Infernos, Katastrophen, Herzinfarkte

David Kreisl
06. April 201622:50
Jürgen Klopp verabschiedete sich im Sommer 2015 von den Fans von Borussia Dortmundgetty
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Sieben Jahre war Jürgen Klopp Coach von Borussia Dortmund und führte den BVB in eine der erfolgreichsten Ären seiner Geschichte. Am Donnerstag (21.05 Uhr im LIVETICKER) kehrt er mit seiner neuen Liebe FC Liverpool in den Signal Iduna Park zurück. SPOX erinnert an die emotionalsten Momente des Pöhlers im Pott: Klatschen für die Bayern, ausbrechende Vulkane und tränenreiche Abschiede.

26. Februar 2011: FC Bayern - Dortmund 1:3

Schläge ins Gesicht

Ende Februar 2011 reist der BVB nach München. Als Tabellenführer, als designierter Meister, als everbody's darling des deutschen Fußballs. Jürgen Klopp hatte Schwarzgelb in seinem dritten Jahr im Pott zu einer Ausnahmemannschaft geformt, die so viel schneller, schöner und besser spielte als der dröge FC Bayern unter Louis van Gaal - und der nördlich der Donau geschlossen die Sympathien im Meisterrennen zuflogen.

Das war bei 13 Punkten Vorsprung auf den Rekordmeister - und zehn auf Leverkusen - schon so gut wie entschieden. Trotzdem wollte man sich das im Süden nicht gefallen lassen. National unterlegen sein? Den Thron räumen? Karl-Heinz Rummenigge kündigte ein "Imagespiel" an, Uli Hoeneß polterte drauf los: "Wir schlagen Dortmund mit mindestens zwei Toren Unterschied!"

Daraus wurde bekanntlich wenig. Fernsehsender in über 200 Ländern zeigten, wie der BVB an diesem Tag auf fremdem Platz sein Meisterstück ablieferte und die Bayern mit seinem Umschaltspiel überfiel. Lucas Barrios, Nuri Sahin und Mats Hummels trafen beim ersten Dortmunder Sieg in München seit 1991. Ein Schlag ins Gesicht der Münchner Obrigkeit, die sich spätestens jetzt eingestehen musste, wie klar man nicht mehr die Nummer eins im Lande ist.

Auch Klopp entkam der Allianz Arena nicht ohne Schaden: Bei der Siegerparty nach Abpfiff verpasste Sahin seinem Coach aus Versehen diverse Schrammen und zertrümmerte dessen Brille. Aber: "Ich bin Profi und habe immer eine Ersatzbrille dabei. Und ich muss feststellen, dass mir die neue Brille deutlich besser steht. Von daher hat Nuri auch hier alles richtig gemacht."

30. April 2011, Dortmund - Nürnberg 2:0

JA! JA! JA!

"2:0 für Köln! JA! JA! JA!" Untermalt von einem ausrastenden Signal Iduna Park brüllte Stadionsprecher Norbert Dickel am 32. Spieltag den Zwischenstand aus dem Rheinderby ins Mikrofon. Zur selben Zeit führte der BVB mit 2:0 gegen Nürnberg - die erste schwarzgelbe Meisterschaft seit neun Jahren war dank des Patzers von Leverkusen perfekt!

Die endgültige Krönung einer Saison, die Präsident Reinhard Rauball als "Märchen" beschrieb. Barrios und Robert Lewandowski schossen den Sieg heraus, in einer überemotionalen Schlussphase wechselte Jürgen Klopp auch noch Dede ein. Es war nach 13 Jahren der letzte Auftritt der BVB-Ikone.

Klopp selbst wurde derweil aus der Liga mit Glückwünschen überschüttet, wurde durchtränkt und biergeduscht mit Sprechchören von der Südtribüne gefeiert, gab sich selbst aber zunächst als Spaßbremse. "Ich habe einen Schluck Bier getrunken. Ich bin einfach glücklich, aber ich dachte, es fühlt sich anders an. Irgendwie euphorischer, aber das kommt vielleicht noch", gab ein fix und fertiger Coach zu Protokoll. Später zeigte er sich dann aber doch "zu allem bereit".

