzten Gruppenspiel am Montag gegen die Ukraine wird es kaum möglich sein, ein schlüssiges Offensivkonzept zu erarbeiten. Kurzfristig kaschieren kann die Probleme wohl nur der gegen die Niederlande gesperrte Marko Arnautovic. Schon beim 3:1-Sieg gegen Nordmazedonien verlieh er dem österreichischen Spiel nach seiner Einwechslung mit seiner individuellen Klasse, seiner Physis, seiner Dynamik und seinem Zug zum Tor eine neue Dimension.