Thomas Wörle entschied sich nach einem frühen Karriereende dazu, die Damen des FC Bayern München zu übernehmen. Mit SPOX sprach er über die große Entwicklung im Frauenfußball, Vorurteile und das Herzschlagfinale der Bundesliga am 10. Mai.
SPOX: Herr Wörle, sie mussten ihre Spielerkarriere mit 28 Jahren beenden und stiegen 2009 ohne Umwege direkt als Frauentrainer beim FC Bayern München ein. Hatten sie in Ihrer Anfangszeit nicht mit Akzeptanzproblemen oder kritischen Blicken zu kämpfen?
Thomas Wörle: Die Blicke gab es wahrscheinlich schon. Es war meine erste Trainerstation, nachdem ich selbst nicht mehr kicken konnte, unsere Managerin Karin Danner hat mir die Chance gegeben.
SPOX: Sie starteten also ohne jede noch so kleine Vorerfahrung?
Wörle: Eine kleine gab es doch. Mein Vater (Günter Wörle, Vorgänger als Frauentrainer Anm. d. Red.) fehlte krank bei der Champions League Qualifikation 2009 in Litauen, weshalb ich das Qualifikationsturnier mit der Mannschaft bestritt. Das war die erste Chance, sich gegenseitig zu beschnuppern und im Anschluss habe ich dann einen Vertrag erhalten.
SPOX: Wie gestalteten sich die ersten Wochen als Trainer? Mussten Sie viel wieder verwerfen, was Sie geplant hatten?
Wörle: Klar hat mal etwas nicht zu 100 Prozent funktioniert, ich bin inzwischen sicher ein besserer Trainer, als noch am Anfang. Ich habe Erfahrung gesammelt, sowohl im positiven, als auch im negativen Sinne. Das Feedback, egal ob verbal oder nonverbal, zeichnet einem den Weg vor. Es ist ein Lernprozess, wie es ihn in jedem anderen Beruf auch gibt.
SPOX: Wie wohl fühlen Sie sich denn im Frauenbereich? Sie geben offen zu, irgendwann zu den Herren zu wollen.
Wörle: Ich fühle mich sehr wohl. Die deutschlandweite Entwicklung ist toll. Ich bin seit fünf Jahren hier und es hat sich viel geändert. Das Spiel ist dynamischer geworden, taktischer und auch die Technik hat sich nochmal verbessert. Das merkt man besonders an den 17- oder 18-Jährigen, die aus der Jugend nachkommen. Dazu steigt die Aufmerksamkeit, die Medienarbeit intensiviert sich und die Mitgliederzahlen steigen. Es gibt sogar erstmals Live-Spiele der Bundesliga im Fernsehen. Aktuell kann ich mir gut vorstellen, hier noch einige Zeit zu verbringen.
SPOX: Gibt es kein konkretes Ziel oder vielleicht einen Wunschtraum?
Wörle: Nein, eigentlich nicht. Von klein auf wollte ich zwar immer eine Männermannschaft trainieren, aber meine Arbeit hier bei Bayern ist noch nicht zu Ende. Wir haben uns große Ziele gesetzt, die wir in den kommenden Jahren gemeinsam erreichen wollen. Ich fühle mich beim FC Bayern München Frauenfußball sehr wohl. Ob Basketball, Männer- oder Frauenfußball, der FC Bayern München ist eine große Familie. Wir alle sind stolz darauf ein Teil dieser Familie zu sein.
SPOX: Sie sprechen die große Entwicklung im Frauenfußball an, betonen aber selbst immer, dass die Fortschritte im Moment vor Ergebnissen gehen. Wird sich das mit mehr Aufmerksamkeit ändern müssen?
Wörle: Über eine Ergebnisorientierung brauchen wir nicht diskutieren, die gibt es natürlich schon. Aber grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass man auf Dauer nur dann erfolgreich sein kann, wenn man inhaltlich stark arbeitet und ein Spiel auch selbst aktiv gestalten will.
SPOX: Der Frauen-Fußball entwickelt sich immer weiter - wie wollen Sie denn ihre Mannschaft weiterentwickeln? Gibt es da einen klaren, langfristigen Plan?