12. Mai 2012: Dortmund - FC Bayern 5:2

Das Inferno von Berlin

Das Berliner Olympiastadion erlebte an diesem Abend im Mai 2012 eines der, wenn nicht sogar das denkwürdigste DFB-Pokal-Finale der Geschichte. Und Jürgen Klopps Truppe fügte den Bayern eine der, wenn nicht sogar die größte Demütigung ihrer Geschichte zu. Seit zwei Jahren führten die Schwarzgelben den Rekordmeister jetzt an der Nase herum, wurden zweimal Meister, gewannen vier direkte Duelle hintereinander - und schenkten den Münchnern an diesem Abend im Mai bei Sieg Nummer fünf, was noch keiner Mannschaft je gelungen war, fünf Tore ein.

Vieles blieb von diesem legendären Spiel in Erinnerung: Der Dreierpack von Robert Lewandowski etwa, oder Philipp Lahms Aussagen, der FC Bayern sei die bessere Mannschaft gewesen. Unter dem Strich war es das perfekte Spiel des BVB, das maximal brutale Ausnutzen einer erbärmlichen Münchner Defensive mit einer beeindruckenden Unbekümmertheit und Kaltschnäuzigkeit, die Klopps Mannschaft das erste Double in 103 Jahren Vereinsgeschichte einbrachte.

"Das ist jetzt definitiv nicht in Worte zu fassen, was hier abläuft", rang Letzterer nach Abpfiff um Erklärungen und nannte es den "außergewöhnlichsten Moment in unserer Geschichte". Wieder hatte er gesiegt, der aufopferungsvolle, spektakuläre Stil über den Koloss aus München. Bayerns Alptraum-Gegner hatte wieder zugeschlagen. Die nationale Dominanz? Schon lange futsch.

9. April 2013: Dortmund - Malaga 3:2

"Kurz vorm Herzinfarkt"

Jürgen Klopp sagte kurz nach Abpfiff, er werde "diesen Abend nie vergessen". Mit zerstrubbelten Haaren, beschlagener Brille und Fassungslosigkeit im Blick sagte er das, nachdem er auf dem Rasen gar nicht mehr damit fertig wurde, seine Spieler anzuspringen, anzuschreien und zu umarmen. Nach dem wohl wildesten und dramatischsten Spiel seiner Trainerkarriere. "Wir waren kurz vorm Herzinfarkt."

Selten haben Sportereignisse die Superlative, die man ihnen aufbrummt, vollumfänglich verdient. Doch hatten die Zuschauer im Signal Iduna Park an diesem Abend tatsächlich das viel zitierte "Wunder von Dortmund" erlebt. Nach einem torlosen Remis im Hinspiel lag der BVB im Viertelfinale der Champions League gegen Malaga nach Ende der regulären Spielzeit mit 1:2 zurück. Zwei Tore mussten unrealistischerweise her. Und zwei Tore kamen. Weil dieses Spiel irre war, nicht von diesem Planeten, nicht zu begreifen. Ein Wunder eben.

In Minute eins der Nachspielzeit versenkt Marco Reus die Kugel im Kasten der Gäste aus Spanien. Zwei Minuten später flankt Robert Lewandowski aus dem linken Halbfeld. Vier Dortmunder stehen klar im Abseits. Aber die Fahne bleibt unten. Wieder kommt Reus an den Ball, dessen Querpass stolpert Schieber Richtung Tor. Santana schiebt den Ball von der Linie über selbige. Er steht im Abseits. Aber die Fahne bleibt unten. Fußballgeschichte ist geschrieben und Dortmund, das "tot" war (Aki Watzke), nicht rausgeflogen. "Mit dieser Moral", sagte Klopp, "haben wir das nicht zugelassen".

24. April 2013: Dortmund - Real Madrid 4:1

Großer Sieg im Gefühlschaos

Eine Dampfwalze überrollt Real. Ein deutsches Imperium mit polnischem Panzer. Dortmund züchtigt Real. Lewandowski zermalmt Madrid. Es gibt kein Gegengift: Gut zwei Wochen nach dem Irrsinn des Malaga-Spiels überschlägt, ja verneigt sich die internationale Presse vor Jürgen Klopp und seiner Mannschaft. Der Grund? Der große Underdog im Champions-League-Halbfinale hatte soeben die Königlichen aus Madrid mit 4:1 gedemütigt.

