Nur mal so angenommen, denn im Fußball ist ja bekanntlich alles möglich: Die Sache könnte theoretisch auch richtig in die Hose gehen. Ein Ausscheiden im Viertelfinale wäre aus deutscher Sicht schon eine echte Enttäuschung und das Aus nach der Vorrunde die größte Schmach in der Geschichte des deutschen Frauen-Fußballs.
Die mühsam aufgebaute Euphorie wäre mit einem Schlag dahin, die Weltmeisterschaft im eigenen Land für die meisten Deutschen nur noch eine Randnotiz. Die Kritiker des Frauen-Fußballs würden sich bestätigt fühlen. Und der DFB wäre der Dumme.
Warum habe man eigentlich noch vor der WM mit Silvia Neid verlängert, würden sich die Verantwortlichen dann fragen lassen müssen. Ohne Not? Und noch dazu bis 2016?
Wie weit kommt das deutsche Team? Jetzt die WM durchspielen
Auf und neben dem Platz überzeugend
Die Antwort darauf ist denkbar einfach: Jeder beim DFB ist sich sicher, dass Neid die perfekte Bundestrainerin ist - und zwar unabhängig vom Verlauf dieser Weltmeisterschaft. Die 47-Jährige genießt das uneingeschränkte Vertrauen der Verbandsoberen, weil sie so überzeugend auftritt wie keiner ihrer Vorgänger.
Gleich bei ihrer ersten Weltmeisterschaft als Bundestrainerin holte sie 2007 den Titel, noch dazu ohne Gegentor. Zwei Jahre später folgte der Gewinn der Europameisterschaft. Anfang 2011 wurde sie zur ersten Welt-Trainerin des Jahres gekürt.
"Sie leistet seit Jahren ausgezeichnete Arbeit. Wir können uns auch in Zukunft keine Bessere vorstellen", sagte Dr. Theo Zwanziger bei der Vertragsunterzeichnung. Den DFB-Präsidenten und Neid verbindet ein enges Verhältnis.
Gute Figur neben Jose Mourinho
Zwanziger ist seit Jahren ein bekennender Anhänger des Frauen-Fußballs. Wann immer möglich, fördert er die weiblichen Kicker - auch gegen viele Widerstände. In Neid hat Zwanziger eine ideale Botschafterin und Repräsentantin gefunden.
Neid kommt gut an in der Öffentlichkeit. Sie parliert gekonnt über die Qualitäten des Frauen-Fußballs, gibt sich den Medien gegenüber weitaus aufgeschlossener als Vorgängerin Tina Theune und macht auch neben den männlichen Kollegen wie Jogi Löw oder Jose Mourinho, zuletzt bei der Welttrainer-Wahl im Januar, eine gute Figur.
Lingor: "Sie kann auch böse werden"
Aller Liebling ist Neid allerdings dennoch nicht. Sie kann auch anders. "Sie wird auch schon mal sehr bissig und böse, wenn Sachen nicht so laufen, wie sie sich das vorstellt", erzählt Ex-Nationalspielerin Renate Lingor im Gespräch mit SPOX.
Dann zum Beispiel, wenn die Medien- und Werbetermine ihrer Spielerinnen überhand nehmen und sie den Erfolg der Mannschaft gefährdet sieht. Oder wenn sie Journalisten Dinge erklären muss, für die es aus ihrer Sicht eigentlich keiner Erklärung bedarf.
"Der eine empfindet mich dann als schwierig, der andere als kompetent", sagte Neid vor kurzem der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". "Ich bin mal besser und mal schlechter drauf - aber dafür ehrlich. Ich bin so, wie ich bin, und lasse mir eben nicht alles gefallen."
Privatleben ist tabu
Jeder kommt damit nicht zurecht. Doch Neid macht eben nicht immer das, was andere von ihr erwarten. Ihr Privatleben hält sie komplett raus aus der Öffentlichkeit, dabei hätten viele gerade jetzt zur WM gerne mehr erfahren über sie.
Sie geht gerne shoppen und mag schnelle Autos. Den Samstag versucht sie fußballfrei zu halten. Das weiß man. Sie habe eine Vorliebe für Tafelspitz, hat sie mal verraten. Recht viel mehr ist nicht bekannt von der privaten Silvia Neid. In diesem Punkt gibt sie sich einsilbig, ja fast verschlossen.
4-2-3-1 schon lange eingeführt
Sie spricht lieber über Fußball. Wenn es um taktische Feinheiten und strategische Raffinesse geht, dann wirkt sie manchmal sogar ein wenig euphorisch. Dann erzählt sie auch mal mehr als nur das, was unbedingt sein muss.
Doch Neid weiß, dass sie ihre Worte klug wählen muss. Dass nicht jeder gerne hört, wenn sie als Frau in der Männerdomäne Fußball verständlicher als viele männliche Kollegen über Raumdeckung, Pressing oder das Spiel gegen den Ball referiert.
Dabei hat sie ihr Können schon mehrfach unter Beweis gestellt. In der Nationalmannschaft hat sie zusammen mit Vorgängerin Tina Theune das bei den Männern erst seit zwei, drei Jahren praktizierte 4-2-3-1-System bereits Anfang des Jahrtausends eingeführt. Aktuell zeigen ihre Mädels das schnelle, vertikale Spiel nach Balleroberung wohl besser als alle anderen Nationen.
"Sie hat ein enormes Fachwissen", schwärmt Torfrau Nadine Angerer im Gespräch mit SPOX. Sie stellt uns immer wieder richtig auf die Gegner ein. Sie erkennt immer die Schwachpunkte unserer Gegnerinnen und lässt dementsprechend auch trainieren."
Neid als Tüftlerin
Fachlich kann Neid im Frauen-Fußball wohl kaum jemand das Wasser reichen. "Es gefällt mir, Taktiken auszutüfteln. Zu überlegen: Wie spielen wir am besten gegen den Gegner? Welche Aufstellung ist sinnvoll? Wie stelle ich die Mannschaft ein? Das finde ich sehr, sehr interessant", sagte Neid vor kurzem der "Zeit".
Was sie sich für diese Weltmeisterschaft überlegt hat, ist bislang noch ihr Geheimnis. Nur eines ist schon klar: Neid macht nicht immer das, was andere von ihr erwarten.