"Die beste Mannschaft, die wir je hatten"

Von Interview: Philipp Pander
Renate Lingor nahm viermal an olympischen Spielen teil und gewann dreimal die Bronze-Medaille
© Getty

Renate Lingor fiebert derzeit doppelt mit. Als Botschafterin für München 2018 hofft sie auf Olympische Winterspiele im eigenen Land, als Repräsentantin der Frauen-WM wünscht sie sich den Titel für Deutschland. Im SPOX-Interview spricht Lingor über ihren Draht zum Wintersport, vergleicht den heutigen Frauen-Fußball mit dem ihrer Anfangszeit und adelt ihre Nachfolgerin Kim Kulig.

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SPOX: Renate Lingor, der Ball rollt bei der Frauen-Fußball-WM in Deutschland. Über was freuen Sie sich ganz besonders?

Lingor: An erster Stelle freue ich mich einfach auf die Spiele. Wir haben über 700.000 Tickets verkauft. Die Austragungsorte haben sich mit Fanfesten viele Gedanken gemacht. Es ist einfach schön, dass wieder Bilder von lachenden Deutschen in die Welt hinaus getragen werden.

SPOX: 1991 haben Sie Ihre Bundesligakarriere begonnen. Kann man die heutige Art des Spiels überhaupt noch mit der von damals vergleichen?

Lingor: Das Niveau ist während meiner aktiven Zeit in der Bundesliga, aber auch international unheimlich gestiegen. Am Anfang war es noch sehr langsam, das hat sich dann aber gesteigert. Das lag daran, dass das Trainingspensum höher geworden ist. Und wenn eine Sportart sich entwickelt, wird sie für den Zuschauer interessanter. Einen großen Anteil hatten auch die deutschen Erfolge. Das ist in jeder Sportart zu beobachten. Die Sportart, in der die Deutschen gut sind, über die wird in den Medien berichtet. Dementsprechend kann man darauf reagieren, bekommt mehr Nachwuchs und wird dadurch noch besser. Wo wir gerade beim Wintersport waren: Biathlon ist das beste Beispiel für diese Entwicklung.

SPOX: Was hat sich im Fußballerischen im Vergleich zu Ihrer Anfangszeit verbessert?

Lingor: Die Athletik hat sich mit Sicherheit gesteigert, was auch am höheren Trainingspensum liegt. Man kann heute auf viele Dinge viel spezieller eingehen, wenn man mehr trainiert. Gerade der Fußball beinhaltet viele verschiedene Faktoren, die es zu beachten gilt: Von der Kondition, Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer bis zur Technik. Früher, als man damit noch kein Geld verdienen konnte, hatte man die Prioritäten auf den Beruf oder die Ausbildung gelegt. Wobei das heute schon auch noch so ist, dass die Spielerin immer schauen, was sie nach der Karriere machen können. Aber die Möglichkeiten sind trotzdem ganz andere. Heute trainieren die Spielerinnen zweimal am Tag. Das ging damals nicht.

SPOX: In welchen Belangen muss sich der Frauen-Fußball noch unbedingt weiterentwickeln?

Lingor: Man darf nie einen Stillstand haben, weil die anderen Nationen besser werden. Aber wir sind auf einem guten Weg und haben einen guten Nachwuchs. Wir sind im letzten Jahr U-20-Weltmeister geworden und haben auch im aktuellen Kader viele junge Spielerinnen. Daran muss man weiter ansetzen. Es ist für mich schwierig zu sagen, ob jetzt beispielsweise genau im Technikbereich mehr gemacht werden muss, weil es an so vielen Faktoren liegt.

SPOX: Kim Kulig ist Ihre Nachfolgerin im defensiven Mittelfeld in der Nationalmannschaft. Wie macht sie sich?

Lingor: Super! Mir gefällt Kim sehr gut im Moment, obwohl sie im letzten Jahr einen kleinen Hänger hatte. Sie hat 2009 bei der Europameisterschaft ihr erstes großes Turnier gespielt, was wiederum die erste Meisterschaft war, die ich nicht gespielt habe und es hat mich keiner vermisst. Sie ist in meine Fußstapfen getreten. Ich hätte nur gerne noch ein bisschen mit ihr zusammengespielt, um sie als ältere Spielerin noch etwas mitzuformen. Denn es macht mir Spaß ihr zuzuschauen und zu sehen, dass sie lernwillig ist und die Sachen sehr gut umsetzen kann. Ich hoffe, dass es ihre WM wird. Der Start war ja schon mal ganz gut.

SPOX: Warum ist Kim Kulig bereits in jungen Jahren schon so gut?

Lingor: Das ist wieder der Unterschied zu meiner Zeit. Die U-Mannschaften, die Kim durchlaufen hat, gab es zu meiner Zeit nicht. Wir haben zwar ein bisschen in einer U 20 gespielt, aber nie an Turnieren teilgenommen. Das ist heute anders, weil die Mädels von der U 15 bis zur U 23 diese Schritte mitmachen. Für mich war also der Sprung von einer Bundesligaspielerin in die A-Nationalmannschaft viel größer. Heute wissen die Spielerinnen, wie sie spielen müssen, sie kennen das System. Die Juniorenmannschaften haben die gleiche Taktik wie die A-Nationalmannschaft.

SPOX: Mittlerweile kratzen viele junge Mädels wie Alexandra Popp am Thron der gestandenen Spielerinnen wie Birgit Prinz oder auch Inka Grings. Ist nach der WM ein personeller Umbruch zu erwarten?

