Nach sechseinhalb Jahren bei Werder Bremen wechselte Zlatko Junuzovic im Sommer zurück in seine österreichische Heimat zu Red Bull Salzburg. Angebote aus der Premier League ließen ihn dabei kalt.
Vor dem Europa-League-Gruppenspiel gegen Rosenborg Trondheim (alle EL-Spiele LIVE auf DAZN) sprach der 55-malige Nationalspieler Österreichs im Interview mit Goal und Spox über seinen beschwerlichen Weg zum Profi, Besonderheiten des Systems bei den Salzburgern und die Beziehungen zum "Bruder" aus Leipzig.
SPOX/GOAL: Herr Junuzovic, für Ihren Traum von der großen Fußballkarriere mussten Sie schon früh einiges opfern. Schon mit zwölf Jahren haben Sie Ihre Familie verlassen, um nach Graz zu gehen. Wie haben Ihre Eltern damals reagiert?
Zlatko Junuzovic: Meine wirkliche Heimat haben meine Familie und ich schon viel früher im Bosnienkrieg verloren. Mit zwölf Jahren bin ich aber innerhalb Österreichs von Kärnten nach Graz gezogen. Meine Eltern so früh zu verlassen, war dennoch ein riesiger Schritt für mich. Damals habe ich in einer Gastfamilie bei meinem Trainer des Grazer AK gewohnt, hatte aber nach kurzer Zeit riesiges Heimweh und wollte zurück zu meiner Familie. Schließlich haben meine Eltern einen großen Teil dazu beigetragen, meinen Weg weiterzugehen und meinen Traum zu verwirklichen.
SPOX/GOAL: Sie haben dazu beigetragen, indem sie ebenfalls nach Graz gezogen sind.
Junuzovic: Richtig, meine Mutter hat ihren Job gekündigt und sich in Graz eine neue Stelle gesucht. Mein Vater und meine Schwester sind aber zunächst in Kärnten geblieben, bis meine Schwester ihr Studium abgeschlossen hatte. Für die ganze Familie bedeutete das, viel pendeln zu müssen. Wenn am Wochenende spielfrei war, hat mein Vater uns immer abgeholt und nach Kärnten gebracht. Zu meinen Spielen ist dann immer die komplette Familie nach Graz gekommen, um mich zu unterstützen. Über Jahre haben meine Eltern sehr viel geopfert, damit ich die Chance bekomme, Fußballprofi zu werden - wenn es gut läuft. Doch das war alles andere als sicher.
gettyJunuzovic: "Ich musste mir alles hart erarbeiten"
SPOX/GOAL: Doch im Endeffekt hat es geklappt.
Junuzovic: Dass ich es tatsächlich geschafft habe, war harte Arbeit für jeden von uns. Egal ob für mich, meine Schwester oder meine Eltern. Auch wenn ich beim GAK in der Jugend gespielt habe, hatte ich noch lange keinen Freifahrtschein, sondern musste mir alles hart erarbeiten. Jedes Jahr kamen mehr Talente dazu und es wurde stetig schwieriger, mitzuhalten. Ab dem 16. Lebensjahr habe ich gemerkt, dass es sehr eng ist. Rückblickend muss ich sagen, dass ich das Glück hatte, in den richtigen Zeiträumen meine Leistung abgerufen zu haben.
SPOX/GOAL: Von diesem Zeitpunkt an nahm Ihre Karriere rasant an Fahrt auf. Mit 17 debütierten Sie in der österreichischen Bundesliga, mit 18 für die Nationalmannschaft. Mit 24 dann der Wechsel nach Deutschland. Nun sind Sie nach sechseinhalb Jahren zurück in Österreich. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden?
Junuzovic: Für mich war es eine Grundsatzentscheidung, denn ich habe mir die Frage gestellt, wie ich mein Leben zukünftig gestalten will. In den Punkten Umgang, Sprache und Philosophie des Vereins hat bei Red Bull Salzburg einfach alles gepasst. Der Standard und die Bedingungen sind hier überragend. Da muss sich der Klub in Europa vor niemandem verstecken, weswegen hier auch erfolgreich gearbeitet wird. Bei der aktuellen Konstellation in Salzburg konnte ich nicht ablehnen. Es ist eine tolle Herausforderung, sich mit all diesen jungen, talentierten Spielern zu messen. Ich wusste von Beginn an, dass ich nicht alle Spiele über 90 Minuten machen werde, doch auch das hat mich gereizt.
SPOX/GOAL: Wie wichtig ist es für Sie, noch einmal Titel zu gewinnen?
Junuzovic: Das ist ein wichtiger Punkt. Ich will erfolgreich sein, oben mitspielen und Spiele gewinnen. Dazu will ich meinen Teil beitragen - nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz.
Junuzovic über die Unterschiede zwischen Bremen und Salzburg
SPOX/GOAL: Anders als Werder Bremen dominiert Red Bull Salzburg die heimische Liga.
