Ganz Europa jagt einen jungen Ivorer aus der Schweiz: Seydou Doumbia kam aus der 2. japanischen Liga und mischt die Eidgenossen kräftig auf. SPOX stellt den 21-jährigen Torjäger vor, der in seiner Heimat bereits als Drogba-Nachfolger gilt und seine Freizeit mit Spazierengehen und Schlafen verbringt.
Der erste Angriff kam aus Monaco. Jose Cobos hatte im Frühjahr 2009 einen Tipp bekommen, seinen Spähern war in der beschaulichen Schweizer Superleague ein junger Ivorer aufgefallen.
Der könne doch einer sein für den AS Monaco. Also zögerte Manager Cobos nicht lange und setzte sich in den Flieger nach Bern. Zusammen mit einem Scout schaute sich Cobos ein Spiel der Young Boys an - und zückte danach flink das Scheckbuch.
Cobos, der eben erst seinen besten Offensivspieler Jeremy Menez an die Roma verloren hatte, hatte sich neu verliebt. In Dynamik, Präzision, Geschwindigkeit und Kaltschnäuzigkeit. In Seydou Doumbia.
Am liebsten hätte er den damals 20-Jährigen gleich mit ins Flugzeug zurück nach Monaco gepackt. Der YB, in Person von Sportdirektor Alain Baumann, wollte da jedoch irgendwie nicht so recht mitspielen.
Abfuhren für betuchte Interessenten
Ein halbes Jahr später landet im Prinzip jede Woche ein anderer Flieger in Bern, mit noch wichtigeren und finanziell potenteren Verhandlungspartnern, die mit der vagen Hoffnung auf einen Vorvertrag kommen und mit einer schnöden Abfuhr wieder nach Hause geschickt werden.
Seydou Doumbia ist derzeit einer der begehrtesten Spieler des Kontinents. Halb Europa ist hinter dem 21-Jährigen her. Überall dort, wo die Ligen viel Geld generieren, lechzen die Klubchefs und Trainer nach Doumbia.
In Italien: Inter Mailand und der AC Florenz. In England: Die Tottenham Hotspur, Liverpool und Chelsea. In Frankreich: Monaco und Olympique Marseille. In Russland: ZSKA Moskau. In Deutschland: Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund, 1899 Hoffenheim und der VfB Stuttgart. Dem deutschen Fußball-Fan ist Doumbia spätestens seit dem Freundschaftsspiel des DFB-Teams gegen die Elfenbeinküste bekannt. Beim 2:2-Unentschieden gelang ihm das zwischenzeitliche 2:1.
Es ist eine stressige Zeit für Berns Sportdirektor Baumann, der sich in immer kürzeren Intervallen der großen Verlockungen aus dem finanzkräftigen Ausland erwehren muss. Aber bisher bleiben Baumann und die Young Boys standhaft.
Entdeckt in der 2. japanischen Liga
Denn irgendwie ist Doumbia auch Baumanns Ziehsohn. Entdeckt hat er das Juwel in der zweiten japanischen Liga. Bei Tokushima Vortis dümpelte Doumbia vor sich hin. Sein eigentlicher Klub Kashiwa Reysol hatte ihn für zu schwach befunden und ausgeliehen.
"Ich hatte einige gute, aber auch viele schlechte Zeiten in Japan", sagt Doumbia im Rückblick. Bern holte ihn im Sommer 2008 nach Europa. Ein Jahr später war Doumbia mit 20 Treffern Torschützenkönig und der Spieler der Saison in der Schweiz.
"YB bietet mir die Möglichkeit, mich zu verwirklichen. Die schlechten Erfahrungen von früher will ich nutzen, um aus ihnen zu lernen und mich weiter zu entwickeln", sagt er.
"Er ist ein unberechenbarer Spieler, der instinktiv seine Entscheidungen trifft", erklärt Baumann die Stärken seines Stürmers im Gespräch mit SPOX. "Mit dem Ball am Fuß ist er unheimlich schnell, weil er auch über die entsprechende Technik verfügt. Auf den ersten zehn Metern kommt seine enorme Antrittsschnelligkeit zum Tragen."
Bern mit Doumbia ganz oben
In dieser Saison steht er nach 16 Spielen bei 17 Treffern und ist damit der Garant für den Berner Höhenflug. Die Young Boys stehen nach dürren Jahren wieder ganz oben. Satte sieben Punkte beträgt der Vorsprung auf Abonnements-Meister FC Basel.
Die Young Boys sind über die Kooperation mit den ASEC Mimosas auf Doumbia aufmerksam geworden. ASEC steht die Mimosifcom Academy unter, in der auch die beiden Toures und Didier Drogba ausgebildet wurden.
Es ist auch die Strategie der Berner, neben Doumbia noch drei seiner Landsleute im Kader zu haben. "Wir haben vier Spieler von der Elfenbeinküste, drei davon kommen vom selben Verein, von dem er kam. Die kennen sich seit der Jugend", erzählt Baumann. Die Integration ist damit ein Kinderspiel.
