Silvia Neid: Ja natürlich. Ich halte das für sehr wichtig, mal auf andere Gedanken zu kommen, den Kopf frei zu kriegen. Ich versuche mir in der Regel die Samstage fußballfrei zu halten - abgesehen davon, dass ich mir die Sportschau anschaue.
SPOX: Was steht in der fußballfreien Zeit auf dem Programm?
Neid: Samstags gehe ich zum Beispiel einkaufen oder treibe Sport, ich gehe gerne laufen oder ins Fitness-Studio. Ganz wunderbar abschalten kann ich im Übrigen beim Golfen, denn wenn man da nicht voll und ganz auf diesen kleinen Ball konzentriert ist, trifft man ihn nicht.
SPOX: Spätestens ab dem 11. April zählt für die Nationalmannschaft nur noch der große Ball. Dann beginnt mit dem ersten Lehrgang die heiße Phase der Vorbereitung auf die WM. Sie haben Ihre Spielerinnen dann für einen langen Zeitraum beisammen und können fast wie im Verein arbeiten.
Neid: Eine derartige Vorbereitung hatten wir in der Vergangenheit immer vor großen Turnieren. Und die dabei gewonnene Erfahrung zeigt, dass das auch absolut notwendig ist. In diesen Lehrgängen haben wir die Basis für unsere Erfolge gelegt. Dahinter steckt harte, harte Arbeit. Es ist ja nicht so, dass wir durch die Wettbewerbe nur so durchmarschieren. Die Konkurrenz wird immer größer. Einen Titel zu gewinnen, wird immer schwieriger. Auch weil sich andere Nationen genauso gewissenhaft und zum Teil noch länger vorbereiten.
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SPOX: Wie wird die Zeit bis zur WM gestaltet?
Neid: Wir haben unsere Vorbereitung so strukturiert, dass die Lehrgänge einen thematischen Schwerpunkt haben und die einzelnen Lehrgänge inhaltlich aufeinander aufbauen. Ich würde das mit der Saison-Vorbereitung eines Vereins vergleichen.
SPOX: Deutschland zählt im Frauen-Fußball zu den Top-Nationen. Sie sagen allerdings selbst, dass die Konkurrenz immer größer wird. Was tun Sie, um weiterhin zu den Besten zu gehören?
Neid: Unser Ziel ist es, uns dauerhaft in der Weltspitze zu halten. Um das zu erreichen, kann man nicht nur auf Altbewährtem aufbauen. Wenn man oben steht und oben bleiben will, muss man über den Tellerrand schauen, innovativ sein, Vorreiter sein. Gerade im Frauenfußball, denn der entwickelt sich sehr schnell.
SPOX: Sie müssen die Augen also stets offen halten.
Neid: Das ist aber natürlich nicht allein meine Aufgabe. Wir arbeiten im Trainer-Team des DFB sehr eng und gut zusammen. Wir sind offen für neue Ideen und bewerten die für uns. So sind wir zum Beispiel nicht abgeneigt, Spezialisten ins Team zu holen, wenn es darum geht, unsere Arbeit zu optimieren. Unter anderem haben wir mittlerweile einen Torwarttrainer, einen Psychologen und einen Ernährungsberater im Team.
SPOX: Trotz dieser Maßnahmen: Wird der Unterschied zu den vermeintlich kleinen Nationen immer kleiner oder die Lücke vielleicht irgendwann ganz geschlossen?
Neid: Ich glaube nicht, dass wir irgendwann einmal 100 Nationen auf einem gleichhohen Niveau haben werden. Das gibt es in keiner Sportart. Aber ich bin überzeugt davon, dass der Konkurrenzkampf zwischen den Nationen weiter anziehen wird. Man braucht ja auch nur auf das Teilnehmerfeld der WM in diesem Jahr schauen. Meiner Meinung nach gehören acht von 16 Mannschaften dem Favoritenkreis an.
SPOX: Worauf muss der deutsche Fußball grundsätzlich Wert legen, um auch künftig spitze zu sein?
Neid: Ich denke, der DFB engagiert sich wie kaum ein anderer Verband in der Förderung des Frauen-Fußballs. Diesen Weg müssen wir auch in Zukunft fortsetzen.
SPOX: Was muss verbessert werden?
Neid: Optimierungsmöglichkeiten gibt es immer und überall. Es ist ja das große Ziel der WM 2011, für Nachhaltigkeit zu sorgen. Das heißt, wir wollen mehr Mädchen und Frauen in den Vereinen sehen. Und diese gilt es dann auch optimal zu fördern. Da können wir schon auf gute, gewachsene Strukturen zurückgreifen. Von dieser Basis aus können wir arbeiten. Für den Leistungsbereich heißt das, weitere Schritte zu einer immer größeren Professionalisierung zu gehen.
SPOX: Trotz der Erfolge gibt es immer noch Leute, die den Frauen-Fußball skeptisch betrachten, dabei hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Frauen oftmals schneller und fortschrittlicher denken als die Männer. Das 4-2-3-1-System, das mittlerweile fast jedes Männer-Team spielt, hat die deutsche Frauen-Nationalmannschaft schon Anfang des Jahrtausends praktiziert.