"Das war ein unglaublicher Abend, das war Fußball total, das war brutal", pries Klopp seine Mannschaft. Der Mann des Abends war dabei recht leicht auszumachen, so gingen alle Treffer des BVB auf das Konto von Robert Lewandowski.

Ein Meilenstein in der Geschichte des BVB unter Klopp. Und ein Sieg, mitten hinein ins Gefühlschaos eines Klubs unter Schock. So wurde tags zuvor der Wechsel von Mario Götze zu den Bayern bekannt. "Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist ungünstig", hatte Klopp sichtlich angeschlagen und persönlich getroffen auf der Pressekonferenz vor dem Real-Spiel gesagt, die freilich zur Frage-Runde über den spektakulären Wechsel ausartete. "Es hätte noch schlechtere Momente gegeben. Vier Stunden vor dem Spiel zum Beispiel. Aber auf einer Skala von eins bis zehn sind wir bei neun angekommen."

25. Mai 2013: Dortmund - FC Bayern 1:2

Die Katastrophe von Wembley

Ein Jahr, eine Woche und sechs Tage war es her, da hatte der BVB die Bayern im DFB-Pokalfinale gedemütigt. Ein Jahr, eine Woche und sechs Tage später standen sich beide Teams erneut gegenüber. Die Bühne: Eine noch größere. Der Pokal: Ein noch größerer. Das Endspiel der Königsklasse im Wembley.

Mit dem verletzten Bald-Münchner Mario Götze auf der Tribüne gingen die Schwarzgelben in das größte Spiel unter Jürgen Klopp. Der war mit seinen Mannen in der Liga zwar 25 Punkte hinter den Münchnern zurückgeblieben und musste sich dem Rekordmeister auch im DFB-Pokal geschlagen geben, hatte durch die furiosen internationalen Auftritte aber mit dafür gesorgt, dass man in Fußball-Europa einen Machtwechsel herbeiredete. United und Arsenal? Barca und Real? Das war gestern. Jetzt heißt es: Bayern gegen Dortmund.

Die 93 Minuten in der englischen Hauptstadt begeisterten. "Ein dramatisches Spiel. Ein enges Spiel", wie Klopp befand. Und ein kontrovers diskutiertes Spiel. Franck Riberys Ellenbogenschlag gegen Robert Lewandowski, Robert Lewandowskis Tritt gegen Jerome Boateng, Dantes Tritt gegen Marco Reus - Schiedsrichter Nicola Rizzoli boten sich viele berechtigte Möglichkeiten, den Roten Karton zu zücken. Getan hat er es nicht.

"Die Vollkatastrophe wäre gewesen, wenn sie uns aus dem Stadion schießen", sagte Klopp also nach dem Spiel, in dem Arjen Robben den Ball eine Minute vor dem Ende an Roman Weidenfeller zum verdienten Münchner Sieg ins Tor gestreichelt hatte. "Der Moment ist eine Katastrophe - aber am Ende ist es wurscht." Respekt und Sympathien flogen der Mannschaft ohnehin von überall her zu. Nicht nur vom Coach: "Meine Mannschaft hat ein großartiges Spiel gemacht."

18. September 2013: Neapel - Dortmund 2:1

Der Vulkan bricht aus

Die neue Champions-League-Saison nach dem verlorenen Finale startete verheerend. 1:2 hieß es zum Auftakt im San Paolo gegen Napoli, Roman Weidenfeller holte sich eine Rote Karte, Abwehrchef Mats Hummels musste verletzt ausgewechselt werden. Für den größten - und hässlichsten - Aufreger des Abends sorgte jedoch Jürgen Klopp persönlich.

Wutentbrannt darüber, dass der Schiedsrichter den wegen einer Platzwunde behandelten Neven Subotic erst zu spät auf den Platz ließ und dann nicht abwartete, dass der Verteidiger rechtzeitig zur Ecke, die zum 0:1 führte, wieder bei seinem Gegenspieler war, stürmte Klopp in beängstigender Manier auf den vierten Offiziellen zu. Mit weit aufgerissenen Augen und gefletschten Zähnen bedrängte er in schockierender Weise den Referee und schrie ihn an - und musste nach einem wahren Vulkanausbruch nach einer halben Stunde des Feldes verwiesen auf die Tribüne.