Junuzovic: In Bremen waren die Voraussetzungen komplett anders. In dieser Saison konnte die Mannschaft fast zum ersten Mal komplett zusammengehalten werden. Zusätzlich wurden sogar noch hochkarätige Neuzugänge verpflichtet. Solche Investitionen hätte der Verein gerne früher tätigen können. Doch in dieser Saison ist Werder vorne dabei und ich hoffe sehr, dass Florian Kohfeldt die Mannschaft in dieser Tabellenregion halten kann. Bremen hätte sich die Europa League verdient.
SPOX/GOAL: Vor einigen Jahren haben Sie verraten, dass die Premier League Sie sehr reizen würde. Nun soll Brighton and Hove Albion interessiert gewesen sein. Warum haben Sie sich dennoch gegen einen Wechsel nach England entschieden?
Junuzovic: Natürlich habe ich mir immer wieder Gedanken über einen Wechsel in die Premier League gemacht, da es für mich die beste Liga der Welt ist. Ich kenne keinen Spieler, der sich nicht vorstellen könnte, dort zu spielen. In meiner Freizeit schaue ich mir die Premier League zwar sehr gern an, doch wenn man älter wird, kann man auch als Fußballer nicht mehr nur an sich denken. Ich habe jetzt eine Familie und muss auch sie in meine Entscheidungsfindung einbinden. Von klein auf war es mein größter Traum, Profi zu werden und in der deutschen Bundesliga zu spielen. Das habe ich geschafft, daher kann ich mehr als stolz auf meine bisherige Karriere sein. Zu diesem Zeitpunkt hat die Premier League einfach nicht in mein Leben gepasst.
SPOX/GOAL: Mit 31 Jahren waren Sie kein klassischer Red-Bull-Salzburg-Transfer. Warum hat der Klub Sie trotzdem verpflichtet?
Junuzovic: Neben mir gibt es noch zwei, drei andere ältere Spieler im Team, doch natürlich ist es meine Aufgabe, die Jüngeren auch in der Kabine ein bisschen zu unterstützen. Wirklich eingreifen muss ich aber noch nicht, denn die Jungs sind alle diszipliniert und arbeiten hart für ihren Traum. Auch auf dem Platz sind alle komplett motiviert. Und auch wenn die österreichische Liga teilweise belächelt wird - zehn Spiele in Serie zu gewinnen, ist nicht einfach. Das ist nur durch harte Arbeit möglich.
SPOX/GOAL: Sie haben während Ihrer Zeit in Bremen neben dem Fußball Sportmanagement studiert. Sehen Sie sich nach der Karriere eher am Schreibtisch oder wäre auch der Trainerberuf eine Option?
Junuzovic: Ich plane, bald meinen Trainerschein zu machen, aber auch eine weitere Fortbildung im Management kommt für mich in Frage. Ich glaube, nach meiner aktiven Karriere zieht es mich eher in diese Richtung. Ich möchte mir viele Türen offenhalten und schauen, was zu mir passt. Vielleicht wird es auch etwas komplett anderes. Trotz allem habe ich aber noch ein paar Jahre als Spieler vor mir, die ich genießen möchte.
SPOX/GOAL: Salzburg setzt verstärkt auf junge Spieler. Gerade im zentralen Mittelfeld stehen mit Amadou Haidara und Diadie Samassekou zwei hochgelobte Talente im Kader. Was zeichnet sie aus?
Junuzovic: Ihre Spielfreude ist einfach unglaublich. Gerade bei Samassekou, der ständig am Lachen ist. Die Jungs haben viel Talent, denken sich nichts dabei und spielen einfach drauf los. Von der Spielanlage und ihrer Position unterscheiden sie sich ein wenig. Diadie ist ein Spieler, der eher defensiv ausgerichtet ist. Haidara ist überall zu finden, ein Box-to-Box-Spieler. Ich bin mir sicher, dass die Jungs ihren Weg machen werden. Es wird in der Zukunft noch viele Situationen geben, in denen sie sich beweisen müssen, aber sie spielen bisher konstant auf einem guten Niveau.
SPOX/GOAL: Haidara wird schon jetzt regelmäßig mit Naby Keita verglichen. Trauen Sie ihm eine ähnliche Karriere zu?
Junuzovic: Ja, auf jeden Fall. Vielen Spielern aus unserer Mannschaft traue ich einiges zu. Die Kunst dabei ist, diese guten Leistungen zu bestätigen. Inzwischen unterschätzt uns keiner mehr. Jeder kennt unsere Qualitäten und die Stärken der einzelnen Spieler. Der Druck und die Erwartungshaltung werden dadurch zweifellos größer. In der vergangenen Saison konnten wir in der Europa League von Runde zu Runde schauen, wie sich die Situation entwickelt und haben es bis ins Halbfinale geschafft. Das alles sind Erfahrungen, die die Jungs sammeln und verarbeiten. Langfristig wirken sich solche Situationen sehr gut auf die Entwicklung der Spieler aus.