Lingor: Ja, das haben die Spielerinnen auch schon teilweise angekündigt, wobei ich keinen extremen Umbruch erwarte. Spielerinnen wie Simone Laudehr, mit der ich noch meine letzte Weltmeisterschaft gespielt habe, sind noch jung, aber doch schon sehr erfahren. Natürlich gibt es Spielerinnen wie Ariane Hingst, Kerstin Garefrekes und Birgit Prinz, die schon ein bisschen älter sind. Bei denen ich mir vorstellen kann, dass sie nach der WM international aufhören. Aber das wäre kein Schaden. Es ist gerade das Gute für eine Alexandra Popp, dass sie aufgehen kann, weil sie noch eine Birgit vor sich hat. Von ihr wird deshalb nicht viel erwartet. Sie muss das Ding nicht reißen. Spielerinnen wie Birgit ordnen die Mannschaft und halten sie zusammen.

SPOX: Lira Bajramaj bezeichnet sich selbstbewusst als "Tussi" und zuletzt haben sich fünf Spielerinnen für den Playboy ausgezogen. Wächst auch vom Typus eine neue Generation an Fußballerinnen heran?

Lingor: Also zu den fünf Mädels muss ich erst einmal sagen: Da ist keine einzige Nationalspielerin dabei. Die haben das gemacht - warum auch immer. Aber das ist natürlich jetzt ein gefundenes Fressen. Unabhängig davon ist es richtig. Wir haben ganz unterschiedliche Typen. Eine Alexandra Popp ist ein ganz anderer Fall als eine Lira, die sicherlich zu Recht sagt, dass sie so ein bisschen Tussi ist. Aber das ist schön, das ist genau das, was man braucht. Eine Mischung aus Mädels, die mit dem Handtäschchen herumlaufen und Mädels, die anders drauf sind.

SPOX: Das beste Mittel, um den Fokus auf den Sport zu richten, ist wahrscheinlich, schönen Fußball zu zelebrieren. Wer hat das Zeug, zum großen Star der WM zu werden?

Lingor: Eine Alexandra Popp hat in jedem Vorbereitungsspiel ihre Tore gemacht und das Zeug dazu. Aber es gibt viele so verschiedene gute Spielerinnen wie auch Lira oder Melanie Behringer.

SPOX: Was wird die WM mit der Sportart in Deutschland bewegen? Folgt der große Frauen-Fußball-Boom?

Lingor: Was wir sicher nicht wollen, ist, dass diese WM ein totaler Erfolg wird und plötzlich der Frauen-Fußball wieder in der Versenkung verschwindet. Genau diesen Event muss man nutzen, um die Sportart weiter zu verkaufen. Jetzt wird erstmals jedes Spiel der WM live übertragen, aber wir müssen eben auch schauen, dass die Bundesliga präsenter wird. Man darf bloß nicht hoffen, dass das ein Selbstläufer wird.

SPOX: Das Horrorszenario ist natürlich, dass Deutschland in der Vorrunde ausscheidet. Wie würden sich das Interesse und die Stimmung nach einem Ausscheiden verändern?

Lingor: Daran denken wir nicht. Deutschland wird durch die Vorrunde marschieren. Und in den KO-Spielen kann man 89 Minuten lang die bessere Mannschaft sein und dann doch 0:1 verlieren. Wichtig wäre, dass wir mindestens ins Halbfinale kommen. Das zeigt ja jedes deutsche Großereignis, egal ob Handball- oder Eishockey-WM: Wenn die Deutschen lange dabei sind, begeistern sich die Leute dafür. Und alles Andere wollen wir uns gar nicht ausmalen.

SPOX: Warum wird Deutschland Weltmeister?

Lingor: Sie haben die Fans im Rücken und sind schwer auszurechnen. Ich glaube, das ist die beste Mannschaft, die wir jemals hatten.

SPOX: Sie haben als Botschafterin für München 2018 derzeit eine Doppelfunktion. Am 6. Juli verkündet das IOC, wo die Winterspiele 2018 ausgetragen werden. Wie und wo werden Sie die Entscheidung verfolgen?

Renate Lingor: Da ich auch Botschafterin für die Frauen-WM bin, dort sehr stark involviert und unterwegs bin, weiß ich das noch gar nicht. Ich werde aber definitiv nicht in München sein können, weil dort kein Spielort der WM ist. Ich werde es aber ganz sicher irgendwo im Fernsehen verfolgen.

SPOX: Warum engagieren Sie sich als Sommer-Sportlerin für Olympische Winterspiele?

Lingor: Es gibt nicht wirklich große Unterschiede zwischen Sommer- und Wintersportlern, außer eben den Jahreszeiten, in denen die Wettkämpfe stattfinden. Olympische Spiele sind einfach etwas ganz Besonderes. Und als Sommersportler fiebert man auch bei den Wintersportlern mit. Das ist umgekehrt sicher nicht anders. Wenn man das im eigenen Land haben dürfte, wäre das auch für mich total cool, weil ich gerne hingehen würde. Deshalb habe ich diese Aufgabe als Botschafterin gerne übernommen.

SPOX: Sie haben mit der Nationalmannschaft insgesamt viermal an Olympischen Spielen teilgenommen und dreimal Bronze gewonnen. Welche Erfahrungen haben Sie im Rahmen der Spiele gesammelt?

Lingor: Man ist eben nicht für sich alleine, sondern lernt auch die anderen Sportler und Stars aus anderen Ländern und anderen Sportarten im olympischen Dorf kennen. Man kämpft gemeinsam um Medaillen und das ist eine gute Möglichkeit, Sportarten zu präsentieren, die nicht so bekannt sind. Da ist jeder absolut im Mittelpunkt.

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