Neid: Das stimmt, das haben wir schon unter Tina Theune gespielt. Ich finde dieses System perfekt. Es ermöglicht ein sehr variables Spiel, ohne die Grundstruktur zu verlassen. Und wir haben die richtigen Spielerinnen dafür. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Wenn man nicht die Spielerinnen hat, die ein System umsetzen können, wird es auch nicht funktionieren.
SPOX: Das Ziel ist der WM-Titel, dementsprechend hoch ist der Druck auf die Mannschaft. Gerade für die jungen Spielerinnen wird das eine völlig ungewohnte Situation werden. Wie helfen Sie den Spielerinnen dabei?
Neid: Wir haben zwar einige junge Spielerinnen im Kader, aber es gibt kaum eine, die gänzlich ohne Turnier-Erfahrung ist. Nehmen Sie Alex Popp, die hat im vergangenen Jahr die U-20-WM gespielt. Da hat sie erfahren, was es bedeutet, vor großen Kulissen zu spielen und mit Erwartungsdruck umzugehen. Und Kim Kulig und Bianca Schmidt, die dem Jahrgang 1990 angehören, waren ja schon beim Gewinn der EURO 2009 dabei. Oder nehmen sie Celia Okoyino da Mbabi. Sie ist erst 22 Jahre alt, aber hat schon mehr als 50 Länderspiele bestritten. Von daher wird die Situation für niemand komplett neu sein.
SPOX: Aber eine Heim-WM ist schon nochmal etwas anderes.
Neid: Da gebe ich Ihnen Recht. Es kommt nicht so häufig vor, eine Heim-WM zu spielen und dabei vor 70.000 Zuschauern im Olympiastadion in Berlin aufzulaufen. Diese Aufgabe sollen unsere Spielerinnen selbstbewusst angehen. Dafür haben wir mit Dr. Arno Schimpf einen Psychologen im Team, der den Spielerinnen für solche Themen zur Verfügung steht.
SPOX: Jeder wünscht sich den Triumph im eigenen Land. Zählt für Sie einzig und allein der Titelgewinn oder gibt es auch Szenarien, in denen die WM ohne den Titel ein Erfolg wäre?
Neid: Wir haben einen Traum, den vom Gewinn des dritten WM-Titels in Folge, den wollen wir mit Leben füllen. Das ist unser oberstes Ziel und ich halte es auch für realistisch.
SPOX: Aber?
Neid: Mit Sicherheit gibt es auch Szenarien, in denen die WM auch ohne Titel ein Erfolg wäre. Es kommt immer darauf an, wie man sich präsentiert. Und wenn man im Endeffekt ausscheidet, weil man Pech hatte, die Bälle an Pfosten und Latte sprangen, ein unglückliches Eigentor unterlief, aber deutlich erkennbar war, dass alle alles gegeben haben, dann kann man das auch akzeptieren. Aber wie gesagt: Wir gehen an die Sache positiv heran und schauen nicht jetzt schon nach eventuellen Erklärung dafür, warum es vielleicht nicht geklappt hat.
SPOX: Aktuell arbeiten 26 Spielerinnen auf das große Ziel hin. Kurz vor der WM müssen Sie allerdings noch fünf aussortieren. Wird das der schwierigste Moment vor der WM?
Neid: Das wird in der Tat eine unangenehme Aufgabe, aber die gehört nun einmal auch zum Trainer-Job dazu. Ich teile das den Spielerinnen persönlich mit. Ich bin der Meinung, das gehört sich so. In die Gespräche mit den fünf Spielerinnen, die es nicht in den WM-Kader schaffen werden, werde ich gut vorbereitet gehen. Ich will ihnen schließlich erklären, worauf meine Entscheidung basiert, sie nicht zu nominieren. Dazu brauche ich Argumente und zwar nachvollziehbare Argumente. Grundsätzlich gilt aber auch, dass die Nicht-Berücksichtigung für das WM-Aufgebot nicht einer Verbannung aus der Nationalmannschaft gleich kommt. Auch nach der WM wird Fußball gespielt. Im Herbst stehen schon die Qualifikationsspiele für die EURO 2013 an, dann werden die Karten neu gemischt.
SPOX: Von Ihnen stammt das Zitat: "Nach dem Training oder dem Spiel bin ich auch Kumpeltyp, aber auf dem Feld, da will ich Leistung haben." Wie stellt sich das in der Praxis dar?
Neid: Das ist einfach erklärt. Ich erwarte auf dem Platz absolute Professionalität, volle Konzentration, Leidenschaft und Hingabe. Diese Ernsthaftigkeit ist absolut erforderlich, um erfolgreich zu sein. Das soll jetzt aber nicht so interpretiert werden, dass bei uns im Training das Lachen verboten ist.
SPOX: Sondern?
Neid: Lachen ist wichtig, das gehört dazu. Ich will, dass meine Spielerinnen mit Spaß bei der Sache sind. Die Spielerinnen sollen verstehen, dass wir versuchen, sie so anzuleiten, dass sie als Einzelspielerin und als Teil der Mannschaft besser werden. Genauso sollen sie wissen, dass ich und alle anderen Mitglieder in unserer Crew absolut zugänglich sind, dass wir eine Einheit bilden, dass wir einen vertrauensvollen Umgang pflegen, jederzeit ein offenes Ohr haben und gerne auch mal für einen Spaß zu haben sind.
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