Junuzovic über die Duelle zwischen Leipzig und Salzburg
SPOX/GOAL: Salzburg hat Leipzig zum Europa-League-Auftakt mit 3:2 geschlagen. Wie wichtig war es, dem "Bruder" aus Leipzig zu zeigen, dass Salzburg mehr ist als nur ein Farmteam?
Junuzovic: Der Sieg gegen RB Leipzig war wichtig, weil wir damit optimal in die Gruppenphase gestartet sind. Wir haben uns zunächst sehr gefreut, dass wir in einer derart anspruchsvollen Gruppe mit Celtic, Leipzig und Rosenborg spielen dürfen. Vor allem Celtic und Rosenborg waren schon oft in der Champions League. Dass wir mit Leipzig einen deutschen Bundesligisten auswärts geschlagen haben, hat vor allem für die Österreicher einen hohen Stellenwert. Generell haben wir da gezeigt, wie stark wir sein können. Trotzdem muss man das Ganze auch ein bisschen relativieren: Wir haben den Ausgleich bekommen und dann mit dem späten 3:2-Siegtreffer den Lucky Punch gesetzt.
SPOX/GOAL: Im Vorfeld gab es diverse Diskussionen um Absprachen zwischen den beiden RB-Klubs. Wie beurteilen Sie diese Vorwürfe?
Junuzovic: Das ist alles kompletter Blödsinn. Nennen Sie mir einen Spieler, der ein Spiel verlieren will. Nie im Leben! Und ich bin mir ganz sicher, dass die Leipzig-Spieler ebenso wenig gegen uns verlieren wollen. Ganz im Gegenteil: Am liebsten hätten die uns aus dem Stadion geschossen. Insgesamt war es einfach ein gutes Spiel mit vielen Toren, Tempo, Aggressivität und Leidenschaft - so wie Fußball sein soll.
SPOX/GOAL: In Deutschland wurde das Duell im Vorfeld sehr kritisch gesehen. Wie geht man als Spieler mit dieser speziellen Konstellation um?
Junuzovic: Für mich steht der sportliche Aspekt im Vordergrund. Bei all der Kritik muss man aber auch schauen, wie viel ein Verein leistet, wie er sich entwickelt, ob er Geld durch Transfers einnimmt, welche Spieler er selbst ausgebildet und in welchen Situationen man Spielern die Chance gibt, ihre Qualitäten unter Beweis zu stellen. Auch bei Red Bull Salzburg hat diese Entwicklung mehrere Jahre gedauert, doch nun trägt die Arbeit Früchte. Um erfolgreich zu sein, muss in allen Bereichen sehr viel Qualität vorhanden sein. Und das schafft man nicht allein mit Geld, sondern man muss auch das richtige Personal haben und die richtigen Entscheidungen treffen. Wir sind ein Verein wie jeder andere auch, wir arbeiten akribisch und sind gut vorbereitet. Es ist immer leicht zu sagen: Dieser Verein hat Geld, deshalb werden sie Erster. Doch so einfach ist das nicht. Natürlich hilft es, doch die Kunst ist, das Geld richtig einzusetzen.
Junuzovic über die Kritik an Red Bull
SPOX/GOAL: In Deutschland muss RB Leipzig häufig mit Anfeindungen umgehen. Ist es mit Salzburg in Österreich ähnlich?
Junuzovic: Ich denke, in Deutschland ist das schon ein wenig anders. Gerade in Dortmund war die damalige Situation sehr heftig. Trotzdem muss man anmerken, dass jeder Verein Sponsoren hat und braucht. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass der Fußball wieder mehr im Vordergrund steht. In Österreich wird die Situation um Red Bull Salzburg eher positiv gesehen, weil die Mannschaft über Jahre sowohl national als auch international erfolgreich war, tollen Fußball spielt und wertvolle Punkte für die Fünfjahreswertung gesammelt hat.
SPOX/GOAL: Diese Punkte konnten vor allem im vergangenen Jahr gesammelt werden, als Salzburg erst nach dramatischen Spielen gegen Marseille im Halbfinale der Europa League gescheitert ist. Ist Ähnliches wieder möglich?
Junuzovic: Das ist zumindest die Erwartungshaltung und der Anspruch von außen. Ich will nicht zu pessimistisch klingen, muss aber die Lage aus analytischer Sichtweise betrachten. Die vergangene Saison war überragend, nicht nur für uns, sondern für den kompletten österreichischen Fußball. Wir konnten ein echtes Statement setzen. Obwohl wir die bessere Mannschaft waren, sind wir mit viel Pech im Halbfinale gescheitert und konnten zeigen, dass die österreichische Liga gar nicht so schlecht ist, wie es von außen oft dargestellt wird. Jetzt haben wir Leipzig und Celtic geschlagen und wieder ein kleines Ausrufezeichen gesetzt. Die Fans dürfen träumen, aber wir müssen unsere Leistung wöchentlich bestätigen.