Wörle: Wir stehen bei Bayern schon für eine Art von Fußball, aber grundsätzlich ist man sicher vom Spielermaterial abhängig. Das Mia-San-Mia-Gefühl, das den FC Bayern München Männerfußball auszeichnet, müssen wir uns in der Frauenabteilung erst noch erarbeiten. Im Herrenbereich ist diese Mentalität über viele, viele Jahrzehnte und große Erfolge entstanden. Diese Erfolge können wir aktuell, bis auf den Pokalsieg 2012, noch nicht vorweisen.
SPOX: Wie viel trägt im Offensivbereich Matthias Nowak bei? Er arbeitet mit den Spielerinnen viel im technischen Bereich und versucht, kreativ und frei denken zu lassen und Automatismen aufzubrechen.
Wörle: Er ist ein spezieller Faktor. Ich bin von seiner Arbeit überzeugt. Ich bin froh, ihn im Team zu haben. Der Frauenfußball wird immer enger,kompakter und taktisch geprägter. Matthias setzt auf eine Art Anti-Stresstraining, damit die Spielerinnen in engen Räumen das Rundherum wahrnehmen können und die Lücken finden. Das ist viel Gehirntraining, er arbeitet auch mit der Gehirnforschung zusammen.
SPOX: Ist das mehr Detailarbeit oder erkennt man wirklich deutliche Unterschiede, wenn neue Spielerinnen dazustoßen?
Wörle: Wir sehen eine stetige Entwicklung, bei Neuen erkennt man natürlich Unterschiede. Es geht darum, das Gehirn zu vernetzen, dabei entwickelt sich aber jeder in seinem eigenen Tempo. Letztlich versuchen wir da ständig neue Reize zu setzen, damit das Gehirn richtig am Arbeiten ist.
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SPOX: Neben der Technik dürfte die Athletik großer Bestandteil des Trainings sein. Dort dürfte man den größten Unterschied zu den Herren finden.
Wörle: Der Frauenkörper hat natürlich andere Voraussetzungen als der eines Mannes. Das ist ja im Tennis oder in vielen anderen Sportarten das Gleiche. Ein Beispiel: spielen wir gegen eine gute, männliche B-Jugend, dann sind die Jungs in der Regel allesamt schneller als unsere Spielerinnen. Diesen körperlich Nachteil müssen wir dann versuchen mit technisch-taktischen Mitteln wettzumachen. Logischerweise kann die reine körperliche Schnelligkeit im Frauenfußball niemals mit den Männern mithalten. Deshalb sollte man nie Frauenfußball mit Männerfußball vergleichen, sondern bitte die Entwicklung in den letzten 5-10 Jahren für sich betrachten. Dann wird man einen ganz erstaunlichen Fortschritt erkennen können.
SPOX: Wie viel Potenzial ist in diesem Bereich dann noch vorhanden?
Wörle: Das Athletik-Training nimmt bei uns viel Zeit in Anspruch. Wir sehen dort immer noch Potential zur Leistungssteigerung und besseren Verletzungsprophylaxe. Wir betreiben intensiv Core- und Functionaltraining.
SPOX: Wenden wir uns der Taktik zu. Hier dürften die Unterschiede doch am geringsten sein, oder?
Wörle: Ich denke die Unterschiede sind nicht so groß. Die Intensität ist eine andere und natürlich muss man die Dinge ständig wiederholen, egal ob Individual-, Gruppen- oder Mannschaftstaktik, besonders wenn man taktisch flexibel sein will. Wir arbeiten intensiv in diesem Bereich.
SPOX: Lernen Frauen in diesem Bereich schnell dazu?
Wörle: Ja, die Mädels sind da sehr aufnahmebereit. Die Mädels wollen die Dinge aber verstehen, dann können sie sie auch leichter umsetzen. Dadurch, dass sie mehr nachfragen, entsteht eine Kommunikation, die einen auch als Trainer weiterbringt, weil man sehr sauber erklären muss und sich dabei auch immer wieder selbst hinterfragt.
SPOX: Zur Taktik gehört auch die Vorbereitung auf den nächsten Gegner. Im Herrenbereich stehen unzählige Daten und Hilfsmittel zur Verfügung. Wie weit sind Sie dort schon?
Wörle: Wir haben in diesem Sinne kein eigens Scouting-System, aber man kann sich als Bundesliga-Klub die Möglichkeit erkaufen, per Scouting-Feed jedes Spiel herunterzuladen. Wir sehen uns stets Spiele des nächsten Gegners an und bereiten eine entsprechende Video-Analyse vor.
SPOX: Auf dem Platz wirkt das Geschehene oft weniger inszeniert als im Herrenfußball. Kann man Frauen das Gewinnen um jeden Preis nicht vermitteln?