Es war bei Weitem nicht der erste Ausraster des für seine Emotionen bekannten Klopps. Doch die Szene aus Süditalien schlug hohe Wellen. So hoch, dass nicht nur Klopp selbst, sondern auch Manager Michael Zorc am nächsten Tag via Pressekonferenz Stellung beziehen und sich entschuldigen musste. "Dieser letzte Moment mit dem vierten Schiedsrichter in Neapel, der geht überhaupt nicht", gelobte der Coach Besserung. "Den verzeihe ich mir auch nicht und das ist nichts, über das man hinwegsehen muss, überhaupt nicht." Klopp wurde für zwei internationale Spiele gesperrt.

15. April 2015: Rücktritts-PK

Das Erdbeben

Unter Bert van Marwijk krebste der BVB im Mittelmaß, unter Thomas Doll stürzte der Traditionsklub ab und geriet sogar kurzzeitig in Abstiegsgefahr. Erst mit Jürgen Klopp kam die Stabilität. Es kam die erste Meisterschaft seit neun Jahren, das erste Double der Klubgeschichte, ein Champions-League-Finale, ein rundum neuer BVB. Eine der kitschigsten Fußballgeschichten seit der jüngerer Geschichte war diese junge, sympathische und erfolgreiche Mannschaft. In Jürgen Klopps siebtem Jahr stand sie zur Winterpause auf dem letzten Tabellenplatz.

Am 15. April um 10.50 Uhr veröffentlichte die Bild einen Artikel auf ihrer Homepage: Jürgen Klopp tritt zurück. Um 13.33 Uhr startete in Dortmund eine Pressekonferenz. Hans-Joachim Watzke, weiß wie eine Wand und mit Tränen in den Augen, Michael Zorc und Klopp verkündeten das, was schon länger die Runde machte, was aber niemand wirklich erfassen konnte, was Fußballdeutschland wie ein Erdbeben durchschüttelte: Klopp wird seinen Vertrag auflösen. Nach der Saison ist Schluss.

Er habe nicht mehr das Gefühl, der "perfekte Trainer" zu sein. Der Verein sei ohne ihn besser dran als mit. "Wenn ich hiergeblieben wäre, hätten viele Dinge geändert werden müssen. Nun können viele Dinge so bleiben, wie sie sind", so Klopp, an den Watzke zum Abschluss einer denkwürdigen Pressekonferenz die Worte richtete: "Du kannst dir sicher sein, dass dir der ewige Dank aller Borussen zuteil wird."

23. Mai 2015: Dortmund - Werder 3:2

DANKE JÜRGEN

"DANKE JÜRGEN. Wir brauchen viele Jahre, um zu verstehen, wie kostbar Augenblicke sein können."

Nach einer beeindruckenden Rückrunde kletterte der BVB von Rang 18 auf sieben, mit einem 3:2 gegen Werder Bremen sicherte Klopp Klub und Nachfolger sogar noch das internationale Geschäft. Doch freilich verkam der Sport bei einem Klub der großen Emotionen und Gesten an diesem Mai-Nachmittag gänzlich zur Nebensache.

Sogar der letzte Auftritt von Kapitän Sebastian Kehl nach 314 Bundesligaspielen und 13 Jahren BVB rückte in den Schatten dessen, wie mehr als 80.000 Fans, Dortmunder und Bremer, Abschied nahmen vom Pöhler. Klopp ließ sich mit Tränen in den Augen von der Südtribüne feiern, schritt gleich doppelt durch ein Spalier aus Spielern und verschwand im Bauch des Signal Iduna Parks. Per Video-Botschaft, live wolle er sowas nicht mehr machen, richtete er seine Abschiedsworte an die Anhänger. "Ich nehme einen ganzen Sack voller positiver Erinnerungen mit". Und: "Der Verein hat eine großartige Zukunft vor sich."

Die Fans hatten ihm zu Beginn eine Gänsehaut-Choreographie geschenkt. Ihm, dem sie sieben unvergessliche Jahre, sensationellen Fußball und Momente für die Ewigkeit zu verdanken haben.

Da war zu lesen: "DANKE JÜRGEN. Wir brauchen viele Jahre, um zu verstehen, wie kostbar Augenblicke sein können."