Doumbia ist schnell der Liebling im Stade de Suisse geworden, die Fans haben die Afrika-Hymne "Kumbaya my Lord" inzwischen auf "Doumbia my Lord" umgedichtet. Jetzt fürchten sie den Weggang ihres Heilsbringers.
"Das Interesse macht mich stolz"
"Das Interesse macht mich stolz. Es zeigt, dass meine Leistungen sogar im Ausland zur Kenntnis genommen werden. Aber ich versuche mich auf meine Aufgaben bei YB zu konzentrieren. Über alles andere will ich nicht zu viel nachdenken", sagt Doumbia. Noch.
Denn im Moment kann er auch in Bern die nötige Perspektive sehen: Die Champions League. "Was passieren wird, kommt auch darauf an, ob wir am Ende der Saison in die Champions League einziehen werden. Das ist wichtig für seine Entscheidung", macht sich Baumann nichts vor.
Trotzdem sieht er die nahe Zukunft Doumbias in Bern. "Taktisch muss er noch dazu lernen. Auch da ist er unberechenbar, was natürlich Vor- und Nachteil zugleich sein kann." Aber in der Schweiz und bei den Young Boys könne er noch in Ruhe reifen.
Definitiv kein Wechsel im Winter
Es sind verzweifelte Versuche, das zu vermeiden, was über kurz oder lang passieren wird. "Wenn ein Wechsel stattfinden sollte, dann sicher erst im Sommer, aber auch das ist noch nicht definitiv", sagt Baumann - und kapituliert quasi im selben Atemzug.
"Wenn es aber für ihn und für uns ein Riesenangebot geben wird, dann setzt man sich zusammen und dann kann es auch sein, dass er geht." Nur in einem ist er sich ganz sicher: "Im Winter lehnen wir einen Wechsel kategorisch ab!"
Mindestens noch diese eine Saison wollen sie an ihm ihre Freude haben. An seiner wöchentlich wechselnden Frisur oder den ulkigen Tänzchen, die er nach seinen Toren aufführt.
Doumbia, my Lord: Das Video zum Fan-Gesang
Hobbies: Spazierengehen und schlafen
In den Diskotheken der Stadt trifft man ihn nicht an. Viel lieber geht er mit Kumpel Thierry Doubai stundenlang spazieren. Oder er liegt faul im Bett. "Es stimmt, er schläft sehr viel. Er trainiert, isst und schläft dann", sagt Baumann.
Und dazwischen ist er ein Musterprofi. "Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn im Training rumgealbert wird. Wir sind Profis, und Profis müssen immer konzentriert sein, um ihre Ziele zu erreichen", sagt Doumbia, der seinen Beruf lebt wie nur wenige neben ihm.
"Meine Spielvorbereitung beginnt bereits bei mir zu Hause. Schon wenn ich in die Kabine komme, bin ich hochkonzentriert. Aber dann brauche ich zehn Minuten nur für mich. Ich brauche Ruhe."
Sein Entdecker Baumann bestätigt ihm einen "einwandfreien Charakter und Pünktlichkeit", trotzdem braust Doumbia auf dem Feld gern auch auf.
Sperre nach Stinkefinger
Im Oktober zeigte er einem Gegenspieler den Mittelfinger und wurde vom Verband für ein Spiel gesperrt. Nur ein paar Wochen später hatte er mehr Glück, dass eine angebliche Tätlichkeit im Pokalspiel bei Xamax Neuchatel nicht sanktioniert wurde.
"Eigentlich ist er ein ruhiger, zurückhaltender und fröhlicher Typ. Wir hatten noch nie Probleme mit ihm", so Baumann. Doumbia lernt seit seinem Wechsel in die Schweiz auch fleißig deutsch, anwenden will er es aber noch nicht.
Doumbia spricht mit langsamer, weicher Stimme und ein abgehacktes Französisch, das so gar nicht zum wuchtigen Gesamtbild passen will. "Meine Idole sind Didier Drogba und Eto'o Fils", sagt er mit glänzenden Augen und meint damit Sammy Eto'o.
Hattrick in 16 Minuten
In seiner Heimat gilt er schon als der neue Drogba. Vor ein paar Wochen übertrumpfte er sein Idol beim Ligaspiel in Bellizona, als er binnen 16 Minuten einen astreinen Hattrick erzielte.
Noch fast fünf Jahre ist er vertraglich an die Young Boys gebunden. Zuletzt galt in Deutschland der VfB Stuttgart als heißer Interessent. Dessen neuer Trainer Christian Gross kennt Doumbia schließlich bestens.
"Wir haben ihn mehrfach beobachtet, er ist ein sehr interessanter Mann", bestätigt VfB-Vorstand Horst Heldt. "Er hat aber einen Vertrag bis 2014 und soll acht bis zwölf Millionen Euro kosten. Und er wird überall gehandelt."
Seydou Doumbia in die Bundesliga? Seine ganz persönliche Sehnsucht sieht anders aus. "Seit ich ein Kind bin, träume ich von Chelsea", sagt er und seine Augen blitzen dabei schon wieder. "Mir gefallen aber auch Liverpool, ManUnited und Barcelona."
Der Kader von Young Boys Bern