Wörle: Der Wille ist auch bei den Frauen groß, aber der Frauenfußball ist sehr natürlich und fair. Im Männerfußball wird alles versucht, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Der Frauenfußball ist hier einfach ehrlicher.
SPOX: Aber man kann auch ein Frauenteam vor dem Spiel richtig heiß machen oder gehen Frauen anders in einen Wettkampf?
Wörle: Das geht auf jeden Fall auch bei den Frauen. Auf der emotionalen Schiene kann man sie erreichen. Allerdings geht es hier um den richtigen Moment und die passende Dosierung.
SPOX: Bleiben wir beim Thema Mannschaftsführung. Wie haben sie es geschafft, aus so vielen Individuen, vielen Neuzugängen und ganz verschiedenen Persönlichkeiten ein Team zu formen?
Wörle: Das ist schon eine Aufgabe, wir hatten im Sommer zehn Abgänge und zehn Neuzugänge, haben die Vorbereitungszeit aber sehr gut genutzt. Die Mannschaft war sehr offen und hat dafür gesorgt, dass vom ersten Tag an unheimlich viel Kommunikation stattgefunden hat. Wir haben in der Mannschaft eine außergewöhnliche menschliche Qualität.
SPOX: Wie lässt sich das alles auch mit dem Berufsleben vereinbaren? Ist in den nächsten Jahren eine Mannschaft nur aus Profis vorstellbar?
Wörle: Wir haben nur noch wenige, die nebenher arbeiten, aber doch einige Studenten. Die meisten Ausländerinnen, die wir haben, leben tatsächlich vom Fußball und können einigermaßen klar kommen. Wir haben also schon einige Profis, wenn man das so nennen will. Finanziell ist es aber kaum vorstellbar, sich Geld auf die Seite zu legen. Das Vereinbaren von Schule/Beruf oder Studium mit 6-8 Trainingseinheiten in der Woche ist schon eine große Leistung der Spielerinnen.
SPOX: Wie ist das Standing der Frauenabteilung innerhalb des Vereins? Gibt es vielleicht sogar einen trainerweiten Austausch?
Wörle: Die Unterstützung hat zugenommen, wir fühlen uns sehr gut eingebunden in den Verein. Wir sind sehr stolz darauf, dazuzugehören. Ich hatte einmal die Gelegenheit mich mit Pep Guardiola eine halbe Stunde zu unterhalten, regelmäßig gibt es aber keinen Austausch.
SPOX: Wo wir gerade bei Guardiola sind - ist seine Idee vom Fußball auch im Frauenbereich denkbar? Physisch wie psychisch stellt er ja doch sehr hohe Ansprüche.
Wörle: Ich finde ihn herausragend, von seiner Art aber auch was seine Fussballphilosophie anbelangt. Alles ist bis ins kleinste Detail durchdacht und ausgeklügelt. Natürlich ist das auch hier und da Anschauungsunterricht für mich und meine Mannschaft. Auch wir versuchen gewisse Elemente zu übertragen.
SPOX: Blicken wir auf das kommende Wochenende. Mit einem Sieg gegen Essen und einem gleichzeitigen Punktverlust von Wolfsburg könnten Sie deutscher Meister werden. Dabei war der Titel eigentlich nie als Ziel ausgerufen.
Wörle: Darüber denken wir nicht nach. Wir haben ein schweres Spiel. Die SGS Essen ist ein stabiles Team, da haben wir im Hinspiel zurecht Punkte liegen gelassen. Es wäre schon eine Sensation, wenn wir am Ende der Saison den zweiten Tabellenplatz erreichen, der für die Champions League berechtigt. Die Mannschaft hat sich dieses absolute Highlight, am letzten Spieltag um die Champions League Qualifikation spielen zu dürfen, wirklich erarbeitet. Wir haben noch ein Spiel vor uns und in das werden wir alles reinlegen. Wir freuen uns sehr darauf!
SPOX: Das Parallelspiel findet, trotz aller Konzentration auf sich selbst, zeitgleich statt. Werden Sie da vor dem Spiel die Handys einsammeln?
Wörle: Wir werden schauen, dass wir keinen Live-Ticker bei uns haben, den brauchen wir nicht. Das einzige, das wir beeinflussen können, ist unser eigenes Spiel. Und das wird schwer genug. Wir fokussieren uns nur auf uns.
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