RB Leipzigs entzauberte Titeljäger zogen sich schwer ernüchtert in die Katakomben zurück, als das legendäre Ibrox Stadium unter wummerndem Party-Techno bebte. "Todesstille", berichtete Konrad Laimer, habe in der Kabine geherrscht, als der Traum vom ersten Europapokalfinale auf so bittere Weise geplatzt war. In der entscheidenden Saisonphase droht RB nun, alles zu verspielen.
Der Trainer steuerte umgehend gegen. "Wir haben in den letzten Spielen die Stabilität verloren und die gilt es, ganz, ganz schnell wieder zurückzugewinnen", forderte Domenico Tedesco nach dem Halbfinal-Aus in der Europa League bei den Glasgow Rangers. Das 1:3 (0:2) im Rückspiel zerstörte nicht nur Leipzigs Chancen auf das Endspiel am 18. Mai in Sevilla, die nach dem 1:0 im Hinspiel aussichtsreich gewesen waren.
Sie könnte auch für ein verheerendes Momentum sorgen. "Die Stimmung ist jetzt natürlich negativ, weil wir extrem enttäuscht sind, nicht nach Sevilla fahren zu dürfen", so Tedesco, der sich aber mühte, direkt für die kommenden Aufgaben scharfzustellen: "Wir müssen ab morgen schon wieder den Blick Richtung Augsburg richten. So schwer es auch ist."
Bis Sonntag (19.30 Uhr), wenn es gegen den FC Augsburg geht, muss RB den Glasgow-Blues zwingend aus den Knochen geschüttelt haben. Die Sachsen brauchen an den letzten beiden Spieltagen zwei Siege, um das Ziel Champions-League-Qualifikation zu erreichen, das nach dem jüngsten Absturz auf Platz fünf der Bundesliga-Tabelle in Gefahr geraten ist. Und dann wäre da ja noch die zweite Titel-Chance im DFB-Pokalfinale am 21. Mai gegen den SC Freiburg.
RB Leipzig: Das Frustpotenzial steigt
Wie Tedesco nahm auch Laimer die Mannschaft in die Pflicht. "Wir haben jetzt drei Finalspiele. Und dann wird es Zeit, sich von so einer Seite zu zeigen, dass du so ein Ding einfach mal ziehen kannst", so der Österreicher bei RTL, der generell mit dem Auftreten der Leipziger in großen Spielen haderte. 2019 (0:3 gegen Bayern München) und 2021 (1:4 gegen Borussia Dortmund) hatte RB jeweils das Pokalfinale deutlich verloren, 2020 das Champions-League-Halbfinale gegen Paris St.-Germain.
Das Frustpotenzial steigt mit jeder weiteren Niederlage, jedem weiteren verpassten Titel. "Grundsätzlich waren wir", sagte Laimer, "jetzt schon so oft in solchen Situationen." Immer wieder habe sein Team "die gleichen Fehler, auch kindische Fehler, gemacht", ärgerte sich der 24-Jährige: "Jetzt wird es endlich Zeit, daraus zu lernen und das abgezockter zu machen."
Tedesco lobt Stimmung im Ibrox Stadium
Damit meinte Laimer vor allem das spielentscheidende 3:1 von John Lundstram (80.), der einen Abpraller nach einer harmlosen Flanke völlig unbedrängt einschob. "Dann kriegst du ein Scheiß-Tor - und das ärgert mich einfach tierisch, weil ich überzeugt war, dass wir das Ding gewinnen nach dem 2:1", schimpfte Laimer. Nach dem Anschluss durch Christopher Nkunku (70.) hatte RB die große Chance auf den Ausgleich gehabt, der für Sevilla gereicht hätte.
Dass die 50.000 frenetischen Zuschauer im ausverkauften Ibrox zu Spielbeginn einen Einfluss hatten, als James Tavernier (18.) und Glen Kamara (24.) die Rangers in Führung schossen, gab Tedesco zu. Es sei eben eine Sache, "ein Stadion zu beschreiben, die andere ist es aber, es zu erleben", sagte der Coach und lobte: "Das war das Beste, was ich bis jetzt in einem Stadion erleben durfte." Er wird hoffen, dies bald auch über das Spiel seiner Mannschaft sagen zu können.