Vor rund einem Jahr, am 3. März 2018, glich die Gefühlswelt des Filip Kostic noch einer lebendigen Hölle. Er, Filip Kostic, der mit einer Ablösesumme von 14 Millionen Euro bis heute teuerste Spieler in der Vereinsgeschichte des Hamburger Sportvereins, der große Hoffnungsträger im schier aussichtslosen Kampf gegen den ersten Bundesliga-Abstieg, hatte im vorentscheidenden Kellerduell gegen Mainz 05 (0:0) einen Elfmeter verschossen und dem Klub damit einen wichtigen Dreier gekostet. Lasch und ohne auch nur einen Hauch Selbstvertrauen.
Heute, 368 Tage später, befindet sich Kostic nicht mehr in einer lebendigen Hölle. Er schwebt auf einer Wolke der Euphorie. Einer schwarz-weiß-roten Wolke. Einer Wolke, die dieser Tage mehr als nur Deutschland mit begeisterndem Fußball überzieht. Der Wolke namens Eintracht Frankfurt.
Filip Kostic: Der "Nottransfer" schlägt voll ein
"Ich fühle mich hier sehr wohl", sagt der 26-Jährige. Bedanken darf er sich dafür in erster Linie bei Fredi Bobic. Der Sportvorstand der Eintracht war es, der ihm im vergangenen Sommer kurzfristig die Möglichkeit eröffnete, den HSV auf Leihbasis zu verlassen und einen Zweijahresvertrag am Main zu unterschreiben.
Bobic wusste um die Qualitäten von Kostic, hatte er ihn doch bereits zu seiner Zeit als Sportvorstand des VfB vom niederländischen Erstligisten FC Groningen nach Stuttgart geholt. Nicht wenige Fans, Experten und Journalisten zweifelten jedoch daran, dass der spät im August über die Bühne gebrachte Deal Früchte tragen würde. Sie pressten Kostic in die Schublade "Nottransfer". Sie sollten sich gewaltig täuschen.
Kostic ist mitverantwortlich für die starke Saison der Eintracht, die in dem Europa-League-Achtelfinale gegen Inter Mailand (ab 18.55 Uhr LIVE auf DAZN und im LIVETICKER) ihren vorläufigen Höhepunkt findet.
Eintracht Frankfurt: Filip Kostic in neuer Rolle unter Adi Hütter
Auf ihn werden zwar weniger Lobeshymnen gesungen als auf die mittlerweile auch europaweit berühmt-berüchtigte "Büffelherde" um Ante Rebic, Luka Jovic und Sebastien Haller. Aber der serbische Nationalspieler zählt zu den absoluten Leistungsträgern der Mannschaft von Adi Hütter. Sechs Tore und sieben Vorlagen stehen nach 30 Pflichtspielen auf seinem Konto. Acht mehr als in seiner Höllen-Saison beim HSV. Und dabei spielt der gelernte Außenstürmer defensiver als noch im Volksparkstadion.
Hütter hat ihn zu einem Außenverteidiger umfunktioniert. "Ich denke zuerst an die Defensive", sagt Kostic und gibt zu: "Am Anfang war es ein bisschen komisch." Im 3-5-2, das sich im Spiel gegen den Ball zu einem 5-3-2 verwandelt, beackert er die linke Seite. Mit Tempo und mit Leidenschaft, aber auch mit technischer Finesse. "Viele haben ihm diese Rolle vor der Saison nicht zugetraut", sagt Eintracht-Legende Uwe Bein im Gespräch mit SPOX und Goal, "aber wie er sie ausfüllt, ist sensationell. Er ruft in jedem Spiel hundert Prozent ab."
Eintracht Frankfurt: Uwe Bein lobt Filip Kostic
Woran das liegt? Bein hat eine simple Antwort parat: "Es passt für ihn hier alles." Kostic sei "das perfekte Beispiel dafür", führt der Weltmeister von 1990 aus, "dass ein Spieler nur dann das Beste aus sich herausholen kann, wenn sein Umfeld stimmt, wenn sein Trainer ihm Vertrauen schenkt und wenn seine Mitspieler und seine Fans bedingungslos hinter ihm stehen."
Neben Hütter, der den Mut aufbrachte, Kostic eine vor Jahren für ihn noch kaum vorstellbare Aufgabe zuzuteilen, hebt Bein vor allem die Mannschaft als Schlüssel zum Erfolg des Neuzugangs hervor. Nicht nur Kostics Landsmänner Mijat Gacinovic und Luka Jovic sowie der Kroate Ante Rebic, mit denen er auch privat viel unternimmt, hätten ihn "vom ersten Tag an" unterstützt.
"In dieser Truppe hilft einfach jeder jedem", sagt der mittlerweile als Markenbotschafter für die Eintracht tätige Ex-Mittelfeldspieler. Das sehe man auch bei Rückkehrer Sebastian Rode, der nach seinen weniger erfolgreichen Abenteuern in München und Dortmund prompt "wieder der Alte" sei.
Filip Kostic beim HSV "unter den Erwartungen"
Diese uneingeschränkte Unterstützung genoss Kostic in Hamburg offenkundig nicht. Wenngleich er beim HSV "voll integriert" gewesen sei, wie sein einstiger Vorgesetzter Heribert Bruchhagen auf Nachfrage von SPOX und Goal versichert.
Gleichwohl muss Bruchhagen feststellen: "Seine aktuellen Leistungen spiegeln nicht das wider, was er beim HSV gezeigt hat." Kostic habe "ein eindrucksvolles erstes Jahr" hingelegt, in der Abstiegssaison sei er jedoch "unter den Erwartungen" geblieben.
Trotzdem freut sich der 70-Jährige, dass der oft gescholtene Linksfuß inzwischen in Frankfurt aufblüht. 2014, in seiner damaligen Funktion als Vorstandsvorsitzender der SGE, wollte er ihn auf Geheiß von Armin Veh bereits aus den Niederlanden in die Mainmetropole holen. "Aber Stuttgart hat weitaus mehr Geld geboten", verrät Bruchhagen.
Nach Leihe: Bleibt Filip Kostic bei Eintracht Frankfurt?
Vielleicht war auch deshalb so manch einer in Frankfurt skeptisch, als Bobic im zurückliegenden Spätsommer die Ausleihe von Kostic einfädelte. "Filip kam nicht mit großen Vorschusslorbeeren zu uns. Im Gegenteil: Er war in der untersten Schublade", weiß Hütter. Allerdings: "So, wie ich ihn kennen gelernt habe, ist er in der obersten Schublade." Kostic bringe neben seiner fußballerischen Klasse einen "Topcharakter" mit. Das bestätigt auch Ex-HSV-Boss Bruchhagen, der ihn als "anständig", "angenehm" und "professionell" beschreibt.
"Wenn ich morgens vor dem Training mal aus meinem Bürofenster auf den Parkplatz geschaut habe, war er immer einer der Ersten, die dort waren", erinnert sich Bruchhagen. Umso bitterer aus Sicht der Hamburger, dass die Kaufoption für Kostic nur 6,5 Millionen Euro beträgt. Es wäre mehr als verwunderlich, würde sich die Eintracht dieses Schnäppchen entgehen lassen. Bein sagt: "Es spricht nichts dagegen, dass er langfristig das Trikot der Eintracht trägt."
Die Leistungsdaten von Filip Kostic in der Bundesliga
Kategorie | Wert |
Einsatzminuten | 2065 |
Tore | 3 |
Vorlagen | 6 |
Kreierte Großchancen | 11 |
Klärende Aktionen | 32 |
Passquote | 64,5 % |
Zweikampfquote | 51,4 % |